Der eiserne Gustav. Hans Fallada

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Der eiserne Gustav - Hans  Fallada Hans-Fallada-Reihe

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Anhalter Bahnhof. Otto.«

      Die Mutter war in ungewohnter Bewegung, sie deckte selber den Tisch, was sie seit vielen Jahren nicht mehr getan hatte, nur, damit alle schnell fertig wurden. Eva wirtschaftete in der Küche.

      Gerade, als sich alle zu Tisch setzten, kam Erich. Er war den ganzen Vormittag von einer Kaserne in die andere gelaufen, hatte stundenlang warten müssen und war überall zurückgewiesen. »Wir können keine Leute mehr brauchen. Alle Stunden melden sich Tausende. Vielleicht in acht Wochen oder in einem Vierteljahr.«

      »Gut, dann wartest du eben so lange und machst unterdessen dein Notabitur.«

      Das wollte Erich nicht, er mochte nicht wieder auf die Schule. Die Wochen beim Anwalt hatten ihn verändert, er kam sich erwachsen vor. Es schien ihm unmöglich, noch einmal die Schulbank zu drücken. »Nein, mir hat einer erzählt, in Lichterfelde, bei der Kadettenanstalt, stellen sie ein Ersatzbataillon auf. Da versuche ich es morgen früh.«

      »Habe es doch nicht so eilig, Erich«, bat die Mutter. »In einem Vierteljahr ist vielleicht der Krieg aus, und Otto kann auch was passieren.«

      Dies war ein etwas wirrer Satz, aber alle verstanden ihn. Erich summte unternehmungslustig: »Wisch ab, Lowise, wisch ab dein Gesicht – eine jede Kugel, die trifft ja nicht …«

      »Daran muß man nicht denken, Mutter«, sagte Hackendahl abweisend. »Wenn ein Soldat an so etwas denkt, kann er nicht kämpfen.«

      »Wie ich heute um zehn im Fenster liege«, klagte die Mutter, »und die Pferde kommen zurück, ganze fünf von unseren schönen zweiunddreißig, und der Schimmel den Kopf doch wieder so trübselig zwischen den Beinen – da habe ich denken müssen: So kommen die Pferde wieder. Und was kommt von meinen Jungen zurück?!«

      Einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen. Dann klopfte der eiserne Gustav mit dem Messergriff hart auf den Tisch. »Ruhe, Mutter, nur Ruhe! Wenn du jetzt schon so bist, nehme ich dich nicht mit auf den Anhalter …«

      »Ich bin gar nicht so!« rief die Mutter eilig und wischte sich die Augen. »Ich habe es mir nur gedacht, als die Pferde zurückkamen. Aber ich weine bestimmt nicht auf dem Anhalter! Nimm mich mit, Gustav!«

      Und sie sah mit einem rührenden Versuch zu lächeln die anderen an.

      »Na schön!« sagte der Vater. »Wenn du vernünftig sein willst, sage ich kein Wort. – Aber jetzt müssen wir uns eilen. Anhalter, das hieße nach Frankreich …«

      Doch im letzten Augenblick gab es doch wieder eine Verzögerung. Es stellte sich heraus, daß Eva nicht mit wollte. Mit Tränen in den Augen versicherte sie, sie könne wirklich nicht, sie habe rasende Kopfschmerzen, sie sei krank …

      »Nichts da!« rief Hackendahl. »Wenn der Bruder in den Krieg zieht, gehst du gefälligst zur Bahn! Da ist man nicht krank, da hat man keine Kopfschmerzen!«

      Weinend versicherte Eva, sie könne wirklich nicht, sie falle um auf der Straße …

      Aber wie die Mutter ihrer Tränen wegen nicht mit zur Bahn hatte kommen sollen, so mußte Eva trotz der Tränen mit.

      »Mach mir keine Geschichten, Mädchen!« Und in plötzlich erwachtem Mißtrauen, sich der Worte Bubis erinnernd: »Du hast wohl einen Bräutigam? Was? Du kommst mir die ganze letzte Zeit schon mächtig komisch vor. Warte, wenn wir zurück sind, sprechen wir miteinander!«

      Mißlaunig, gehetzt marschierte die Familie ab. Eva sah den Eugen wartend an einer Straßenecke stehen, sie war von ihm bestellt, sie winkte ihm hilflos ab. Er schien ihr zu drohen, dann verlor sie ihn aus dem Auge …

      Sie dachte daran, daß die Wohnung jetzt nur unter der Aufsicht des kleinen Dienstmädchens stand, sie traute Eugen alles zu, alles! Auch einen Einbruch in die elterliche Wohnung. Am liebsten hätte sie kehrtgemacht, aber was hätte das nützen können? War Eugen wirklich in der Wohnung, hielt ihn ihre Anwesenheit auch nicht von einem Diebstahl zurück. Sie hatte gar keine Macht über ihn, er aber jede über sie!

      Die Zeit ist bei alledem so knapp geworden, daß sie auf dem Alexanderplatz einsehen: Sie müssen fahren, sonst erreichen sie den Zug nicht mehr. Der leichtfertige Erich schlägt dem Vater eine Autotaxe vor und wird verächtlich angeblitzt. Auch der Vorschlag der Mutter, eine Pferdedroschke zu nehmen, wird als zu teuer abgelehnt. Glücklicherweise kommt ein Pferdeomnibus, in dem sie noch Platz finden. Ruckend, klappernd kommt der Wagen in Gang.

      In der Stadt herrscht ein Trubel, wie am ersten Mobilmachungstag. Auf der Straße halten Wagen, junge Burschen werfen ganze Zeitungspacken unter die Leute, zusteigende Passanten bringen die Nachricht in den Omnibus: Der Krieg an Frankreich ist erklärt! Deutsche Truppen haben die belgische Grenze überschritten … Ein kurzes Stutzen, Belgien! Nun auch Belgien …?! Aber es ist keine Zeit für langes Überlegen, schon ertönt überall das Lied: »Siegreich wollen wir Frankreich schlagen …«

      Alte Leute brummen unter beifälligem Lachen das Spottlied: »Was kraucht denn dort im Busch herum? Ich glaub, das ist Napolibum! Was hat der rumzukrauchen dort? Frisch, Kameraden, jagt ihn fort!«

      Der Omnibus kommt nicht vorwärts im Gewühl. Sie steigen wieder aus, drängen in geschlossener Kolonne durch die Menge. Der Bahnhof, sie müssen doch auf den Bahnhof!

      »Entschuldigen Sie, Herr Nachbar, wenn ich Sie getreten habe. Mein Sohn fährt nämlich in den Krieg!«

      »Es war mir ein Vergnügen!«

      Gottlob, der Bahnhof, endlich der Anhalter! Noch eine Minute … Durch die Halle, hinauf die Treppe – alles ist überfüllt! Von oben klingt Blechmusik. Zwei Uhr eins! Der Zug müßte fort sein, aber: »Solange sie nicht ›Muß i denn‹ spielen, fährt der Zug noch nicht!« keucht Hackendahl atemlos.

      Es ist solch ein Trubel, daß sie sogar ohne Bahnsteigkarten durch die Sperre kommen. Der Schaffner ruft ihnen etwas nach, aber Hackendahl schreit: »Frankreich! Paris!« Und lacht. Viele lachen mit. Hackendahl fühlt sich fröhlich, fröhlich aufgeregt. Er rennt dahin im Kreise seiner Familie.

      Wie lang der Zug ist! Aus den Fenstern sehen Männer, übereinander, nebeneinander, alle in Feldgrau, die Pickelhelme mit feldgrauen Bezügen, die in Rot die Regimentsnummer tragen. Wie ernst diese Gesichter sind! Wieviel Frauen auf dem Bahnsteig, auch sie ernst, blaß. Blumen, ja, aber Blumen in zitternden, verkrampften Händen. Unendlich viel Kinder, große und kleine, und auch die Kindergesichter sind ernst, manche von den Kleinen weinen …

      Die Regimentsmusik spielt, aber die Gesichter bleiben ernst, leise nur wird gesprochen …

      »Schreib auch, Vater!«

      »Ich schicke dir eine Ansichtskarte aus Paris!«

      Kümmerlicher Scherz, für die letzte Minute aufgespart. Blasses Lächeln.

      »Und bleib gesund!«

      »Du auch – und die Kinder!«

      »Um die Kinder sorg dich jetzt man nicht – ich paß schon auf!«

      Wo ist Otto?

      Sie laufen den Zug entlang. Plötzlich ist es so wichtig geworden, den unwichtigen Otto noch einmal zu sehen, ihm die Hand zu schütteln, ihm zu sagen, daß er gesund bleiben soll.

      »Da ist ja die Gudde, die Schneiderin, du weißt doch, Vater, die mein Schwarzes geändert hat. – Mit einem Kind! Seit wann hat denn die Gudde ein Kind? Die hat doch ’nen Buckel. – Es wird wohl das Kind von ’ner Nachbarin sein!«

      »Wen

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