Der eiserne Gustav. Hans Fallada

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Der eiserne Gustav - Hans  Fallada Hans-Fallada-Reihe

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hat bloß ein Schicksal, ein schäbiges, gemeines Schicksal. Sie hat bloß den Eugen an der nächsten Straßenecke, der pfeift nach ihr auf einem Finger, den Ludenpfiff, und wenn er pfeift, dann muß sie kommen. Dem gehört sie nun. Der ist ihre Aufgabe!

      Als er sie vorgestern zum Trinken zwang, als sie sah, er würde nicht nachgeben, er wollte sie unbedingt haben, sofort – und nicht etwa, weil er Verlangen hatte nach ihr, sondern bloß, damit sie wußte, sie gehörte ihm auch darin, sie hatte nichts Eigenes, nichts Sauberes mehr –, also, da war ihr plötzlich ein Gedanke gekommen wie ein ferner Trost, etwas, das ihr über die nächste schreckliche Stunde hinweghelfen konnte, und sie hatte gefragt: »Ja, Eugen, mußt du dich denn nicht auch stellen? Wirst du nicht auch Soldat?«

      (Und sie hatte den Krieg als Befreier gesehen, genau wie ihre Schwester. Er würde fortmüssen, und wenn er wiederkam – aber er kam nicht wieder! Solche durften nicht wiederkommen, wozu war denn ein Krieg sonst nütze?) Er hatte sie von der Seite angesehen und hatte höhnisch gelacht: »Det möchtste wohl, mein Liebchen!«

      »Aber nein, Eugen! – Nur, es müssen sich doch alle jungen Männer stellen …«

      »Nee, meine Süße, mir lassen se nich dienen, ick bin unabkömmlich. Mir liebt mein Vaterland zu sehr.«

      »Du bist unabkömmlich? Aber alle jungen Männer …«

      »Mußt keine Angst haben, Evchen, ick bleibe bei dir.«

      »Aber …«

      »Du möchtst ja jewaltig jerne, det ick rauskomme! Daraus wird nischt. Knochen kaputt schießen lassen – dazu sind die anderen jut.«

      »Aber wenn man sich nicht stellt, dann ist man doch fahnenflüchtig! Und dann …«

      »Du hast aber ’ne lange Leitung! Ick bin nich fahnenflüchtig, ick sare dir doch, ick bin unabkömmlich! Mein Vaterland vazichtet uff mir! Noch nich kapiert! Ick habe se nich mehr, Dowe! Ick habe nich mehr die bürgerlichen Ehrenrechte …«

      »Wieso …?« fragte sie verwirrt. »Die Ehrenrechte …?«

      »Jawoll, meine Süße! Wie se mir Zuchthaus uffjebrummt haben, da ham se mir die bürgerlichen Ehrenrechte abjeknöpft, for drei Jahre. Un nu darf ick meines Kaisers Ehrenrock nich tragen – und jewaltig traurig biste darüber, wie ick sehe …«

      Er lehnte sich über den Tisch und grinste. Noch in der Erinnerung schauderte sie. Nein, sie war wirklich nicht zimperlich, aber daß ein Mensch auf seine Schande stolz sein konnte!

      Er mußte ihr die Gedanken vom Gesicht abgelesen haben. Mit seinem jähen Übergang wurde er finster und zornig. »Du schämst dir wohl? Du schämst dir wohl für deinen Eugen?! Komm trudeln! Ick werd dir zeigen, wat bei mir Scham heißt. Un wenn du deine bürgerlichen Ehrenrechte noch hast …«

      Schon hatte er wieder gegrinst … Und dann kam das andere. Dann – kam – das – andere …

      Sie sitzt ganz still da, Vater redet noch immer mit Rabause im Stall. Man hört die Eimer klappern … Mutter redet auch noch … Bubi flötet …

      Plötzlich kommt ihr die Erinnerung an die Gudde, wie sie da vorhin auf dem Bahnsteig stand, ein kleines, verkrüppeltes Geschöpf, aber sie hatte ein gesundes Kind an der Hand. Ihr schaudert bei dem Gedanken, daß sie ein Kind haben könnte, ein Kind von diesem Kerl, der äußerlich gesund ist, aber innen faul und schlecht … Der kleine Krüppel hat etwas vom Leben bekommen, was sie nie bekommen wird … Denn: Es ist vorbei!

      Sie nimmt aus der Schieblade einen Stoff, schlägt ihn in Papier, sie ruft zu Heinz hinüber: »Wenn Mutter fragt, ich bin noch ein Stündchen weggegangen.«

      »Sag’s ihr doch selber!« ruft Bubi mit aller brüderlichen Höflichkeit. »Ich bin nicht dein Botenjunge!«

      Aber sie will es nicht selber der Mutter sagen, sie will ihr nicht erzählen, daß sie zur Schneiderin geht, die Mutter denkt dann gleich, sie geht »darum«! Sie geht aber nicht darum, sie geht ganz für sich allein.

      Sie geht? Nein, sie läuft fast. Sie läuft so schnell, wie ein junges Mädchen 1914 bei langen Kleidern und engen Schicklichkeitsbegriffen auf der Straße nur laufen darf. Sie sieht sich immer wieder um, ob er sie auch nicht verfolgt, er ist ihr Alpdruck, die stets drohende Gefahr. Aber unangefochten erreicht sie die stillere Nebenstraße, sie kommt über die Höfe, steigt die Treppen hinauf …

      Auf ihr Klingeln öffnet die Gudde sofort. Sie hat gerötete Augen, die aber jetzt fast feindlich blicken. Das Kind, dieser kleine, zweijährige Junge, hält sich an ihrem Rock.

      »Entschuldigen Sie, Fräulein Gudde«, sagt Eva etwas verwirrt von dem abwehrenden Blick. »Ich sah Sie eben auf der Bahn, und da fiel mir ein, daß ich den Stoff noch liegen habe … Es ist ein Sommerstoff, und wenn ich jetzt kein Kleid daraus kriege, bleibt er ein ganzes Jahr liegen …«

      Sie lacht ein wenig albern, sie ist wirklich verwirrt durch den bösen Blick der anderen.

      »Nein!« sagt die Gudde. »Nein! Tut mir leid, Fräulein. Nein! Ich kann die Arbeit nicht annehmen. Nein!«

      Dieses mehrfach wiederholte, mit aller Erbitterung hervorgestoßene Nein steigert Evas Verwirrung noch.

      »Aber, Fräulein Gudde«, fragt sie. »Was ist denn los? Sie haben doch immer für uns gearbeitet. Ich bin Eva Hackendahl – Sie wissen doch.«

      »Ich habe es gleich gesehen«, sagt die Gudde leidenschaftlich, »daß Sie es geraten haben. Aber es ist mein Kind, es ist unser Kind ganz allein. Hier habt ihr nichts reinzureden, ihr Hackendahls. Nein! Mein Kind. Wenn euch Otto nicht genug war …«

      »Otto!« ruft Eva verblüfft.

      »Tun Sie noch so! Schämen sollten Sie sich was! Jawohl, Otto, aber mein Otto, nicht euer Otto, nicht der Otto, zu dem ihr ihn gemacht habt, ihr Hackendahls, ihr mit euerm Vater! Eiserner Gustav, wahrhaftig!« Und mit einem plötzlichen Übergang: »Eben ist er in den Krieg gefahren, und schon habe ich solche Angst um ihn! Aber wenn er zurückkommt, sorge ich, daß er sich losmacht von allem, was Hackendahl heißt. Dann will ich den Krieg segnen, segnen, segnen …!«

      Sie lehnt den Kopf an den Türrahmen und fängt herzzerbrechend zu weinen an.

      Eva hat mit großen Augen diesen Ausbruch angehört, nun faßt sie vorsichtig nach der Weinenden. »Fräulein Gudde, bitte, bitte nicht – das Kind!«

      Denn das Kind steht dabei, es weint nicht. Es versucht, die Mutter zu umfassen. »Mutti, liebe, gute Mutti, nicht!«

      »Ja, ja, es ist ja schon vorbei, Gustäving. Mutti lacht wieder. Sie lacht ja schon wieder, Gustäving. Fräulein Hackendahl, jetzt wissen Sie doch, was Sie wissen wollten, jetzt können Sie ruhig nach Haus gehen. – Ach, was werdet ihr ihm nun für Briefe in den Krieg schreiben! Nicht mal da wird er vor euch Ruhe haben …«

      »Keiner hat Otto im Verdacht, glauben Sie mir doch, Fräulein Gudde! Wir haben es ihm einfach nicht zugetraut!«

      »Nein, nie habt ihr ihm etwas zugetraut!«

      »Und von mir erfährt auch keiner was, Sie sollen das Kind ganz allein für sich behalten. Ich verstehe Sie ja, ich verstehe ja, daß Sie alles Hackendahlsche hassen … Ich bin ja auch eine Hackendahl, und ich – ich bin genauso unglücklich wie Otto …«

      Jetzt ist es an Eva, die zu weinen beginnt, aber sie fängt sich rascher.

      »Sehen

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