Gesammelte Werke. Alfred Adler

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Gesammelte Werke - Alfred  Adler

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sind, als daß es sich in seinem Sinne zu einer endgültigen Anpassung an Gegenwart und Zukunft mehr oder weniger entschlossen hat. Die damit zusammenhängende Stimmungslage weist es nach verschiedenen Seiten. Die eine Seite zeigt sich als die des Optimismus, das Kind traut sich zu, die ihm erwachsenden Aufgaben auch glatt lösen zu können. Dann wird es in sich jene Charakterzüge entwickeln, die eben zu einem Menschen gehören, der seine Aufgaben für löslich hält. So entwickeln sich Mut, Offenheit, Verläßlichkeit, Fleiß u. dgl. Das Gegenteil hiervon sind die Züge des Pessimismus. Denkt man sich das Ziel eines Kindes, das sich die Fähigkeit zur Lösung seiner Aufgaben nicht zutraut, dann kann man sich auch vorstellen, wie es in der Seele eines solchen Kindes aussehen mag. Wir finden dort Zaghaftigkeit, Schüchternheit, Verschlossenheit, Mißtrauen und alle andern Züge, mit denen der Schwache sich zu verteidigen sucht. Sein Ziel wird außerhalb der Grenzen des Erreichbaren, weit hinter der Front des Lebens liegen.

      II. Kapitel:

       Soziale Beschaffenheit des Seelenlebens

       Inhaltsverzeichnis

      Um zu verstehen, was in einem Menschen vorgeht, ist es notwendig, dessen Haltung zu seinen Mitmenschen einer Betrachtung zu unterziehen. Die Beziehungen der Menschen untereinander sind zum Teil naturgegeben und als solche Veränderungen unterworfen, teils entstehen hieraus planmäßige Beziehungen, wie sie besonders im politischen Leben der Völker, bei der Staatenbildung, im Gemeinwesen beobachtet werden können. Das menschliche Seelenleben kann nicht verstanden werden, ohne daß man diese Zusammenhänge gleichzeitig mitbetrachtet.

       1. Absolute Wahrheit

       2. Der Zwang zur Gemeinschaft

       3. Sicherung und Anpassung

       4. Gemeinschaftsgefühl

      1. Absolute Wahrheit

       Inhaltsverzeichnis

      Das menschliche Seelenleben ist nicht imstande frei zu schalten, sondern steht ständig vor Aufgaben, die sich von irgendwoher eingestellt haben. Alle diese Aufgaben sind untrennbar verbunden mit der Logik des menschlichen Zusammenlebens, eine jener Hauptbedingungen, die ununterbrochen auf das einzelne Individuum einwirken und sich seinem Einfluß nur bis zu einem gewissen Grade unterwerfen lassen. Wenn wir nun bedenken, daß nicht einmal die Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens von uns endgültig erfaßt werden können, weil sie zu zahlreich sind, daß ferner diese Forderungen doch einem gewissen Wandel unterliegen, so wird uns klar, daß wir kaum recht in der Lage sind, die Dunkelheiten eines vor uns liegenden Seelenlebens völlig zu erhellen, eine Schwierigkeit, die um so größer wird, je weiter wir uns aus unseren eigenen Verhältnissen entfernen.

      Es ergibt sich aber als eine der Grundtatsachen für die Förderung unserer Menschenkenntnis, daß wir mit den immanenten Spielregeln einer Gruppe, wie sie sich auf diesem Planeten bei der beschränkten Organisation des menschlichen Körpers und seiner Leistungen von selbst ergeben, als mit einer absoluten Wahrheit rechnen müssen, der wir uns nur langsam, meist nach Überwindung von Fehlern und Irrtümern nähern können.

      Ein bedeutsamer Anteil dieser Grundtatsachen ist in der materialistischen Geschichtsauffassung festgehalten, die Marx und Engels geschaffen haben. Nach dieser Lehre ist es die ökonomische Grundlage, die technische Form, in der ein Volk seinen Lebensunterhalt erwirbt, die den »ideologischen Überbau«, das Denken und Verhalten der Menschen bedingt. Soweit reicht der Einklang mit unserer Auffassung von der wirkenden »Logik des menschlichen Zusammenlebens«, von der »absoluten Wahrheit«. Die Geschichte, vor allem unsere Einsicht in das Einzelleben, unsere Individual-psychologie, lehrt uns aber, daß das menschliche Seelenleben gern mit Irrtümern auf die Impulse der ökonomischen Grundlagen antwortet, denen es sich nur langsam entwindet. Unser Weg zur »absoluten Wahrheit« führt über zahlreiche Irrtümer.

      2. Der Zwang zur Gemeinschaft

       Inhaltsverzeichnis

      Die Forderungen des gemeinschaftlichen Lebens sind eigentlich genau so selbstverständlich wie jene Forderungen, die etwa Witterungseinflüsse an den Menschen stellen, Forderungen des Kälteschutzes, des Wohnungsbaues u. dgl. Wir erblicken den Zwang zur Gemeinschaft — wenn auch noch in einer unverstandenen Form — auch in der Religion, wo die Heiligung von gesellschaftlichen Formen an Stelle des verstehenden Gedankens als Bindemittel der Gemeinschaft dient. Sind die Lebensbedingungen im ersten Fall kosmisch, so sind sie im letzteren Fall sozial bedingt, bedingt durch das Zusammenleben der Menschen und die sich daraus von selbst ergebenden Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Die Forderungen der Gemeinschaft haben die Beziehungen der Menschen geregelt, die schon ursprünglich als selbstverständlich, als »absolute Wahrheit« bestanden haben. Denn vor dem Einzelleben der Menschen war die Gemeinschaft. Es gibt in der Geschichte der menschlichen Kultur keine Lebensform, die nicht als gesellschaftlich geführt worden wäre. Nirgends sind Menschen anders als in Gesellschaft aufgetreten. Diese Erscheinung ist leicht erklärlich. Durch das ganze Tierreich geht das Gesetz, der Grundzug, daß jene Gattungen, die sich der Natur gegenüber nicht in besonders hohem Grade gewachsen zeigen, durch Zusammenschluß erst neue Kräfte sammeln und dann in neuer, eigenartiger Weise nach außen wirken. Auch der Menschheit dient zu diesem Zweck der Zusammenschluß, und so kam es, daß das seelische Organ des Menschen ganz durchdrungen war von den Bedingungen eines Lebens in der Gemeinschaft. Schon Darwin weist darauf hin, daß man nie schwächliche Tiere findet, die allein leben. Und hierher muß man ganz besonders auch den Menschen rechnen, denn er ist nicht stark genug, um allein leben zu können. Er kann der Natur nur geringen Widerstand bieten, er bedarf einer größeren Menge von Hilfsmitteln, um sein Dasein zu führen, um sich zu erhalten. Man braucht sich nur die Lage eines Menschen vorzustellen, der sich allein und ohne Hilfsmittel der Kultur in einem Urwald befände. Er würde ungleich bedrohter erscheinen als jedes andere Lebewesen. Er hat nicht die Schnelligkeit der Beine, verfügt nicht über die Muskelkraft der starken Tiere, er hat nicht die Zähne des Raubtiers, nicht die Feinhörigkeit und die scharfen Augen, um sich in solchem Kampfe zu behaupten. Es bedarf für ihn eines ungeheuren Aufwandes, um seine Daseinsberechtigung erst sicherzustellen und ihn vor dem Zugrundegehen zu bewahren. Seine Nahrung ist eigenartig und seine Lebensweise bedarf eines ganz intensiven Schutzes.

      Nun ist es begreiflich, daß sich der Mensch nur erhalten konnte, wenn er sich unter besonders günstige Bedingungen stellte. Diese hat ihm aber erst das Gruppenleben verschafft, das sich als eine Notwendigkeit erwies, weil nur das Zusammenleben den Menschen ermöglichte, in einer Art Arbeitsteilung Aufgaben zu bewältigen, bei denen der Einzelne unterliegen mußte. Nur die Arbeitsteilung war imstande, dem Menschen Angriffs- und Verteidigungswaffen und überhaupt alle Güter zu verschaffen, die er brauchte, um sich zu behaupten, die wir heute unter dem Begriff der Kultur zusammenfassen. Wenn man nun bedenkt, unter welchen Schwierigkeiten Kinder geboren werden, wie hier ganz besondere Aufwendungen notwendig werden, die der Einzelne vielleicht nicht einmal unter den größten Mühen leisten könnte und die eben nur bei Vorhandensein einer Arbeitsteilung herbeigeschafft werden können, wenn man sich vorstellt, welchem Übermaß von Krankheiten und Gebrechen ein menschliches Wesen besonders im Säuglingsalter ausgesetzt ist — mehr als dies im Tierreich der

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