Gesammelte Werke. Alfred Adler

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Gesammelte Werke - Alfred  Adler

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eintreten, wenn Eltern, Erzieher oder die sonstige Umgebung durch irgendwelche Erziehungsmaximen so auf das Kind einwirken, daß es seine Zärtlichkeitsregungen als untunlich oder lächerlich empfindet. Es pflegt nicht so selten zu geschehen, daß dem Kind nahegelegt wird, Zärtlichkeit mit dem Eindruck von Lächerlichkeit zu verbinden. Das ist besonders bei Kindern der Fall, die öfters Gegenstand des Spottes sind. Man wird sie von einer Gefühlsscheu beherrscht finden, derzufolge sie jede Regung von Zärtlichkeit, von Liebe zu einem andern als lächerlich, unmännlich, als eine Regung betrachten, die sie in die Hörigkeit des andern bringt und sie in den Augen der anderen herabsetzt. Das sind jene Menschen, die schon in ihrer Kindheit allen künftigen Liebesbeziehungen eine Grenze gezogen haben. Lieblosigkeiten, die im großen und ganzen in eine harte Erziehung übergehen, die sich über alle Zärtlichkeitsregungen hinwegsetzt, haben bewirkt, daß sie in der Kindheit solche Regungen in sich verschlossen, und sich verstimmt, verbittert und erschreckt bald von dem kleinen Kreis ihrer Umgebung allmählich zurückgezogen haben, deren Gewinnung und Einbeziehung in ihr eigenes Seelenleben von größter Wichtigkeit gewesen wäre. Findet sich noch eine Person in der Umgebung, die dem Kind den Anschluß ermöglicht, so wird es ihn ganz besonders innig vollziehen. So wachsen oft Menschen auf, die überhaupt nur zu einer einzigen Person Beziehung gefunden haben, die ihre Anschlußneigung auf mehr als einen Menschen überhaupt nicht erstrecken können. Das Beispiel von dem Knaben, der so gekränkt war, als er bemerkte, daß sich die Zärtlichkeit der Mutter dem andern Bruder zuwandte, der seither immer im Leben umherirrte, um die Wärme zu finden, die er von früher Kindheit an vermißt hatte, ist ein Fall, der die Schwierigkeiten zeigt, die solche Menschen im Leben finden können.

      Das ist die Gruppe jener Menschen, deren Erziehung unter einem gewissen Druck vor sich gegangen ist.

      Auch in der entgegengesetzten Richtung können Fehlschläge eintreten, wenn durch eine besondere Wärme, von der die Erziehung begleitet ist, durch eine Verzärtelung des Kindes sein Zärtlichkeitstrieb über alle Grenzen hinaus entwickelt wird, so daß es sich zu enge an eine oder mehrere Personen anschließt und von ihnen nicht mehr lassen will. Die Zärtlichkeit des Kindes wird hier durch verschiedene Mißgriffe oft so weit gesteigert, daß das Kind dahinter kommt, daß aus seiner eigenen Zärtlichkeit gewisse Verpflichtungen für die andern erwachsen, wie es leicht bewirkt werden kann, wenn Erwachsene z.B. sagen: »Weil ich dich lieb habe, mußt du dies oder jenes tun.« Es kommt oft vor, daß innerhalb einer Familie ein derartiges Gewächs wuchert. Die Neigung anderer wird von solchen Kindern leicht aufgegriffen und dazu benutzt, um nunmehr durch gleiche Mittel die Abhängigkeit des andern ihrer eigenen Zärtlichkeit entsprechend zu steigern. Ein solches Aufflammen der Zärtlichkeit zu einer der Personen der Familie ist immer im Auge zu behalten. Es ist keine Frage, daß das Schicksal eines Menschen durch solche einseitige Erziehung nachteilig beeinflußt wird. Es können dann Erscheinungen eintreten, wie z. B. die, daß ein Kind, um die Zärtlichkeit eines andern festzuhalten, zu den gewagtesten Mitteln Zuflucht nimmt, etwa einen Rivalen, meist Bruder oder Schwester herabzusetzen sucht, indem es seine Schlimmheit aufdeckt oder heimtückisch fördert oder auf andere Weise, alles nur, um sich in der Liebe der Eltern zu sonnen. Oder es wird einen Druck ausüben, um wenigstens die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zu lenken und kein Mittel unversucht lassen, um in den Vordergrund zu kommen, mehr Bedeutung zu erlangen als andere. Es wird faul oder schlimm sein, um die andern zu veranlassen, sich mehr mit ihm zu beschäftigen, oder es wird brav sein, um die Aufmerksamkeit der andern wie eine Belohnung zu empfinden. Es beginnt dann ein derartiger Prozeß im Leben des Kindes, aus dem ersichtlich wird, daß alles zum Mittel werden kann, wenn im seelischen Leben einmal die Richtung festgelegt ist. Es kann sich nach der schlimmen Seite hin entwickeln, um sein Ziel zu erreichen und es kann auch ein überaus braves Kind werden, das dasselbe Ziel im Auge hat. Oft kann man beobachten, wie eines der Kinder versucht, durch besondere Unbändigkeit das Augenmerk auf sich zu lenken, während ein anderes, schlauer oder weniger schlau, durch besondere Bravheit dasselbe zu erreichen trachtet.

      In die Gruppe der verzärtelten Kinder gehören auch jene, denen man alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumt, deren Eigenartigkeiten man freundlich belächelt, die sich alles herausnehmen dürfen, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Diesen Kindern fehlt jede Gelegenheit, jene Vorübungen zu machen, die im weiteren Leben dazu gehören, um den Anschluß auch an anschlußwillige Menschen in der richtigen Weise anzustreben und zu bewerkstelligen, geschweige denn an solche Menschen, die selbst durch Schwierigkeiten ihrer Kindheit irregeführt, diesem Anschluß Hindernisse in den Weg stellen. Da man ihnen nicht Gelegenheit gibt, sich in der Überwindung von Schwierigkeiten zu üben, sind sie für ihr weiteres Leben äußerst mangelhaft vorbereitet. Sie erleiden fast regelmäßig Rückschläge, sobald sie aus dem kleinen Bereich dieser tropischen Atmosphäre heraustreten und sich dem Leben gegenüberfinden, wo kein Mensch mehr seine Verpflichtungen in der Weise übertreibt, wie die überzärtlichen Erzieher.

      Alle Erscheinungen dieser Art haben gemeinsam, daß das Kind mehr oder weniger isoliert wird. Kinder z. B., deren Verdauungsorgane Mängel aufweisen, werden sich zur Nahrungsaufnahme anders verhalten und infolgedessen möglicherweise eine ganz andere Entwicklung nehmen als andere, in dieser Hinsicht normale Kinder. Kinder mit minderwertigen Organen werden eine besondere Gangart aufweisen, die sie mit der Zeit in die Isolierung hineintreibt. Wir haben dann Kinder vor uns, die ihren Zusammenhang mit der Umwelt nicht so deutlich empfinden, ihn vielleicht ganz ablehnen. Sie können keine Kameraden finden, halten sich von den Spielen ihrer Altersgenossen fern, sehen entweder neidig zu oder wenden sich verachtend ihren eigenen Spielen zu, die sie in stiller Abgeschlossenheit für sich betreiben. Auch Kinder, die unter einem schweren Druck in der Erziehung, etwa unter großer Strenge, aufwachsen, sind von der Isolierung bedroht. Auch ihnen wird das Leben nicht in günstigem Licht erscheinen, weil sie immer wieder und von überall her schlimme Eindrücke erwarten. Sie fühlen sich entweder als Dulder, die alle Schwierigkeiten demütig in Empfang nehmen oder als Kämpfer, die immer bereit sind, die als Feind empfundene Umgebung anzugreifen. Diese Kinder betrachten das Leben und ihre Aufgaben als besondere Schwierigkeiten und es ist leicht zu verstehen, daß ein solches Kind meist darauf bedacht sein wird, seine Grenzen zu wahren, darauf achtend, daß ihm kein Abbruch geschieht und daß es stets mißtrauisch die Umgebung im Auge behält. Belastet durch diese übergroße Vorsicht wird es eine Neigung entwickeln, lieber größere Schwierigkeiten und Gefahren zu wittern, als sich etwa in leichtsinniger Weise dem Schicksal einer Niederlage auszusetzen. Ein weiteres gemeinsames Merkmal dieser Kinder, gleichzeitig ein in die Augen springendes Zeichen ihres weniger entwickelten Gemeinschaftsgefühls, ist die Erscheinung, daß sie mehr an sich denken als an die andern. Man sieht hier klar die ganze Entwicklung. Alle diese Menschen neigen im allgemeinen zu einer pessimistischen Weltanschauung und können ihres Lebens nicht froh werden, wenn sie keine Erlösung von ihrer falschen Lebensschablone finden.

      3. Der Mensch als gesellschaftliches Wesen

       Inhaltsverzeichnis

      Wir waren bestrebt, darauf hinzuweisen, daß wir über die Persönlichkeit eines Individuums nur dann Aufschluß bekommen können, wenn wir es in seiner Situation beurteilen und darin verstehen. Unter Situation haben wir die Stellung des Menschen im Weltall und zu seiner näheren Umgebung verstanden, seine Stellung zu den Fragen, die ihm unausgesetzt begegnen, wie Fragen der Betätigung, des Anschlusses, der Beziehung zu den Mitmenschen. Wir haben auf diesem Wege festgestellt, daß es die auf den Menschen einstürmenden Eindrücke der Umgebung sind, die die Haltung des Säuglings und später des Kindes und des Erwachsenen zum Leben auf das nachhaltigste beeinflussen. Schon nach einigen Monaten der Säuglingszeit kann man feststellen, wie sich ein Kind zum Leben verhält. Eine Verwechslung zweier Säuglinge bezüglich ihrer Haltung zum Leben ist von jetzt an nicht mehr möglich, weil jeder schon einen ausgeprägten Typus vorstellt, der immer deutlicher wird, ohne die Richtung, die ihm einmal anhaftet, zu verlieren. Was sich in der Seele des Kindes entwickelt, wird immer mehr von den Beziehungen der Gesellschaft zum Kinde durchdrungen, es kommt zu den ersten Anzeichen des angeborenen Gemeinschaftsgefühls, zum Aufblühen organisch bedingter Zärtlichkeitsregungen, die

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