Gesammelte Werke. Alfred Adler
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b) Erinnerungen.
b) Erinnerungen. Wir konnten feststellen, daß das in seinen Grundlagen angeborene seelische Organ hinsichtlich seiner Entwicklungsfähigkeit mit dem Zwang zur Tätigkeit und den Tatsachen der Wahrnehmung zusammenhängt. Getragen von der Tendenz, zweckmäßig auf ein Ziel gerichtet zu sein, ist das seelische Organ innig mit der Bewegungsfähigkeit des menschlichen Organismus verbunden. Der Mensch muß alle seine Beziehungen zur Außenwelt in seinem seelischen Organ zusammenfassen und ordnen, und dieses ist nun als ein Organ der Anpassung genötigt, auch alle jene Fähigkeiten zu entwickeln, die zur Sicherung des Individuums nötig sind, die zu seiner Existenz gehören.
Nun ist es klar, daß die individuelle Antwort des seelischen Organs auf die Fragen des Lebens in der seelischen Entwicklung Spuren hinterlassen muß, daß somit auch die Funktionen des Gedächtnisses und der Wertung durch die Anpassungstendenz erzwungen sind. Erst der Bestand von Erinnerungen macht es aus, daß der Mensch für seine Zukunft Vorsorge treffen kann. Wir dürfen schließen, daß alle Erinnerungen eine (unbewußte) Endabsicht in sich tragen, daß sie nicht unbefangen in uns leben, daß sie eine warnende oder aneifernde Sprache sprechen. Harmlose Erinnerungen gibt es nicht. Die Bedeutung einer Erinnerung kann man nur beurteilen, wenn man sich über die Endabsicht klar geworden ist, die ihr zugrunde liegt. Es ist wichtig, warum man sich an gewisse Dinge erinnert und an andere nicht. Und wir erinnern uns an jene Begebenheiten, deren Erinnerung für den Fortbestand einer bestimmten seelischen Richtung wichtig und ersprießlich ist, und wir vergessen jene, deren Vergessen ebenfalls hierfür förderlich ist. Damit ist gesagt, daß auch das Gedächtnis ganz dem Dienst der zweckmäßigen Anpassung an ein vorschwebendes Ziel unterworfen ist. Eine bleibende Erinnerung, mag sie auch irrtümlich sein, und, wie meist in der Kindheit, ein einseitiges Urteil enthalten, kann, wenn es für das angestrebte Ziel förderlich ist, auch aus dem Bereich des Bewußtseins verschwinden und ganz in Haltung, Gefühl und Anschauungsform übergehen.
c) Vorstellungen.
c) Vorstellungen. Noch deutlicher zeigt sich die Eigenart des Menschen in seinen Vorstellungen. Unter Vorstellung versteht man die Wiederherstellung einer Wahrnehmung, ohne daß das Objekt derselben gegenwärtig ist. Sie ist also eine reproduzierte, bloß in Gedanken wieder hervorgerufene Wahrnehmung, welcher Umstand wieder auf die Tatsache der schöpferischen Fähigkeit des seelischen Organs hinweist. Es ist nicht so, als ob die einmal erfolgte und von der schöpferischen Kraft der Seele schon beeinflußte Wahrnehmung nun wiederholt würde, sondern die Vorstellung, die sich ein Mensch macht, ist wieder ganz von seiner Eigenart geformt und ein neues, ihm eigenartiges Kunstwerk. Es gibt nun Vorstellungen, die den gewöhnlichen Grad ihrer Schärfe weit überschreiten und wie Wahrnehmungen wirken, die so scharf hervortreten, als ob sie gar nicht Vorstellungen wären, sondern als ob der abwesende, anregende Gegenstand wirklich vorhanden wäre. Man spricht dann von Halluzinationen, von Vorstellungen, die so auftauchen, als ob sie von einem anwesenden Objekt ausgingen. Die Bedingungen hierfür sind dieselben wie die oben geschilderten. Auch die Halluzinationen sind schöpferische Leistungen des seelischen Organs, geformt nach den Zielen und Zwecken des betreffenden Menschen. Ein Beispiel soll dies besser beleuchten:
Eine junge, intelligente Frau hatte gegen den Willen ihre Eltern geheiratet. Die Abneigung der Eltern gegen die Ehe Schließung war so groß, daß alle Beziehungen zwischen Eltern und Kind abgebrochen worden waren. Im Laufe der Zei war die Frau zur Überzeugung gelangt, daß ihre Eltern an ihr nicht richtig gehandelt hatten, doch scheiterten mehrfache Versöhnungsversuche an dem Stolz und Trotz beider Teile. Durch die Eheschließung war die Frau, die aus hochangesehener Familie stammt, in ganz ärmliche Verhältnisse gekommen. Man könnte aber bei oberflächlicher Beobachtung von einer Mißheirat nichts merken und über das Schicksal der Frau beruhigt sein, wenn sich nicht seit einiger Zeit ganz eigentümliche Erscheinungen eingestellt hätten.
Sie war als Lieblingskind des Vaters aufgewachsen. Die Beziehungen der beiden waren so innig, daß es auffallen mußte, wieso es zu einem derartigen Bruch kommen konnte. In Angelegenheit ihrer Ehe nun behandelte der Vater das Mädchen außerordentlich schlecht und der Zerfall der beiden war gründlich. Selbst als ein Kind kam, waren die Eltern nicht zu bewegen, sich dasselbe zu besehen oder sich der Tochter wieder zu nähern, und die Frau, von großem Ehrgeiz beseelt, vertrug die Haltung ihrer Eltern deshalb so schlecht, weil es sie schmerzlich berührte, in einer Frage, in der sie sichtlich recht hatte, Unrecht bekommen zu haben.
Man muß sich vor Augen halten, daß die Stimmung der Frau völlig unter dem Einfluß ihres Ehrgeizes stand. Erst dieser Charakterzug erklärt, warum sie das Zerwürfnis mit den Eltern so schlecht vertrug. Ihre Mutter war eine strenge, rechtliche Frau, die sicher wertvolle Qualitäten hatte, aber dem Mädchen gegenüber eine strenge Hand bekundete. Sie verstand es auch, äußerlich wenigstens, sich dem Manne unterzuordnen, ohne dabei ihren Rang einzubüßen. Selbst diese Unterwerfung betonte sie mit einem gewissen Stolz und rühmte sich ihrer. Der Umstand, daß in der Familie auch noch ein Sohn auftauchte, der als männlicher Sproß und künftiger Erbe des angesehenen Namens eine gewisse höhere Wertung gegenüber dem Mädchen erlangte, stachelte den Ehrgeiz der letzteren noch besonders auf. Die Schwierigkeiten und die Notlage, in die das Mädchen, die so etwas bisher nie gekannt hatte, durch die Ehe geraten war, brachten es mit sich, daß sie mit immer steigendem Unmut an das Unrecht der Eltern dachte.
Eines Nachts nun, als sie noch nicht eingeschlafen war, hatte sie folgende Erscheinung: Die Tür ging auf, die Mutter Gottes trat zu ihr und sagte: »Weil ich dich so gern habe, teile ich dir mit, daß du Mitte Dezember sterben wirst; du sollst nicht unvorbereitet sein.«
Die Frau war darüber zwar nicht erschreckt, weckte aber ihren Mann, dem sie alles erzählte. Am nächsten Tag erfuhr es der Arzt. Es war eine Halluzination. Die Frau beharrte darauf, richtig gesehen und gehört zu haben. Das ist auf den ersten Blick unverständlich. Erst wenn wir unseren Schlüssel anwenden, können wir gewisse Aufschlüsse erhalten. Es besteht ein Zerwürfnis mit den Eltern, die Frau befindet sich in Not, sie ist ehrgeizig und hat, wie die Untersuchung ergibt, die Neigung, allen überlegen zu sein. Da ist es verständlich, wenn ein Mensch in seinem Streben, über die ihm gegebene Sphäre hinauszugreifen, sich der Gottheit nähert und mit ihr Zwiesprache hält. Man denke, die Mutter Gottes wäre nur in der Vorstellung geblieben, wie es bei Betenden der Fall ist. Niemand würde daran etwas Besonderes finden. Das genügt ihr daher nicht, sie braucht stärkere Argumente. Wenn wir verstehen, daß die Seele derartiger Kunststücke fähig ist, dann verliert die Angelegenheit alles Rätselhafte. Und ist nicht jeder Mensch, der träumt, in einer ähnlichen Lage? Der Unterschied ist eigentlich nur, daß diese Frau wachend träumen kann. Wir müssen hinzurechnen, daß ihr Ehrgeiz gegenwärtig durch ein Gefühl der Demütigung ganz besonders angespannt ist. Und da fällt uns auf, daß jetzt tatsächlich eine andere Mutter zu ihr kommt, und zwar jene, von der das Volk annimmt, daß sie eine gütigere Mutter sei. Diese Mütter müssen zueinander in einem gewissen Gegensatz stehen. Die Mutter Gottes ist erschienen, weil die eigene Mutter nicht gekommen ist. Die Erscheinung weist auf die mangelnde Liebe der eigenen Mutter hin. Die Frau sucht sichtlich nach einem Ausweg, wie sie ihre Eltern am besten ins