Gesammelte Werke. Alfred Adler

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Gesammelte Werke - Alfred  Adler

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der menschlichen Gesellschaft zu sichern, und fühlt deutlich die Notwendigkeit dieses Zusammenhanges.

      3. Sicherung und Anpassung

       Inhaltsverzeichnis

      Auf Grund der bisherigen Ausführungen müssen wir feststellen: Vom Standpunkt der Natur aus gesehen ist der Mensch ein minderwertiges Wesen. Aber diese Minderwertigkeit, die ihm anhaftet, die ihm als ein Gefühl des Verkürztseins und der Unsicherheit zum Bewußtsein kommt, wirkt als ein fortwährender Reiz, einen Weg ausfindig zu machen, um die Anpassung an dieses Leben zu bewerkstelligen, vorzusorgen, sich Situationen zu schaffen, wo die Nachteile der menschlichen Stellung in der Natur ausgeglichen erscheinen. Und da war es wieder sein seelisches Organ, das die Fähigkeit hatte, die Anpassung und Sicherung durchzuführen. Viel schwerer wäre es gewesen, aus diesem ursprünglichen Tiermenschen durch Zuhilfenahme von Wachstums­erscheinungen, wie Hörnern, Kraller. oder Zähnen ein Exemplar zu erzeugen, das der feindlichen Natur hätte standhalten können. Wirklich rasch konnte nur das seelische Organ Hilfe schaffen, welches ersetzte, was dem Menschen an organischer Wertigkeit fehlte. Und gerade der Reiz, der von dem ununterbrochenen Gefühl der Unzulänglichkeit ausging, machte es aus, daß der Mensch eine Voraussicht entwickelte und seine Seele zu einer Entwicklung brachte, wie wir sie heute als Organ des Denkens, Fühlens und Handelns vorfinden. Und da bei diesen Hilfen, bei diesen Anpassungs­bestrebungen auch die Gesellschaft eine wesentliche Rolle spielte, mußte das seelische Organ von Anfang an mit den Bedingungen der Gemeinschaft rechnen. Alle seine Fähigkeiten sind auf einer Grundlage entwickelt, die den Einschlag eines gesellschaftlichen Lebens in sich tragen. Jeder Gedanke des Menschen mußte so beschaffen sein, daß er einer Gemeinschaft gerecht werden konnte.

      Wenn man sich nun vorstellt, wie der Fortschritt weiterging, dann kommt man zu den Ursprüngen der Logik, die in sich die Forderung der Allgemeingültigkeit trägt. Logisch ist nur, was allgemeingültig ist. Ein weiteres deutliches Resultat des gemeinschaftlichen Lebens finden wir in der Sprache, einem Wunderwerk, das den Menschen vor allen andern Lebewesen auszeichnet. Man kann sich von einer Erscheinung, wie sie die Sprache ist, den Begriff der Allgemeingültigkeit nicht wegdenken, was darauf hinweist, daß sie im sozialen Leben der Menschen ihren Ursprung hat. Sprache ist für ein einzeln lebendes Wesen ganz überflüssig. Sie rechnet mit dem gemeinsamen Leben der Menschen, sie ist ein Produkt desselben und Bindemittel zugleich. Ein starker Beweis für diesen Zusammenhang liegt darin, daß Menschen, die unter Bedingungen aufwachsen, unter denen der Anschluß an andere Menschen erschwert oder verwehrt ist oder die diesen Anschluß selbst verweigern, fast regelmäßig an ihrer Sprache und Sprachfähigkeit Mangel leiden. Es ist, als ob dieses Band nur gebildet und erhalten werden könnte, wenn der Kontakt mit der Menschheit gesichert ist. Die Sprache hat eine überaus tiefe Bedeutung für die Entwicklung des menschlichen Seelenlebens. Logisches Denken ist nur möglich unter der Voraussetzung der Sprache, die uns durch die Möglichkeit der Begriffsbildung erst in die Lage versetzt, Unterscheidungen vorzunehmen und Begriffe zu schaffen, die nicht Privateigentum sind, sondern Gemeingut. Auch unser Denken und Fühlen ist nur begreiflich, wenn man Allgemeingültigkeit voraussetzt, und unsere Freude am Schönen erhält ihre Grundlage nur durch das Verständnis, daß das Gefühl und die Anerkennung für das Schöne und Gute Gemeingut sein muß. So kommen wir zu der Erkenntnis, daß die Begriffe von Vernunft, Logik, Ethik und Ästhetik nur in einem gemeinschaftlichen Leben der Menschen ihren Ursprung haben können, daß sie aber gleichzeitig auch die Bindemittel sind, welche die Kultur vor Verfall zu schützen haben.

      Aus der Situation des einzelnen Menschen ist auch sein Wollen zu begreifen. Der Wille stellt nichts anderes vor als eine Regung, aus einem Uefühl der Unzulänglichkeit zu einem Gefühl der Zulänglichkeit zu gelangen. Diese Linie vorschweben fühlen und betreten, heißt »wollen«. Jedes Wollen rechnet mit dem Gefühl der Unzulänglichkeit, der Minderwertigkeit und löst den Zwang aus, die Neigung, einen Zustand der Sättigung, der Zufriedenheit, der Vollwertigkeit anzustreben.

      4. Gemeinschaftsgefühl

       Inhaltsverzeichnis

      Wir verstehen nun, daß jene Spielregeln, Erziehung, Aberglaube, Totem und Tabu, Gesetzgebung, die notwendig waren, um den Bestand des Menschengeschlechtes zu sichern, wieder in erster Linie der Gemeinschaftsidee gerecht werden mußten. Wir haben es bei den religiösen Einrichtungen gesehen, wir finden die Forderungen der Gemeinschaft in den wichtigsten Funktionen des seelischen Organes und finden sie wieder in den Forderungen des Lebens des Einzelnen wie in jenen der Allgemeinheit. Was wir Gerechtigkeit nennen, was wir als die Lichtseite des menschlichen Charakters betrachten, ist im wesentlichen nichts anderes als Erfüllung von Forderungen, die aus dem gemeinsamen Leben der Menschen erflossen sind. Sie sind es, die das seelische Organ geformt haben. So kommt es, daß Verläßlichkeit, Treue, Offenheit, Wahrheitsliebe u. dgl. eigentlich Forderungen sind, die durch ein allgemein gültiges Prinzip der Gemeinschaft aufgestellt und gehalten werden. Was wir einen guten oder schlechten Charakter nennen, kann nur vom Standpunkt der Gemeinschaft aus beurteilt werden. Charakter, wie jede Leistung wissenschaftlicher Natur, politischen Ursprungs oder künstlerischer Art werden sich immer nur dadurch als groß und wertvoll erweisen, daß sie für die Allgemeinheit von Wert sind. Ein Idealbild, nach dem wir den Einzelnen messen, kommt nur unter Berücksichtigung seines Wertes, seines Nutzens für die Allgemeinheit zustande. Womit wir den Einzelnen vergleichen, ist das Idealbild eines Gemeinschaftsmenschen, eines Menschen, der die vor ihm liegenden Aufgaben in einer allgemeingültigen Art bewältigt, eines Menschen, der das Gemeinschaftsgefühl so weit in sich entwickelt hat, daß er — nach einem Ausspruch von Furtmüller — »die Spielregeln der menschlichen Gesellschaft befolgt«. Es wird sich im Verlaufe unserer Ausführungen erweisen, daß kein vollsinniger Mensch ohne Pflege und hinreichende Betätigung des Gemeinschaftsgefühls aufwachsen kann.

      III. Kapitel:

       Kind und Gesellschaft

       Inhaltsverzeichnis

      Die Gemeinschaft setzt eine Anzahl von Forderungen und beeinflußt dadurch alle Normen und Formen unseres Lebens, somit auch die Entwicklung unseres Denkorganes. Sie ist auch organisch fundiert. Die Anknüpfungspunkte für die Gemeinschaft liegen schon in der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen und erst eine Gemeinschaft, nicht die Isolierung ist imstande, dem Lebensdrang des Einzelnen zu genügen, ihm Sicherheit und Lebensfreude zu gewährleisten. Bei der Betrachtung der langsamen Entwicklung des Kindes läßt sich feststellen, daß an eine Entfaltung menschlichen Lebens nur gedacht werden konnte, sobald eine schützende Gemeinschaft vorhanden war. Ferner brachten es die Verbundenheiten des Lebens mit sich, daß eine Arbeitsteilung geschaffen wurde, die nicht eine Trennung der Menschen bewirkt, sondern ihr Zusammenhalten. Jeder hat die Aufgabe, dem andern in die Hände zu arbeiten, er muß sich dem andern verbunden fühlen, und so kommen die großen Zusammenhänge zustande, die sich in der Seele des Menschen irgendwie als Forderungen vorfinden. Einigen dieser Verbundenheiten, die das Kind bereits vorfindet, wollen wir im folgenden nachgehen.

       1. Die Lage des Säuglings

       2. Einwirkung von Schwierigkeiten

       3. Der Mensch als gesellschaftliches Wesen

      1. Die Lage

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