Gesammelte Werke. Alfred Adler
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Alfred Adler страница 71
Die weitere Untersuchung ergab folgendes: Der junge Mann hatte ein Ziel vor Augen, das er mit heftigem Ehrgeiz verfolgte. Er war bisher der Erste gewesen und wollte es auch weiterhin bleiben. Zur Erreichung dieses Zieles stehen nun verschiedene Mittel zu Gebote, wie Konzentration, Fleiß u. dgl. Offenbar war ihm das zu wenig. Er suchte außerdem krankhaft alles ihm überflüssig Scheinende aus seinem Leben auszuschalten. Wohl hätte er sich ausdrücklich bewußt sagen können: »Da ich berühmt werden und mich daher ganz meinen wissenschaftlichen Arbeiten widmen will, bin ich genötigt, mich auch jeder gesellschaftlichen Beziehung zu entschlagen.« Das hat er aber weder gesagt noch gedacht, sondern er richtete zu diesem Zweck sein Augenmerk auf die Kleinigkeit seiner angeblichen Häßlichkeit. So hat die Hervorhebung dieses geringfügigen Umstandes für ihn den Wert, daß sie ihm gestattete, was er in Wirklichkeit wollte. Er mußte nur die nötige Verve aufbringen, um falsch zu argumentieren, übertrieben zu begründen, um sein geheimes Ziel verfolgen zu können. Jeder hätte dasselbe sofort durchschaut und verstanden, wenn er gesagt hätte, er wolle, um der Erste zu werden, wie ein Asket leben. Obwohl ihm der Gedanke, eine erste Rolle spielen zu wollen, innerlich vertraut war, war in seinem Bewußtsein nichts davon zu finden, denn den Gedanken, daß er für dieses Ziel alles andere in die Schanze schlagen wolle, hat er nicht gedacht. Hätte er sich bewußt vorgenommen, seinem Ziel alles zu opfern, so wäre er lange nicht so sicher gewesen als dadurch, daß er sagte, er sei ein häßlicher Mensch und dürfe nicht in die Gesellschaft gehen. Auch macht sich einer, der offen sagt, er wolle der Erste sein und wolle daher auf mitmenschliche Beziehungen verzichten, vor seiner Umgebung lächerlich und würde auch selbst vor diesem Gedanken erschrecken. Dieser Gedanke ist als solcher nicht denkfähig. Es gibt Gedanken, die man der andern und auch seiner selbst wegen nicht klar fassen will. Daher ist ihm dieser Gedanke mit Recht unbewußt geblieben.
Macht man einem solchen Menschen diese Haupttriebfeder klar, die er sich selbst nicht klarmachen durfte, um sein Verhalten beibehalten zu können, dann stört man natürlich seinen ganzen seelischen Mechanismus. Denn nun tritt das ein, was er ja verhindern mußte, das Klarwerden eines Gedankenganges, der nicht gedacht werden kann, der denkunfähig ist und dessen Bewußtwerden sein Vorhaben stören würde. Überlegt man diese Erscheinung, die darin besteht, daß jemand Gedanken beiseite schiebt, die ihn hindern, und jene aufgreift, die ihn in seiner Stellungsnahme fördern, so wird man finden, daß das eine allgemein menschliche Erscheinung ist. Denn alle Menschen erwägen meist nur Dinge, die für ihre Anschauung und Einstellung förderlich sind. Bewußt wird also, was uns fördert und unbewußt bleibt, was unsere Argumentation stören könnte.
Der zweite Teil betrifft einen sehr fähigen Jungen, dessen Vater Lehrer war und seinen Sohn mit großer Strenge dazu drängte, immer der Erste zu sein. Auch in diesem Fall war der Primat des jungen Menschen unangefochten. Wo er auftrat, war er derjenige, der am besten beschlagen war. In der Gesellschaft war er einer der liebenswürdigsten Menschen und hatte auch einige Freunde.
Ungefähr in seinem 18. Lebensjahr trat nun eine große Veränderung ein. Er zog sich von allem zurück, nichts freute ihn mehr, er war verdrossen und mißmutig. Kaum hatte er eine Freundschaft geschlossen, ging sie schon wieder in Brüche. Jeder nahm an seinem Verhalten im Leben Anstoß bis auf seinen Vater, dem das zurückgezogene Leben seines Sohnes insofern gelegen kam, als er dabei hoffte, er werde sich dadurch um so besser dem Studium hingeben können.
Bei der Behandlung beklagte sich der Junge fortwährend, daß ihm sein Vater das Leben verleidet habe, daß er kein Selbstvertrauen und keinen Lebensmut aufbringen könne und daß ihm nur übrig bleibe in der Einsamkeit sein Leben zu vertrauern. Seine Fortschritte im Studium hatten schon nachgelassen und er war an der Hochschule durchgefallen. Wie er erzählt, hatte die Veränderung damit begonnen, daß er einmal in der Gesellschaft wegen seiner geringen Kenntnisse in der modernen Literatur verlacht worden war. Als sich Ähnliches öfters wiederholte, begann er sich immer mehr zu isolieren und von allen menschlichen Beziehungen Abstand zu nehmen. Dabei war er völlig von dem Gedanken beherrscht, daß es sein Vater sei, der die Schuld an seinem Mißerfolg trage. Das Verhältnis zwischen beiden wurde täglich schlechter.
Die beiden Fälle sind einander in mancher Beziehung ähnlich. Im ersten Fall war der Patient am Widerstand seiner Schwester gescheitert, hier war es der Vater, mit dem ein kämpferisches Verhältnis bestand. Beide Patienten hatten als Leitlinie ein Ideal, das wir als Heldenideal zu bezeichnen pflegen. Beide waren in ihrem Heldenrausch so ernüchtert worden, daß sie am liebsten die Flinte ins Korn geworfen und sich gänzlich zurückgezogen hätten. Man würde aber fehlgehen, wenn man meinte, der letztere hätte sich eines Tages gesagt: »Da ich dieses Heldendasein nicht weiterführen kann, da mir andere überlegen sind, ziehe ich mich zurück und werde mir das ganze Leben verbittern.« Gewiß hatte sein Vater unrecht, die Erziehung war schlecht. Es war auffällig, daß er für nichts anderes Augen hatte, als für diese seine schlechte Erziehung, die er immer wieder betonte. Dadurch aber, daß er sich auf diesen Standpunkt stellte, sich immerfort auf die Erkenntnis seiner schlechten Erziehung stützte, wollte er sich als berechtigt ansehen, sich zurückzuziehen. Damit erreichte er, daß er nun keine Niederlagen mehr erlitt und daß er die Schuld für sein Unglück immer dem Vater zuschieben konnte. So gelang es ihm, sich einen Teil seines Selbstbewußtseins und seiner Geltung zu retten. Er hatte ja immerhin eine glänzende Vergangenheit und sein weiterer Siegeslauf war nur durch die fatale Tatsache aufgehalten worden, daß ihn sein Vater durch eine schlechte Erziehung in seiner Entwicklung behindert hätte.
Somit war in ihm ungefähr folgender Gedankengang unbewußt geblieben: »Da ich jetzt näher an der Front des Lebens stehe und sehe, daß es mir nicht mehr so leicht sein wird, der Erste zu sein, will ich alles daransetzen, um mich vom Leben zurückzuziehen.« Dieser Gedanke ist aber denkunfähig, kein Mensch wird sich so etwas sagen. Aber dennoch kann ein Mensch so handeln, wie wenn er einen solchen Gedanken planmäßig ins Auge gefaßt hätte. Das bewerkstelligt er so, daß er andere Argumente aufgreift. Durch fortwährende Beschäftigung mit den Erziehungsfehlern seines Vaters gelingt es ihm, der Gesellschaft und den Entscheidungen des Lebens auszuweichen. Das Bewußtwerden des obigen Gedankenganges hätte ihn bei seinem geheimen Vorhaben nur gestört, er mußte daher unbewußt bleiben. Er konnte sich ja nicht sagen, er sei ein unfähiger Mensch, denn er hatte eine glänzende Vergangenheit. Wenn er jetzt keine Triumphe erreichte, so konnte nicht er daran schuld sein. Und da bot sich ihm die Gelegenheit, durch sein Verhalten gleichsam einen Beweis für die schlechte Erziehung des Vaters zu führen. Er war Richter, Kläger und Angeklagter in einer Person und diese Stellung sollte er auslassen? Er übersah, daß der Vater eben nur so lange schuld war, als es der Sohn wollte, als dieser den Hebel, den er in der Hand hatte, gebrauchte.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте