Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
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Sahst du je ein liebendes Paar
sich vereinen zu seligem Kuss,
sahst du je der Mutterlippe
stummes Segengebet des Kindes
reinen Scheitel inbrünstig weihen,
sahst du je die stille Flamme
heiliger Freundschaft im Kusse brennen –
oh dann sang auch deine Seele,
stammelte schauernd die süsse Gewißheit:
Auf allen Sternen ist Liebe!
Trunken bin ich von diesem Liede,
das aus der Harfe der Ewigkeit hallt.
Oh meine Brüder auf wandelnden Welten,
deren Sonnen purpurne Kränze
um die Muttersonne des Alls
ewigen Rhythmus' Sturmschwung reisst,
grüssen lasst euch durch Aeonen!
Tausendgestaltiger Sterblicher Hymnen
Ein' ich des Menschengeschlechts Dithyrambe.
Auf allen Sternen ist Liebe!
Liebe! Liebe! durch die Unendlichkeit
ausgegossen, ein Strom erlösenden Lichts,
in das Nichts, die Nacht der Herzen
deine glühenden Wogen schlagend –
hebend aus dem Dumpfen das Heilige –
aus dem Chaos rettend und schaffend den Gott –
Gottheit auf die Stirn dem Menschen
prägend und ins schimmernde Aug ihm
Gottheit senkend – Liebe! Liebe!
Auf allen Sternen ist Liebe!
Liebe! Liebe! bist du die Mutter auch
aller Schmerzen, aller der Lebensqual,
wer erträgt um dich nicht alles,
stolzen Mutes, ein Held, ein Ringer!
Heilig sprechen wir Hass und Leid und Schuld,
denn wir lassen von dir nicht, oh Liebe!
Träges Verschlummern lockt uns nicht,
Leben und Tod soll ewig dauern,
denn wir wollen dich ewig, oh Liebe!
Auf allen Sternen ist Liebe!
Erden werden zu Eis erstarren
und ineinander stürzen,
Sonnen die eigene Brut verschlingen,
tausend Geschlechter und aber tausend
werden in Staub und Asche fallen:
aber von Ewigkeit zu Ewigkeit
bricht aus unzähliger Lebenden Brüsten
dreimal heilig und hehr das hohe Lied,
dreimal heilig des Lebens Preisgesang:
Auf allen Sternen ist Liebe!
ZWISCHEN WEINEN UND LACHEN
Zwischen Weinen und Lachen
schwingt die Schaukel des Lebens.
Zwischen Weinen und Lachen
fliegt in ihr der Mensch.
Eine Mondgöttin
und eine Sonnengöttin
stossen im Spiel sie
hinüber, herüber.
In der Mitte gelagert:
Die breite Zone
eintöniger Dämmerung.
Hält das Helioskind
schelmisch die Schaukel an,
übermütige Scherze,
weiche Glückseligkeit
dem Wiege-Gast
ins Herz jubelnd,
dann färbt sich rosig,
schwingt er zurück,
das graue Zwielicht,
und jauchzend schwört er
dem goldigen Dasein
dankbare Treue.
Hat ihn die eisige Hand
der Selenetochter berührt,
hat ihn ihr starres Aug,
Tod und Vergänglichkeit redend,
schauerlich angeglast,
dann senkt er das Haupt,
und der Frost seiner Seele
ruft nach erlösenden Tränen.
Aschfahl und freudlos
nüchtert ihm nun
das Dämmer entgegen.
Wie dünkt ihm die Welt nun
öde und schal.
Aber je höher die eine Göttin
die Schaukel zu sich emporzieht –
je höher
schiesst sie auch drüben empor.
Höchstes Lachen
und höchstes Weinen,
eines Schaukelschwungs
Gipfel sind sie.
Wenn die Himmlischen endlich
des Spieles müde,
dann wiegt sie sich
langsam aus.