Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
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An Friedrich Nietzsche
Die Park-Kapelle spielte »Lohengrin«.
Da löste sich mein Blut zu jähem Gang,
daß heiß und weh das Herz mir überschwoll.
Auch Du hast jene Töne ja geliebt
und einst voll tiefen Dursts in dich getrunken,
auch Du an ihnen zitternd dich berauscht,
wie ich mich heute zitternd dran berausche.
O Du! ...
Und unter tausenden, die stumpf
ihr kaltes Ich behaglich wiederkäuten,
hab ich, mit starren, unerschlossnen Mienen,
in innern Tränen fassungslos geweint.
Refugium
Flieh um so tiefer in dich selbst zurück,
als du dich keinem recht enträtseln kannst ...
Verhäng die Fenster deiner Seele
mit dichtgeknüpften Alltagsphrasen!
Mit lauem Lächeln stehn sie um dich her
und rühren hier und tasten dort dich an –
Gib acht! Bedroht sind deine Schätze
von tempelschänderischen Fingern.
Verbirg dich im Gewölb des Frühgewölks
und in des Abends langem Schattenwurf,
am liebsten aber in der Nächte
hochherrlich ausgespannten Zelten.
Dort wanderst du allein mit deinem Schmerz
und schmückst die Erde ungestraft mit Lust,
aus deines Geistes grünen Körben
ein unerschöpflicher Verschwender.
An Sirmio 1
(Kartulls Ode)
Kaum glaub ichs noch! Katull, du bist daheim!
Daheim auf deinem lieben Sirmio!
Oh Sirmio, Sirmio, Kronjuwel Neptuns!
In allen Meeren, Strömen, Seen sucht
Deingleichen man umsonst: Kein Vorgebirg,
kein Halbeiland, kein Eiland kommt dir gleich!
Wie gern bin ich zu dir zurück geeilt!
Wie schön, die Sorg und all den fremden Kram,
der mir nichts ist, im Rücken weit, weit, weit,
am eignen Tisch, im eignen Bett zu ruhn!
Das ist doch noch ein Lohn nach so viel Plag!
Mein Zauber-Sirmio, freust du dich denn auch?
Und du, mein See, brandest du mir Willkomm?
Ja, alles lacht und ruft: Katull ist da!
Fußnoten
1 Sirmio (heute Sermione), Halbinsel im Süden des Gardasees, mit einer Villa des Katull.
Auf der piazza Benacense
(Riva am Gardasee)
Den Nacken hoch, Germane!
Diese Gassen
trat deines Ahns
geschienter Herrenfuß.
Hier eben, wo ich schreite,
schritt auch er,
geehrt vom Italer,
und seiner Weiber
Gebet und Furcht.
Ich blonder Enkel bin
kein Fremder hier;
der Bursch dort teilt vielleicht
uralte Vaterschaft
mit meinem Blut.
Wie mir das Herz schlägt,
töricht laut und stark!
Es ist ein Stolz
um alte Volkheit doch, –
und warens Bären auch,
die hier als Gäste
des schönsten Reichs gehaust ––
der Enkel hegt,
nicht ihren Grimm,
doch ihre Kraft noch heut.
Den Nacken hoch, Germane!
Felskastelle
des Berner Dietrich
und des großen Karl
erzählen heut
von alten Siegen noch,
und schwarze Augen
brenne heut noch heißer,
wenn sie des Nordens
blauer