Geliebte Stimme. Barbara Cartland
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Susanna preßte die Hände zusammen.
„Aber Sie werden nicht mehr da sein, um mir dabei zu helfen“, sagte sie tonlos.
Wieder schwieg Miss Harding einen Moment, bevor sie antwortete: „Ich bin immer der festen Überzeugung gewesen, wenn man etwas wirklich will, findet man auch jemand, der einem dabei hilft, es zu erreichen. Wenn es kein Mensch ist, dann können es Bücher sein, gute Musik oder ein Gebet, das uns Kraft gibt. Wir sind niemals ganz allein.“
Susanna schwieg einen Augenblick lang und sagte dann: „Ich verstehe, was Sie mir damit sagen wollen, aber es wird sehr, sehr schwer werden, denn ich werde kaum jemand finden, der mir gegen Mamas Freundeskreis beisteht.“
Miss Harding war der gleichen Meinung, sprach es aber aus Taktgefühl nicht aus, sondern betonte noch einmal: „Du mußt an dich selbst glauben, Susanna, und dir deinen eigenen Weg suchen, die Richtung, die du einschlägst, selbst bestimmen. Gerade weil ich dich so gut kenne, weiß ich, daß du in diesem Bemühen nicht scheitern wirst.“
„Ihnen zuliebe“, fügte Susanna leise hinzu.
„Ich werde immer an dich denken“, versprach ihr Miss Harding. „Du sollst wissen, daß ich noch nie eine Schülerin so liebgewonnen habe wie dich und daß es auch noch keine gab, in die ich so große Hoffnungen gesetzt habe wie in dich.“
Diese Worte trieben Susanna erneut Tränen in die Augen, aber es waren keine Tränen der Verzweiflung, sondern der Freude, denn bisher hatte noch niemand ein Lobeswort für sie gefunden.
Als Miss Harding sich verabschiedete hatte Susanna wieder geweint, denn sie fühlte sich in ihrem Unglück allein gelassen. Sie hatte das dumpfe Gefühl, ein neues Leben beginnen zu müssen, das ihr völlig fremd und in tiefster Seele zuwider sein würde.
Lady Lavenham war früher als gewöhnlich mit ihr nach London abgereist, um Susanna mit neuer Garderobe auszustatten.
Jeden Tag suchten sie Modehäuser auf und verbrachten endlose, ermüdende Stunden mit dem Aussuchen von Stoffen, Schuhen, Handschuhen, Sonnenschirmen, Hüten und Reizwäsche und mit lästigen Anproben, und das alles in einem Ausmaß, als müsse Susanna eine zwanzigjährige Expedition antreten.
„Ich muß wenigstens versuchen, dich einigermaßen präsentabel erscheinen zu lassen“, hatte ihre Mutter scharf erwidert, als Susanna zu bedenken gab, daß sie doch genügend neue Kleider habe.
In ihrer verletzenden Art hatte ihre Mutter hinzugefügt: „Dein Vater hat mir die Erlaubnis erteilt, soviel Geld auszugeben, wie ich möchte, dafür solltest du wenigstens dankbar sein. Bedauerlicherweise kann ich mit allem Geld der Welt deine Figur und dein Gesicht nicht ändern.“
In Gegenwart ihrer Mutter fühlte sich Susanna besonders unbedeutend und überflüssig. Jede Schaufensterscheibe spiegelte den Unterschied zwischen ihnen beiden wider, und wenn sie auf der Bond Street oder in einem der Modegeschäfte Bekannte ihrer Mutter trafen, dann verriet der Tonfall dieser Leute bei der Begrüßung, wie sie über dieses ungleiche Paar dachten. Wenn es nicht so kränkend für Susanna gewesen wäre, hätte sie sich vielleicht über das ganze Getue lustig machen können.
„Daisy, Liebste!“ riefen sie aus. „Wie reizend du wieder aussiehst! Wie der junge Frühling! Oh, das ist wohl Susanna?“
Bevor sie das sagten, gab es meistens eine vielsagende Pause, die Erschrecken über das unvorteilhafte Aussehen von Daisys Tochter verriet.
Susanna wußte auch, daß die Schneiderinnen es im Grunde für reine Zeitverschwendung erachteten, sie herauszuputzen, und nur deshalb gute Miene zum bösen Spiel machten, weil sie ihr Bemühen, das häßliche Entlein wenigstens einigermaßen auszustaffieren, durch gesalzene Rechnungen wettmachen konnten.
Sie schnürten sie so eng in das mit Fischbeinstäbchen versehene Korsett ein, daß ihr beinahe die Luft wegblieb, packten sie in Mieder und Untertaillen mit Rüschen und Stickereien und erreichten mit all dem Firlefanz doch nur, daß Susanna plump wirkte wie eh und je.
Haarkünstler kamen ins Haus, um neue Frisuren an ihr auszuprobieren, die kleidsamer waren, aber das Urteil ihrer Mutter fiel jedes Mal vernichtend aus, was die Haarkünstler mit vielsagendem Achselzucken quittierten, das ausdrücken sollte, wie wenig geeignet dieses unattraktive Haar für irgendwelche kunstvolle Kreationen war.
Von einem Geschäft ins andere wurde Susanna in diesem einen Monat in London geschleppt und mußte eine Anprobe nach der anderen über sich ergehen lassen. Der März neigte sich bereits dem Ende zu, und der erste Empfang bei Hofe sollte Anfang April stattfinden.
Sie ertappte sich dabei, wie sie die Tage zählte, bis die Saison vorüber war und sie aufs Land zurückkehren konnten. Dort könnte sie endlich wieder ausreiten und müßte nicht stundenlang in muffigen Modeateliers herumstehen. Sie würde im Garten spazieren gehen können, ohne daß ihre Mutter oder die Haushälterin, die Lady Lavenham gelegentlich als Anstandsdame vertrat, jeden ihrer Schritte überwachten.
Sie vermißte Miss Harding schrecklich. Da sie spürte, daß es ihrer Erzieherin Freude bereiten würde, bestand sie jedes Mal, wenn sie mit irgendjemand ausging, darauf, einen Buchladen aufzusuchen. Nur wenn ihre Mutter bei ihr war, verkniff sie sich diesen Wunsch.
Der Stoß von Büchern in ihrem Schlafzimmer wuchs zusehends an, nur fand sie viel zu wenig Zeit, um alle lesen zu können.
Zum Glück erlaubte man ihr bis zu ihrer Einführung bei Hofe nicht, an den Abendgesellschaften im Haus teilzunehmen. Sie durfte das Abendessen nur unten im Speisezimmer einnehmen, wenn ihr Vater und ihre Mutter allein waren oder wenn Verwandte zu Besuch weilten.
Während bei Tisch die neuesten Klatschgeschichten ausgetauscht wurden und Susanna sich redlich bemühte, zu begreifen, worüber sie redeten und welche Skandalgeschichte sie mit gesenkter Stimme durchhechelten, hatte sie oft das Gefühl, einer fremden Sprache zu lauschen, die sie nur unvollkommen beherrschte. Zuweilen kam es ihr auch so vor, als läse sie einen billigen Roman.
Die Tatsache, daß Henry Isobel den Laufpaß gegeben hatte, nachdem er ihr über ein Jahr lang den Hof gemacht hatte, wäre für Susanna vielleicht ganz aufschlußreich gewesen, wenn sie gewußt hätte, wer Henry und Isobel überhaupt waren.
Und daß ein gewisser Bertie auf Großwildjagd gegangen war, weil er eines Tages früher als erwartet nach Hause gekommen war und seinen schon lange gehegten Verdacht bestätigt fand, sagte ihr überhaupt nichts.
Ach, wären wir doch erst wieder in Lavenham, dachte sie sehnsüchtig.
Der Gedanke an all die Schönheiten der Natur, das Flimmern der Sonnenstrahlen auf dem Wasser des Sees, den Duft der Wälder und den blauen Dunst über den Bergen war für sie wie ein Strohhalm, an den sich ein Ertrinkender klammert.
Doch jetzt war ihr auf erschreckende, niederschmetternde Weise begreiflich gemacht worden, daß sie nie wieder nach Hause zurückkehren würde. Man würde sie mit dem Herzog vermählen, wie es damals mit May geschehen war, und sie all der Dinge berauben, mit denen sie vertraut war, die ihr in ihrer kleinen freudlosen Welt ein wenig Geborgenheit vermittelt hatten.
Das ist unmöglich. Ich kann es nicht ertragen.