Reisen zur Entdeckung des Nils. James Bruce
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Reisen zur Entdeckung des Nils - James Bruce страница 3
Im März 1763 trat Bruce schließlich seinen Dienst als Diplomat in Algier an; über zwei Jahre blieb er in dieser Funktion – mit wenig Geschick und Eifer, wie es scheint. Briefe berichten von endlosen Streitereien im diplomatischen Korps, sein Nachfolger auf dem Posten beklagte sich bitter über das von Bruce hinterlassene Chaos.
Seine Zeit verbrachte er hauptsächlich mit dem Erlernen der arabischen und der griechischen Sprache, auch die Grundbegriffe des Amhara und des Tigre, zweier wichtiger äthiopischer Idiome, eignete er sich im Selbststudium an. Vor allem aber verschaffte er sich beim königlichen Wundarzt Ball, der ebenfalls im Konsulatsgebäude residierte, profunde medizinische Kenntnisse. In seinen eigenen Worten: »Auf diese Art unterrichtet, schmeichle ich mir, kein größeres Sterben unter den Mohammedanern und Heiden angerichtet zu haben, als man einigen meiner medizinischen Mitbrüder unter ihren Nebenchristen in England zuschreibt.«
Im August 1765 legte Bruce sein diplomatisches Amt nieder und widmete sich fortan seiner weiteren Aufgabe, der Aufnahme der Altertümer des südlichen Mittelmeerraumes. Ein abenteuerlicher und produktiver Zeitabschnitt im Leben des James Bruce sollte beginnen. Ausgedehnte Reisen führten ihn gemeinsam mit Balugani durch Tunesien, in die Berge des Aurès, nach Tripolitanien, in die Cyrenaika und nach Bengasi. Zeichnend und dokumentierend zog Bruce durch unwirtliche Wüsteneien; er wurde vom Fieber geschüttelt, und zweimal – bei einem Überfall räuberischer Beduinen und bei einem Schiffbruch an der libyschen Küste – konnte er nur mit knapper Not das nackte Leben retten. Seine Instrumente gingen dabei zum großen Teil verloren.
Der zweite Teil seines Auftrags führte Bruce nach Kleinasien. Über Kreta und Rhodos gelangte er nach Sidon und Aleppo, von hier zu den antiken Stätten von Byblos, Baalbek und Palmyra. Seine zeichnerischen Arbeiten über diese Ruinenstädte waren von bleibendem Wert für die Nachwelt, wenn auch heute nicht mehr festgestellt werden kann, wie groß der Anteil seines oben erwähnten Assistenten Balugani an diesen Werken war. Nach Bruce’ Rückkehr nach England wurden die Bilder jedenfalls mit Wohlwollen aufgenommen und ihm der Dank des Königshauses für seine dokumentarische Tätigkeit ausgesprochen.
Von besonderer Bedeutung in dieser Zeit war jedoch seine Freundschaft mit Dr. Russel, dem Arzt der englischen Faktorei in Aleppo, der Bruce nicht allein von seinen hartnäckigen Fieberanfällen kurierte, sondern ihm auch zusätzlich medizinische Fähigkeiten vermittelte. James Bruce konnte auf seiner künftigen Forschungsreise durchaus als Arzt auftreten, bei den unsicheren und anarchischen Zuständen in den innerafrikanischen Ländern ein nicht hoch genug zu schätzender Vorteil.
Der Regierungsauftrag war beendet. Man schrieb das Jahr 1768, und Bruce hatte seine Nilquellen nicht vergessen. In fieberhafter Eile begann er in der syrischen Hafenstadt Sidon mit den Vorbereitungen zu der großen Reise. Bruce hatte ausgezeichnete Beziehungen zu maßgeblichen Persönlichkeiten seiner Zeit. Spiegelteleskope kamen aus London, Präzisionsuhren aus Frankreich, und ein Quadrant wurde sogar durch die persönliche Vermittlung Ludwigs XV. aus der Militärakademie in Marseille nach Alexandrien abgeschickt.
Am 15. Juni segelte Bruce auf einem französischen Schiff von Sidon ab, und nach einem kurzen Halt auf Zypern ging er fünf Tage später in Alexandria von Bord, ein Hüne von Gestalt – fast zwei Meter groß eine auffallende, imposante Erscheinung in arabischer Kleidung und mit der Mentalität und den Sitten der einheimischen Bevölkerung vollkommen vertraut. »Yagoube der Arzt« war für das große Abenteuer bereit.
Mit James Bruce beginnt die Epoche der wissenschaftlichen Erkundung Afrikas, die Zeit der großen Entdeckungsreisen besessener Forscher in das Innere des Schwarzen Kontinents. Mit Fug und Recht können wir ihn als ersten neuzeitlichen Afrikareisenden mit rein wissenschaftlichen Interessen betrachten. Sein besonderes Verdienst ist die Erforschung weiter Teile Äthiopiens und die Eröffnung einer neuen Epoche der Äthiopienforschung.
Allerdings muss festgehalten werden, dass Äthiopien zu dieser Zeit keine absolute Terra incognita mehr war. Seit dem vierten Jahrhundert christianisiert, war Äthiopien vierhundert Jahre später von dem sich rasch ausbreitenden Islam umgeben und von der Außenwelt fast hermetisch abgeschlossen. Jahrhundertelang geisterte die Legende vom Priesterkönig Johannes durch das mittelalterliche Europa, die Geschichte von einem unermesslich reichen christlichen Herrscher im tiefen Afrika.
Erst 1439 trat das Land aus seiner Isolation; Vertreter der äthiopischen Kirche nahmen am Konzil in Rom teil. 1482 erreichte der römische Reisende Battiste d’Imola das Land, und wenige Jahre später war es der portugiesische Gesandte Pedro da Covilhão, der an den äthiopischen Hof kam. Es entspann sich ein reger Briefwechsel zwischen Portugal und dem afrikanischen Kaiserreich, das dringend um Hilfe gegen die immer stärker werdenden Bedrohungen durch die islamischen Nachbarn an seinen Grenzen bat. Eine weitere Gesandtschaft Portugals weilte von 1520 bis 1526 am äthiopischen Hof, doch erst 1541 landeten Stefan und Christoforo da Gama, Söhne des großen Entdeckungsreisenden Vasco da Gama, mit vierhundert Soldaten zur Unterstützung des christlichen Reiches an der Küste des Roten Meeres. In der Schlacht gegen Mohammed Granj, den Sultan von Adel (heute Somalia), ließ Christoforo sein Leben. Doch letztlich war das Kriegsglück aufseiten der Äthiopier und ihrer portugiesischen Verbündeten. Die Gefahr einer mohammedanischen Eroberung konnte abgewehrt werden. Im Gefolge der Soldaten kamen die Jesuiten ins Land und begannen mit ihrer fast hundert Jahre dauernden und teilweise recht erfolgreichen Missionstätigkeit.
Unter Kaiser Susenyus wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts der Katholizismus schließlich zur Staatsreligion erhoben. Die Folge waren grausame Glaubenskriege und Gemetzel von unvorstellbaren Ausmaßen, die erst ihr Ende fanden, als sich Kronprinz Fasiladas gegen seinen Vater erhob und 1632 die Macht an sich riss, Gondar zur neuen Hauptstadt machte und alle katholischen Priester und Missionare entweder töten oder aus dem Land jagen ließ. Fasiladas kehrte zum orthodoxen äthiopischen Glauben zurück, und für die abendländische Welt sank das Reich wieder in Vergessenheit. Die Kontakte mit Europa rissen ab, und Äthiopien wurde erneut zu einer unbekannten christlichen Insel im Meer des Islam. Für kurze Zeit erlebte das Land eine neue wirtschaftliche und kulturelle Blüte, jedoch sanken die äthiopischen Regenten bald zu bloßen Schattenkaisern herab, und das Land wurde von den mächtigen Statthaltern der verschiedenen Provinzen regiert, die nur ihre eigenen Interessen verfolgten, sich gegenseitig bekriegten und das äthiopische Reich in Anarchie versinken ließen.
Dies war die Situation im Land, als James Bruce seine Reise in das geheimnisvolle Kaiserreich am Osthorn Afrikas antrat. (Bruce spricht allerdings vom »König«, wenn er den Herrscher Äthiopiens meint.)
Fast fünf Jahre lang war der Forscher unterwegs, ehe er im März 1773 in Marseille wieder europäischen Boden betrat. Keine Nachricht war während dieser Zeit aus den unwirtlichen Gegenden in seine Heimat gelangt. Ein einziger Brief – er enthielt einen Wechsel über einen Geldbetrag, den sich Bruce in Gondar von einem Griechen geliehen hatte – fand seinen Weg nach Kairo. Von seinen Freunden und Verwandten in England wurde er für tot gehalten und sein Besitz schließlich unter die Erben verteilt, was nach seiner Rückkehr eine Flut von Prozessen hervorrief, ehe James Bruce wieder über sein Vermögen verfügen konnte.
Doch dies war nicht der einzige Schicksalsschlag, der den ehrgeizigen Forscher traf.
Es gilt heute als erwiesen, dass James Bruce nicht der erste Europäer an den Quellen des Blauen Nils war. Schon 1613 stand der Jesuitenpater Pedro Páez – möglicherweise auch noch einige andere seiner Glaubensbrüder – an diesem Ort, und einige Jahre später wurden die Berichte darüber auch von Balthasar Tellez und Athanasius Kircher publiziert. Doch die Schriften der Jesuiten waren der europäischen Öffentlichkeit nicht allgemein bekannt, denn die meisten von ihnen waren in den Archiven des Ordens verborgen.
Aber auch auf der von allem unnötigen und fantastischen Zierrat befreiten Afrikakarte des französischen Geografen D’Anville aus dem Jahre 1761 ist die Quelle des Blauen Nils wie auch der genaue Verlauf des Flusses durchaus schon an der richtigen Stelle eingezeichnet,