Reisen zur Entdeckung des Nils. James Bruce
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Читать онлайн книгу Reisen zur Entdeckung des Nils - James Bruce страница 15
Am 15. frühmorgens brach ich mein Zelt abermals ab und bereitete mein Gepäck für den Marsch vor, um zu zeigen, dass wir entschlossen waren, nicht länger zu warten. Um 8 Uhr ging ich zum Naybe, traf ihn fast allein an, und er empfing mich auf eine Art, die man beinahe höflich nennen konnte. Mit ziemlicher Beredsamkeit und einem Schwall von Worten begann er von den Schwierigkeiten unserer Reise zu erzählen, von den Flüssen, Abgründen, Bergen und Wäldern, die wir durchqueren müssten, von den wilden Tieren, die man überall anträfe, und von den unzivilisierten Völkern, die diese Gegenden bewohnten. Die meisten davon seien ihm zum Glück untergeben und er wolle ihnen schon befehlen, uns kein Leid zuzufügen. Er trug zweien seiner Schreiber auf, die dazu erforderlichen Briefe anzufertigen, und ließ Kaffee bringen. Er sprach vom abessinischen König und von Ras Michael und von ihrem Feldzug gegen Fasil, dessen glücklicher Ausgang unwahrscheinlich schien.
Plötzlich trat ein Diener ein, der voll Staub und allem Anschein nach sehr müde war, als ob er in Eile von sehr weit hergekommen wäre. Der Naybe erbrach in großer Verlegenheit und Verwirrung die Briefe, die der Mann brachte. Sie enthielten angeblich die Nachricht, dass sich die Stämme der Hazorta, Shiho und Tora, welche den Teil von Samhar bewohnen, durch welchen unser Weg führen sollte und durch den die Heerstraße von Massaua nach Tigre geht, rebelliert und sich für unabhängig erklärt hätten. Der Naybe befahl darauf den Schreibern, als ob alles verloren wäre, mit den Briefen aufzuhören. Er richtete die Augen gen Himmel und fing mit andächtiger Miene an Gott zu danken, dass wir nicht schon unterwegs wären, weil man es ihm bei aller seiner Unschuld zur Last gelegt hätte, wenn man uns ermordet hätte. So böse ich auch über ein so unverschämtes Possenreißen war, konnte ich mich doch nicht zurückhalten und brach in lautes Gelächter aus. Mit der ernsthaftesten Miene verlangte der Naybe zu wissen, was mich unter solchen Umständen so fröhlich stimmte. »Seit zwei Monaten«, entgegnete ich, »legt Ihr mir allerlei Hindernisse in den Weg und wundert Euch noch, dass ich mich durch einen so plumpen Betrug nicht blenden lasse? Heute früh, bevor ich mein Zelt abbrach, sprach ich in Gegenwart Eures Neffen Achmet mit zwei Männern der Shiho, die eben aus Samhar gekommen waren und Briefe an ihn brachten. Sie sagten, dass alles ruhig sei. Habt Ihr spätere Nachrichten als von diesem Morgen?« Er schwieg eine Zeit lang und sagte dann: »Wenn Ihr Eures Lebens überdrüssig seid, könnt Ihr reisen. Ich will aber meine Schuldigkeit tun und alle, die mit Euch gehen, vor der Gefahr warnen, damit man, wenn ein Unglück geschieht, nicht mir die Schuld geben kann.« – »Wir können«, erwiderte ich, »gar keine so große Anzahl nackter Shiho auf unserem Weg antreffen, die uns anzugreifen wagen, wenn sie nicht durch Euch Nachricht bekommen. Die Shiho haben keine Feuergewehre. Wenn Ihr aber einige von Euren Soldaten mit Gewehren hingeschickt habt, wird man dadurch entdecken, auf wessen Anstiften hin sie kommen. Was uns betrifft, können wir nicht entfliehen. Wir kennen weder das Land noch die Sprache oder die Wasserplätze, wir werden es folglich nicht versuchen. Wir sind im Überfluss mit allen Arten von Feuerwaffen versehen, und Eure Diener in Massaua haben oft genug gesehen, dass wir damit umzugehen wissen. Unser Leben können wir allerdings verlieren, doch werden wir genug Leute auf dem Schlachtfeld hinstrecken, sodass der König und Ras Michael daraus schließen können, wer unsere Mörder waren. Das Übrige wird Janni aus Adowa schon erklären.«
Ich stand plötzlich auf, um fortzugehen. Man kann einem, der diese Nationen nicht durch persönlichen Umgang kennt, unmöglich einen Begriff davon geben, was für vollkommene Meister der Verstellungskunst auch die Plumpesten und Dümmsten unter ihnen sind. Alle Züge des Naybe veränderten sich in einem Augenblick. Nun war die Reihe an ihm, in ein lautes Gelächter auszubrechen, worüber ich ebenso erstaunt war wie er vorher über das meinige. Jede Miene seines verräterischen Gesichts verwandelte sich in ein gefälligeres Wesen und er nahm zum ersten Mal die Haltung eines Mannes an. »Was ich von den Shiho sagte«, hob er an, »geschah nur, um Euch auf die Probe zu stellen. Alles ist ruhig. Es war mir nur daran gelegen, Euch hier zu behalten, um meinen Neffen wieder gesund zu machen. Da Ihr aber zur Abreise fest entschlossen seid, fürchtet Euch nicht, die Straßen sind völlig sicher. Ich will Euch auch einen Führer mitgeben, der Euch sicher geleiten soll, selbst wenn Gefahr vorhanden wäre. Geht nur und bereitet die Arzneien, die Achmet braucht, ich will inzwischen meine Briefe beenden.« Ich willigte gerne ein und bei meiner Rückkehr fand ich alles zum Aufbruch bereit.
Unser Führer war ein junger schöner Mann, den der Naybe mit seiner Schwester verheiratet hatte, obwohl er ein Christ war. Er hieß Salomé. Der übliche Preis für einen solchen Führer sind drei Stück blaues baumwollenes Zeug, dennoch nötigte uns der Naybe, seinem Schwager dreizehn zu versprechen. Nur um einigermaßen gut von ihm wegzukommen, stimmte ich zu.
Vor unserer Abreise sprach ich mit Achmet, welcher mir versicherte, dass Salomé von Natur kein schlechter Mann sei, aber der Naybe mache alle zu so gottlosen Menschen, wie er selber einer sei. Achmet gab mir noch einen Mann mit, der mir zeigen sollte, wo das Zelt aufzuschlagen sei, und sagte, dass er nun unsere endgültige Befreiung selbst übernehmen wolle, denn nach dem Willen des Naybe wäre unsere Abreise nach Gondar noch in weiter Ferne.
11 Auch König Hatze Hannes regierte nur wenige Tage und wurde von Ras Michael vergiftet. Als Bruce in Gondar eintraf, saß bereits Tecla Haimanot, ein Sohn des Hatze Hannes, auf dem Thron.
12 Hier im Sinne von Europäer mit römisch-katholischem Glauben zu verstehen.
13 Schriftgelehrter, Gelehrter.
14 Med.: Ruhr (Darmkrankheit).
15 Pataka ist der seit 1765 für den Handel mit Afrika und Westasien in Österreich geprägte Mariatheresientaler.
16 Waragna Fasil, der große Gegenspieler des Ras Michael, entstammte dem Volk der Gallas (siehe Anm. 30) und war Statthalter der äthiopischen Provinz Damot. Er hatte eine Rebellion angezettelt, als König Joas auf Befehl des Ras Michael ermordet wurde. Sein Kampf richtete sich weniger gegen den neuen König und die Zentralgewalt als gegen Michael persönlich und gegen dessen autoritäre und grausame Politik, ohne dass deshalb Fasil in der Wahl seiner Mittel zimperlicher gewesen wäre als der machthungrige Minister.
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