An der weißen Grenze. Джек Лондон

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу An der weißen Grenze - Джек Лондон страница 4

An der weißen Grenze - Джек Лондон

Скачать книгу

verschwand, fand sie zwischen langstengeligem Löwenzahn und leuchtenden Butterblumen ein Büschel Alaska-Veilchen. Sie warf sich der Länge nach zu Boden, begrub ihr Antlitz in der duftenden Kühle und preßte die purpurne Pracht an sich. Sie schämte sich nicht. Sie war zu den komplizierten Lebensbedingungen der großen Welt, zu ihrem Schmutz und zu ihrer verderblichen Hitze gewandert und war einfach, rein und gesund wiedergekehrt. Und sie freute sich dessen, wie sie jetzt dalag und zurückglitt zu den alten Tagen, als die Welt mit dem Horizont begonnen und geendet hatte und sie über den Paß gereist war, um den Abgrund zu schauen.

      Fronas Kindheit war unter sehr harten Bedingungen verlaufen. Es hatte nur wenige, aber strenge Bindungen für sie gegeben, die sie später den »Brot- und Bettglauben« nannte. Das war, soviel ihr bekannt war, auch der Glaube ihres Vaters gewesen, von dem sie im übrigen wußte, daß sein Name unter den Männern einen guten Klang hatte. Es war der Glaube, mit dem starke, reine Männer jeder Gefahr trotzten oder in den Tod gingen, der Glaube Jacob Welses und Matt McCarthys, der Indianerjungen, mit denen sie gespielt hatte, der Indianermädchen, deren Feldherrin sie im Amazonenkrieg gewesen, der Wolfshunde sogar, die sich in den Strängen mühten und Schlitten über den Schnee zogen. Das war ein gesunder Glaube, greifbar und gut.

      Ein Rotkehlchen zirpte aus dem Birkenwald, ein Rebhuhn schwirrte im Walde auf, ein Eichhörnchen schoß über ihrem Kopf mit sicherem Sprung von einem Baum zum anderen. Der Tag begann. Vom Fluß her, den sie nicht sah, tönten die Rufe der Glücksjäger, die sehr früh das Lager verlassen hatten und anfingen, sich ihren schweren Weg nach Norden zu erkämpfen.

      Als Frona Gras und Blumen lange genug umarmt hatte, stand sie auf und schlug den alten Weg nach dem Lager des Dyea-Stammes ein. Sie begegnete einem Knaben, der bis auf die geflickten Hosen ein nackter Bronzegott war. Er suchte Holz und sah sie bös an. Sie sagte ihm in der Dyea-Sprache guten Morgen, aber er lachte frech, und als sie weiterging, streckte er ihr die Zunge heraus. So war es früher nicht gewesen. Als sie dann einem großen, finster blickenden Sitka-Indianer begegnete, grüßte sie nicht.

      Am Rande des Waldes sah sie das Lager vor sich liegen, aber nicht das alte Lager mit seinen zwanzig oder dreißig Hütten, die unordentlich über das Gelände verstreut waren. An seiner Stelle befand sich da ein mächtiges Dorf. Es reichte bis zum Flußufer hinab, wo die langen Kanus, je zehn oder zwölf in einer Gruppe, lagen. Von weither waren die Stämme hier zusammen gekommen. Sie sah lauter fremde Indianer mit ihren Weibern und Hunden, ihrem Hab und Gut. Frona erkannte Männer aus Juneau und Wrangel, Styx mit brennenden Augen von jenseits des Passes, kriegerische Chilcoots und Eingeborene der Königin-Charlotte-Insel. Die meisten musterten sie finster, fast zornig; ein paar freche Halunken riefen ihr unanständige Worte zu.

      Sie kränkte sich nicht, aber sie stellte mit Trauer fest, daß die Zeiten unter dem patriarchalischen Zepter ihres Vaters vorbei waren. Wie ein scheußlicher Brand war die Zivilisation über dieses Volk hinweggegangen. Durch eine offene Zelttür sah sie ausgezehrte Gestalten im Kreise auf dem Fußboden hocken. Vor dem Zelt lag ein Haufen zerbrochener Flaschen … Zu ihres Vaters Zeit hatten die Indianer kein Feuerwasser und keine Flaschen gekannt. Auf einer Decke, die als Spieltisch diente, verteilte ein weißer Mann mit gemeinen Zügen Spielkarten, Gold- und Silbermünzen kullerten auf der Decke umher. Ein paar Schritte davon schnurrte ein Glücksrad. Indianer, Männer und Frauen, setzten ihre mühsam verdienten Groschen, um prunkvolle Gewinne zu ergattern, die ihnen nichts nützen konnten. Aus Wigwams und Hütten kamen die brüchigen Töne billiger Spieldosen.

      Vor der offenen Tür ihres Wigwams hockte eine alte Squaw im Sonnenschein und schälte Weidenzweige. Als Frona vorbeiging, hob sie den Kopf und stieß einen schrillen Schrei aus. Dann murmelte sie mit zahnlosem Mund:

      »Hi – hi! Tenas Hi-hi!«

      Es durchrieselte Frona bei diesem Wort. »Tenas Hi-hi!« Das war ihr Name gewesen … es bedeutete »das kleine Lachen« … damals, als sie hier unter den Indianern gelebt hatte. Sie drehte sich um und kauerte neben der Alten nieder.

      »Sag rasch, Mutter, sag mir rasch deinen Namen!«

      »So schnell hast du uns vergessen, Tenas Hi-hi? Und doch sind deine Augen jung und scharf. Nipuhsa hat müde alte Augen, aber ihr Herz vergißt nicht so rasch.«

      »Du bist meine alte Nipuhsa!« rief Frona und streichelte die schmutzigen Runzelhände.

      »Freilich bin ich Nipuhsa, die dich in den Armen gewiegt hat! Deinen Namen habe ich dir auch gegeben, kleines Lachen, und wenn die alte Nipuhsa nicht Kräuter für dich gesammelt hätte, für Medizintee, dann wärst du gar nicht hier, denn einmal hat der Tod dich haben wollen. Dein Schatten ist auf mich gefallen, kleines Lachen, da hab' ich gleich gewußt, daß du es bist. Du hast noch dasselbe Haar, wie brauner Tang, und denselben Mund und dieselben Augen. Nipuhsa war oft streng mit dir, wenn dein Mund Worte sprechen wollte, die Lüge waren. Aber du hast immer gewußt, daß Nipuhsa dich lieb hat. Ai, ai! Ganz anders sind die weißen Frauen, die jetzt ins Land kommen!«

      »Hat eine weiße Frau keine Ehre mehr unter euch?« fragte Frona. »Eure Männer werfen böse Dinge in mein Ohr, und sogar die Knaben lachen ein häßliches Lachen, wenn sie mich sehen. So war es nicht, als ich hier ein Kind war.«

      »Ai, ai! Es ist, wie du sagst, kleines Lachen. Aber du mußt kein zorniges Wort auf ihre Häupter werfen. Die weißen Frauen sind schuld daran, die jetzt zu uns kommen. Sie sehen alle Männer mit frechen Augen an; ihre Herzen sind unrein, und sie haben keinen Mann, auf den sie weisen können und sagen: ›Dies ist mein Herr.‹ Deshalb sind deine Frauen unter uns ohne Ehre.«

      Jetzt wurde ein Zeltzipfel gehoben, ein alter Mann trat hervor, grunzte etwas und kauerte sich zu den beiden.

      »So ist Tenas Hi-hi wiedergekommen in diesen schlimmen Tagen«, sagte er mit dünner, zitternder Stimme.

      »Warum sind die Tage schlimm, Muskim?« fragte Frona. »Sind eure Bäuche nicht voll vom Mehl und Fleisch und von dem Proviant des weißen Mannes? Verdienen eure jungen Männer nicht Reichtümer mit Lastentragen und Paddeln? Und bringen sie dir nicht, wie in alter Zeit, ihr Opfer der, Fleisch, Fische und Decken? Haben eure Weiber nicht Tücher in hellen, gleißenden Farben? Warum sind die Tage schlimm?«

      Der alte Medizinmann war erregt. In seine Augen trat ein Schimmer, der an die Glut seiner Mannesjahre gemahnte.

      »Unsere Frauen tragen Tücher in hellen, gleißenden Farben! Aber sie schauen nur nach den Augen der weißen Männer, und die jungen Männer ihres eigenen Blutes sehen sie nicht. Deshalb vermehren unsere Stämme sich nicht; die kleinen Kinder hindern unsere Schritte nicht mehr. Die Bäuche sind voll vom Mehl und Fleisch und vom Proviant des weißen Mannes, aber sie sind noch voller vom Fusel des weißen Mannes. Wohl verdienen unsere jungen Männer Reichtümer mit Lastentragen und Paddeln. Aber sie sitzen nachts beim Kartenspiel und lassen die Dollars wieder dahin rollen, in die Tasche des weißen Mannes, aus der sie gekommen sind. Sie sprechen böse Worte zueinander, heben oft die Fäuste im Zorn, und ihr Blut ist böse geworden. Nur wenige bringen dem alten Medizinmann Opfergaben, Fleisch, Fische und Decken. Die jungen Frauen gehen nicht mehr die alten Wege, die jungen Männer ehren nicht mehr die alten Totems und die alten Götter. Deshalb sind es schlimme Tage, Tenas Hi-hi, und mit Kummer muß der alte Muskim ins Grab gehen.«

      »Ai! Ai! So ist es!« klagte Nipuhsa.

      »Dein Volk ist toll und hat mein Volk toll gemacht«, fuhr Muskim fort. »Es kam wie böser Wind über das salzige Wasser, dein Volk, und es geht – ach – wer weiß, wohin!«

      »Ai, wer weiß, wohin?« jammerte Nipuhsa und schaukelte leise hin und her.

      »Immer gehen sie Frost und Kälte entgegen. Und immer zahlreicher kommen sie, Woge um Woge!«

      »Ai! Ai! Frost und Kälte entgegen! Es ist ein weiter Weg, dunkel und kalt!« Nipuhsa schauerte

Скачать книгу