Visionen: Skizzen und Erzählungen. Oskar Panizza

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Visionen: Skizzen und Erzählungen - Oskar  Panizza

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       Oskar Panizza

      Visionen: Skizzen und Erzählungen

      Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020

       [email protected]

      EAN 4064066115623

       Die Kirche von Zinsblech

       Eine Negergeschichte

       Ein Criminelles Geschlecht

       Der Corsetten-Fritz

       Indianer-Gedanken

       Ein scandalöser Fall

       Der operirte Jud'

       Das Wirthshaus zur Dreifaltigkeit

       Der Goldregen.

       Ein Kapitel aus der Pastoral-Medizin

       Inhaltsverzeichnis

      "Sind angenehm in Leibkleidern als nackend, doch tödtliche Farbe, gehen zertheilt an beiden Orten den Platz hinauf, lassen sich bloß sehen als ob sie erscheinen, ungeredet, und gehen alsdann wieder hinab in das Grab."— LuzernerOsterspiel, Todtenauferstehung.

      Auf einer meiner einsamen Wanderungen durch Tyrol hatte ich mich eines Abends vergangen. In Folge eines am Nachmittag schief gestandenen Wegweisers fand ich mich bei längst eingetretener Dunkelheit noch mitten im Walde, während ich bei untergehender Sonne längst am Orte meines Ziels hätte eintreffen sollen. Ich kam zwar endlich in ein Dorf, welches ich aber weder in dieser Gegend vermuthete, noch, soviel ich mich erinnerte, auf einer meiner Karten verzeichnet stand. Es mochte jetzt gegen elf Uhr Nachts sein. Alle Hausthüren waren verschlossen; die Fensterscheiben schwarz. Aus Besorgniß um ein Nachtquartier klopfte ich an eine derselben, deren bleiernschepperndes Geräusch die Worte "Zinsblech! Zinsblech!" vernehmen ließ. Dies war aber nur der Laut auf den kleinen runden Scheiben mit Bleieinfassung; die größeren Scheiben, an die ich klopfte, um Einlaß zu erhalten, tönten "Pinzgau! Pinzgau!" Nirgends die Antwort einer menschlichen Stimme. Nach wenigen Schritten stieß ich auf die Ortstafel, wo das einzige Licht im Dorf zu brennen schien, bei dessen Schein es mir gelang auf derselben zu lesen: "Gemeinde Zinsblech; Landgericht Pinzgau". Es folgten noch einige Bemerkungen bezüglich Aushebungsbezirk, Steuereinziehung u.s.w. und am Schlusse hieß es: "Das Orts-Geschenk wird im Haus Nr. 666 gereicht."—Nachdem ich mit meinem Geklopfe "Zinsblech!—Pinzgau!" mehrere, gänzlich menschenleere Straßen durchwandert hatte, wobei mir das Unglück passirte eine Scheibe einzuschlagen, die auf diesen Mord ihres eigenen Ichs mit dem gläsernen Sterbeseufzer "Grinzsau!" antwortete, kam ich an die Kirche. Ein großes, hochaufsteigendes Gebäude im nüchtern-romanischen Stil mit wuchtigen Formen; außen rohbemörtelt; das Dach von Schiefer; am Ende ein hoher Thurm mit in Zacken aufsitzendem Thurmhelm, dessen sich verjüngende Spitze ein goldenes Kreuz, und auf dem Kreuz einen Hahn trug. Merkwürdigerweise stand die Kirchenthür, die mit Schweinfurter Grün angestrichen war, sperrangelweit offen. Ich trat ein und ging, nachdem ich in unglücklicher Richtung an den kupfernen Weihkessel angestoßen war, der mit dem schilpend-abgewetzten Laut "Prinzfrech!" antwortete, vorsichtig durch die Kirchenstühle auf den Altar zu. Vor dem Altar lag eine dicke, wollige Plüschdecke. Alles war mäuschenstill. Ich war so ermüdet, daß ich mich versuchsweise hinlegte.—

      Obwohl es beim Eintritt ganz dunkel war, konnte ich doch schon nach kurzer Zeit allgemeine Umrisse, Nischen und Vorsprünge unterscheiden. Die Altäre waren geschmückt mit den in Landkirchen üblichen, eingerahmten Tablettes, auf denen lateinische Sprüche stehen, mit versilberten Leuchtern, Klingelspiel, alles in einfachster, wenig kostspieliger Form; auf Sockeln an der blanken, weißgetünchten Wand herum standen einige Apostel, Märtyrer und Ortsheilige mit ihren stereotypen Werkzeugen und Symbolen in der Hand. Gesichter, Haltung und Gewandung in jener übertrieben brünstigen und pathetischen Darstellungsweise, wie sie das Spät-Rokoko um die Mitte dieses Jahrhunderts bis in die letzte Dorfkirche brachte. Rechts von dem langen Fenster, auf das mein Blick unwillkürlich vor dem Einschlafen gerichtet war, stand ein Petrus mit einem scharf zur Seite gewandten, vollbärtigen Kopfe, in dessen eigenthümlich grinzenden Zügen sich halb Stolz, halb Verschmitztheit ausdrückte; halb, schien es, blickte er auf den auf der anderen Fensterseite stehenden Jeremias, der traurig und verlegen seine Papier-Rolle gesenkt hielt, halb zum Fenster hinaus, seinen großen, schwarzen Schlüssel krampfhaft in das Mondlicht haltend, das scharf am Rand des Kirchendachs herabgleitend, langsam durch das linke Seitenschiff der Kirche strich.—Mit diesem Bild schlief ich ein.—

      Wie lange ich geschlafen, kann ich nicht sagen; ich erhielt nur plötzlich einen Stoß in die Seite, wie von einem harten Gegenstand, und erwachend bemerkte ich vor mir einen Mann in einem langen, rothen Gewand, und unter dem Arm ein großes, schiefes Holzkreuz; dieses Holzkreuz war an mich angestoßen. Der Mann kümmerte sich um mich gar nicht, sondern schritt ernst und gemessen dem Altare zu. Und nun erkannte ich, daß er nur Einer unter Vielen war, die in einer langen Reihe geordnet aus den Kirchenstühlen herauskamen in der Richtung zum Altar. Die ganze Kirche war taghell und prächtig erleuchtet. Auf allen Altären brannten Kerzen. Vom Chor herab tönte ein langsameinschläferndes Gesumse der Orgel. Weihrauch und Kerzendampf lagerten sich in festen, bleigrauen Schwaden zwischen die weißgetünchten Pfeiler und die Wölbung. In dem Zug der geheimnißvoll dahinschleichenden Menschen bemerkte ich eine Menge seltsamer Gestalten. Da ging an der Spitze eine junge, prächtige Frau in einem blauen, sternbesäten Kleid, die Brüste offen, die linke halb entblößt; und durch Brust und Kleid hindurch ging ein Schwert, so, daß das Kleid gerade noch getroffen war, als sollte das Kleid dadurch empor gehalten werden. Sie blickte fortwährend mit einem verzückten Lächeln an die weiße, kalkige Decke empor, und hielt die Arme in brünstiger Geberde über die Brust gekreuzt, so daß es den Eindruck gewann, als jubilire sie innerlich über einen Gedanken (wobei ich nochmals bemerke, daß das Schwert links, bei der linken Armbeuge, bis zum Heft fest darinsaß). Dies war die vorderste Person. Aus der hinter ihr folgenden Reihe fielen Manche durch ihre wunderliche Tracht auf. Die Meisten hatten bestimmte Werkzeuge in der Hand. Der Eine eine Säge; der Andere ein Kreuz; der Dritte einen Schlüssel; der Vierte ein Buch; Einer gar einen Adler; und ein Anderer trug ein Lamm auf dem Arme mit herum. Niemand wunderte sich über den Andern. Keiner sprach mit dem Andern. Aus dem Schiff der Kirche führten drei Stufen zu der erhöhten Estrade, wo der Altar stand. Jeder wartete mit seinem in bestimmter Haltung getragenen Werkzeug, bis der Vordere die drei Stufen droben war, um nicht mit ihm zusammenzustoßen. Was mich am meisten wunderte: Niemand wunderte sich über mich. Ich blieb völlig unbemerkt. Und selbst der Mann, der mit

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