Visionen: Skizzen und Erzählungen. Oskar Panizza
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Ein Criminelles Geschlecht
Er wußte Nichts von den
Geschlechts-Unterschieden der
Menschen, und unterschied die
Leute nur nach den Kleidern."—
Bericht über Kaspar Hauser. (1828.)
Es war um die Zeit, als ich in dem von Deutschland neugewonnenen Straßburg studirte, daß ich eines Tags einem Criminal-Commissarius vorgestellt wurde, der bei der damals kurz nach dem deutsch-französischen Kriege nothwendig gewordenen Neu-Ordnung der Dinge aus dem Norden Deutschlands dahin versetzt worden war. Wir trafen uns öfter. Es war ein äußerst verschlossener Mann; accurat, streng gegen sich und andere, aufrichtig, wahrheitsliebend, gottesfürchtig, von fast puritanischer Gesinnung, dabei gescheit, bis zum Grüblerischen schlau und mißtrauisch, aber, wie mir schien, ohne jede weltmännische Bildung, von der er sich absichtlich zu entfernen schien. Er mußte ausgezeichnete Zeugnisse besessen haben, die ihn, vielleicht einen Vierziger, auf diesen einflußreichen Posten gelangen ließen. Er war unverheirathet und protestantisch.
Eines Sonntags Nachmittag auf einem unserer Spaziergänge, als die Unterhaltung, wie schon so oft, zu stocken schien, da er immer in sich hinein horchte, und dem Gesprochenen nur halbes Ohr lieh, konnte ich mich nicht enthalten, an ihn die etwas vorlaute Frage zu richten, sintemal er viel älter war wie ich: "Herr Commissar, Sie scheinen mit außerordentlichen Schwierigkeiten hier betraut zu sein, und Ihr neuer Posten muß ganz absonderliche Aufgaben an Sie stellen, da Ihre Zerstreutheit, fast Geistesabwesenheit...?"—Bei diesen letzten Worten sah der Commissar scharf zu mir herüber, halb mißtrauisch, halb erschrocken darüber, daß ich versucht, seines Inneres zu durchforschen. Da ich seinen Blick naiv auf mir ruhen ließ, so sah er weg, und ging schweigend mit auf den Rücken gelegten Armen einige Zeit neben mir her. Dann sah er mich noch einmal scharf, durchdringend an, und, wie es schien, von der Prüfung zufrieden gestellt, begann er folgenden Discurs: "Mein lieber Studiosus, Sie sind noch jung, aber ich glaube, ich darf Ihnen in Etwas vertrauen.—In der That, es sind ganz absonderliche Aufgaben, vor die meine Regierung mich gestellt hat.—Ich komme hoch aus dem Norden, aus einem kleinen Bezirksstädtchen, wo ein paar Vagabunden und Felddiebe unsere einzige Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen.... Ich hätte nicht geglaubt, daß die Welt so complicirt ist; ich konnte mir nicht denken, daß hier herunten, wo die Völkermischung eine größere, so unerhörte Dinge sich im Geheimen abspielen...."—Mein Begleiter, der sehr rasch sprach, unterbrach sich hier. Ich hatte die Empfindung, als begänne eine große Last sich von dem Herzen des in seinem Innersten erschütterten Beamten loszuwälzen, und vermied es daher, ihm in die Rede zu fallen.—"... Es ist nur so schwer,—begann er wieder,—das in Wort zu kleiden, das, was ich Ihnen sagen will, Ihnen mit den bisherigen Hülfsmitteln der deutschen Sprache begreiflich zu machen.... Sie sind Mediziner,—Sie werden vielleicht Manches besser verstehen, mir vielleicht sogar in Manchem einen Wink geben können...."—"Sind es sanitäre Maßregeln, mit denen Sie hier betraut wurden?"—wagte ich anzudeuten.—"Sanitär?—Ja, gewiß, sanitär,—aber sanitär ist zu wenig, sanitär drückt die Sache zu mild aus; es ist weit mehr criminell!..."—"?"—Auf mein fragendes Zaudern wandte der Commissar seinen Kopf zu mir herüber, und schaute mich wieder mit jenem seltsamen Blicke an, der mir vorhin schon aufgefallen war. Doch war es diesmal weniger Furcht, ob er mir vertrauen könne, als Auskundschaften, was ich zu seinen bisherigen Worten meine.—"Ja,—so, glaube ich, kann ich's Ihnen am besten begreiflich machen,—fuhr mein Begleiter dann fort,—denken Sie sich, ich bin von der Regierung beauftragt worden, einer criminellen Vereinigung,—einer betrügerischen Sippe,—einem Geschlecht nachzuforschen, welches sich hier seit Aufhebung der Belagerung herumtreibt, aus Frankreich herüberkommt, sich in bestimmten Schlupfwinkeln festgesetzt hat, und rücksichtslos im Geheimen sein Zerstörungswerk verrichtet!"—Der Commissar hatte diesen Satz mit der größten Sorgfalt, den Finger an die Nase gelegt, construirt, und Wort für Wort vorgetragen, als handle es sich um eine wissenschaftliche Definition, oder als fürchte er, durch eine einzige Umstellung, oder ein unvorsichtiges Adjektiv, mir eine unrichtige Vorstellung von dem zu geben, was in seinem Innern selbst noch nicht ganz klar erkannt worden war. Dann warf er den Kopf wieder plötzlich zu mir herüber, um sich auf meinem Gesicht zu orientiren.—"Hm!—sagte ich—ist die Vereinigung politischer Natur?"—"Nein!"—replizirte der Commissar mit einer fast schnalzenden Lebhaftigkeit, als freue er sich, daß ich diesen Einwurf gemacht, und brachte nun auch die andere Hand hinter dem Rücken hervor, um sie mit einer heftigen Gesticulation nach vorne zu werfen,—"nein!" er noch einmal mit einem eigenthümlich saccadirten Laut, um dann beide Zahnreihen längere Zeit auf dem "n" ruhen zu lassen,—"politisch ist sie nicht, sonst wäre sie leichter zu fassen; leider ist sie gar nicht politisch; sie ist sogar politisch indifferent; sie ist die persönlichste und subjektivste Geheim-Coalition, die mir vorgekommen ist, dabei von einem Egoismus, von einer Sicherheit des Egoismus, von einer Tadellosigkeit der Geschäfts-Praktik, daß sie unter sich gar keiner Verständigungsmittel, keiner Parole, keines Augenzwinkerns bedarf, von einer Untrügbarkeit des Erfolges, daß man meinen könnte, eine neue Race, ausgestattet mit den unfehlbaren Organen ihres Gewerkes, sei auf die Welt gekommen!"—"Ach, mein Gott,—sagte ich nach einiger Ueberlegung und wie enttäuscht,—meinen Sie die Juden?"—"Nein!"—rief er wieder lebhaft, und wie vorbereitet auch auf diesen Einwurf,—"die sind es nicht; die wären mild; es ist eine geheimnißvoll vorgehende Vereinigung, die lautlos und unbeachtet, unbeachtbar, unfaßbar, sowohl durch unsere Landesgesetze, als für unsere Polizei-Organe, ihre Thätigkeit ausübt, ja, die sich fast unserem Denken entzieht...!"—"... die sich unserem Denken entzieht?"—wiederholte ich ganz perplex;—".... die sich unserer denkenden Erwägung entzieht...!"— erklärte es der Commissar ausführlicher.—... die sich unserer denkenden Erwägung entzieht?"—syllabirte ich nochmals Wort für Wort für mich hin.—"... hinsichtlich,—nahm der Commissar nochmals den Satz auf,— hinsichtlich ihrer geheimen Triebfedern, ihrer letzten Motive, sich unserem Denken entzieht!"—"... hinsichtlich ihrer geheimen Triebfedern und letzten Motive sich unserem Denken entzieht!"—sagte ich auch diese letzte Fassung zu meiner eigenen Bestärkung mir nochmals vor.—Dabei fühlte ich, ohne hinzusehen, wie die Augen dieses Mannes heftig auf mich hingerichtet waren; wie dieser Mann angstvoll irgend ein Wort von mir erwartete, welches ihn in seiner eigenen Gedankenführung bestärken könnte; ich fühlte, wie dieser Mensch, der sich seit zehn Minuten vollständig verändert hatte, dessen Miene, Bewegungen, Athmung, Schläfe, Blick eine ungeheure Erregung verriethen, an einem Problem herumlaborire, welches selbst für die ungewöhnliche Intensität seines Geistes zu hoch schien.—
"Arbeitet diese von Ihnen überwachte Vereinigung mit geistigen oder physischen Waffen?"—frug ich endlich, um auf eine vernünftige Spur zu kommen.—"Mit physischen, realen, recht eigentlich körperlichen Waffen, d.h. dem äußeren Anschein nach, wenn nicht noch etwas dahinter steckt, was ich stark vermuthe."—"Sie sagen, aus Frankreich kommt diese neue polizeiwidrige Clique?"—"So lautet meine Instruction; ich war ja vorher nicht hier; jedenfalls der Mehrzahl nach, und die gefährlichsten aus Frankreich."—"Du lieber Himmel!"—sagte ich, und wandte mich freundschaftlich zu meinem Nachbar,—"sind es vielleicht Franctireurs?"—"Ha!"—rief