Visionen: Skizzen und Erzählungen. Oskar Panizza
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Wir gingen lange Zeit wieder schweigend nebeneinander einher. Die letzten Erörterungen hatten mir den Kopf so voll gemacht, daß ich keine Veranlassung hatte weiter zu fragen; oder wenigstens nicht in solange, als ich nicht das merkwürdige Verhältniß dieser Geheimbündler zur Ehe und die intimsten Vorgänge dabei einigermaßen verdaut hatte.—Wir waren schon auf dem Rückweg begriffen; die Stadt mit ihrem schönen Münster-Thurm lag vor uns. Mein Begleiter, der für landschaftliche Reize kein Interesse zu haben schien, und immer den Kopf zur Erde steckte, holte plötzlich ein Notizbuch heraus, in das er rasch eine Aufzeichnung machte.
"Ich habe da einen neuen Gedanken,"—sagte er, als er merkte, daß ich ihn verwundert ansah, und fügte dann gleich hinzu: "Es ist nur so schade, daß man fast gar nichts aus persönlicher Anschauung feststellen kann, sondern Alles im Kopfe erst construiren und ausrechnen muß."—"Ist Ihnen nie einer von den Criminellen zu Gesicht gekommen?"—frug ich, an diese eigenthümliche Äußerung anschließend.—"Vermuthungsweise.—Ich schaue auf der Straße Jeden darauf an und vigilire in allen Lokalen seit Monaten!" Bei diesen Worten nahm mich der Commissar scharf in's Auge, um gleich darauf mit Lächeln seine Prüfung aufzugeben. "Mein Gott," sagte ich, "die Betreffenden müssen doch faßbar sein, es sind doch Menschen?"—Erst nach einer längeren Pause antwortete mein Begleiter: "Menschen,—das wohl!" mit einem Ton, als wär' es ihm lieber gewesen, wenn es keine wären, oder etwas Anderes und Tieferliegendes; setzte dann aber doch hinzu: "Sie sollen sehr schön sein!"—"Ich muß noch einmal, Herr Commissar,"—bemerkte ich jetzt, um einen neuen Faden anzufangen,—"die Frage an Sie richten: Sind es Männer oder Weiber? Ich glaube, hier kommt man zuerst auf die Spur. Sie kennen als gewiegter Criminalbeamter gewiß den alten französischen Grundsatz: Où est la femme?"
Schon bei den ersten Worten hatte der Beamte seine Miene zu einem Essig-Gesicht zusammen gezogen und heftig mit der rechten Hand abgewehrt; "Ach,"—fing er dann endlich an,—"ich glaube Sie sind auf der falschen Spur; aber um Ihnen zu willfahren, kann ich Ihnen sagen: es sind Männer und Weiber, obwohl Sie wissen, wie gering ich da die Unterschiede anschlage."—"Männer und Weiber?"—frug ich.—"Männer sowohl wie Weiber!"—"Haben Sie denn nie mit einem Collegen darüber gesprochen, der in diesen Dingen etwas zu Hause ist,—es kommen da so manche intime Vorgänge in Betracht?"—"Ach,"—sagte er,—"mit einem Collegen über solche Sachen reden, da gibt man das Heft schon aus der Hand; und dann, Sie wissen, was ich über die zufällige Eintheilung der Menschen in Männer und Weiber denke; Verbrecher ist Verbrecher; obwohl regierungsseitlich sogar ganz bestimmte Aeußerungen in dieser Hinsicht vorliegen."—"Was meint die Regierung in diesem Punkt?—wenn es nicht ungeschickt ist von mir, soweit in Sie zu dringen?"—"Die Regierung unterscheidet in dieser criminellen Sache jene beiden Parteien, die sich seit Alters her auf so sonderbare Weise anziehen,—die Männer und die Weiber."—"So, also doch!"—bemerkte ich verwundert. "Ja, aber"—fügte der Commissar ärgerlich hinzu,—"es scheinen lediglich formelle Unterschiede zu sein."—"Welche denn?"—"Männer und Weiber arbeiten hier auf ganz getrennten Gebieten. Erstere viel geheimer und verschlagener; letztere weit offenkundiger und ausgedehnter; beide Parteien haben übrigens keinerlei Verkehr mit einander; kennen sich nicht und sind nur durch die polizeiliche Recherche nebeneinander gebracht; auch scheint es, daß das verbrecherische Fabrikat, mit dem die Weiber operiren, weit weniger faßbar ist,—fast nur ein Hauch,—als das der Männer; dagegen sind die Männer den religiösen Krämpfen mehr ausgesetzt; während bei den Weibern Alles mehr formelle Uebung, todter Maschinengang ist. Aber, wie gesagt, diese kleinen Unterschiede kommen nicht in Betracht; wir wollen den Verbrecher fassen, der mit seiner Mischung von religiöser Schwärmerei und körperlicher Niederträchtigkeit das Volk ansteckt, und die >moralischen Fundamente der heutigen Gesellschafts-Ordnung untergräbt<, wie der Regierungs-Passus lautet; wer es ist, ist uns gleich; wird einmal Eines von ihnen gefaßt, dann lügen sie sich doch in gleicher Weise hinaus, und schwören und betrügen, weil sie wissen, daß ihnen das Gesetz mildernde Umstände zuerkennen wird; weil sie meinen, mit ihrer reservatio mentalis, die viel mehr eine corporalis ist, kämen sie überall durch!"—"Mein Gott,—es sind doch keine Jesuiten?"—frug ich unwillkürlich.—"O nein,"—antwortete der Commissar,—"aber von derselben Pfiffigkeit und Geriebenheit!"—und fügte dann nach einiger Zeit mit dem Ton tiefer Resignation hinzu: "Die haben keinen Namen, die sind namenlos; oder man nennt sie, wie man alle Anderen auch nennt; oder wenn sie Special-Namen haben, dann wendet man diese sofort auch auf die übrige Menschheit an, und der Verwirrung ist kein Ende. In Frankreich haben sie an die fünfzig Bezeichnungen; frägt man dann auf der Straße: Wo ist ein solcher? dann deutet