Historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski + Auf dem Felde der Ehre. Henryk Sienkiewicz
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Jagienka antwortete nicht sogleich. Tiefe Seufzer entrangen sich ihrer Brust, bevor sie, jedoch wie zu sich selbst, sagte: »Hinter mir, nicht vor mir liegt das Glück.«
Fünftes Kapitel.
Am neunten Tage nach dem Aufbruch Jagienkas erreichte Zbyszko die Grenze von Spychow. Er hatte jede Hoffnung aufgegeben, Danusia lebend zu ihrem Vater zu bringen, so sterbenskrank war sein junges Weib. Von der Stunde an, da die Beklagenswerte völlig unzusammenhängend Antworten erteilt hatte, war er sich klar darüber geworden, daß nicht nur ihr Geist gestört, sondern daß auch ihr Körper von einer Krankheit befallen sei, gegen welche das durch die Gefangenschaft, durch die erduldeten Mißhandlungen und durch die erlittenen Aufregungen erschöpfte Kind nicht anzukämpfen vermochte. Möglicherweise hatte auch der Schrecken über den lärmenden Kampf Zbyszkos und Mackos gegen die Deutschen den Ausbruch der Krankheit herbeigeführt. Thatsache war es, daß von dieser Zeit das Fieber fast bis zu Ende der Fahrt nicht mehr wich. Gewissermaßen gereichte der bewußtlose Zustand Danusias dem jungen Ritter zum Vorteil, denn Zbyszko konnte dadurch sein Weib, gleich einer Toten, also ohne Erkenntnis der Gefahren, die er nur mittelst übermenschlicher Anstrengung überwand, durch die größten Wüsteneien bringen. Kaum aber hatten sie die Wälder hinter sich, kaum waren sie in eine gottgesegnetere Gegend gelangt, so ging es mit den Gefahren und den Entbehrungen zu Ende. Die dort ansässigen Bauern und Edelleute leisteten bereitwillig Hilfe, ja, die Leute überboten sich an Liebesdiensten, als sie vernahmen, der junge Kämpe habe ein Kind ihres Stammes aus den Händen der Kreuzritter befreit, die Tochter des berühmten Jurand, von dessen Thaten in den Burgen, auf den Höfen und in den Hütten gesungen wurde. Von allen Seiten bekam Zbyszko Nahrungsmittel und Pferde angeboten, alle Thüren standen ihm offen. Danusias Tragbahre mußte nicht mehr zwischen zwei Pferden befestigt werden, denn kräftige junge Burschen trugen sie von Dorf zu Dorf mit einer Sorgfalt und einer Vorsicht, als ob sie irgend eine Heilige trügen. Die Frauen erwiesen ihr die zärtlichste Fürsorge, die Männer aber lauschten zähneknirschend der Schilderung von all den Leiden, die Danusia erduldet hatte. Mehr als einer wappnete sich sofort mit dem eisernen Panzer und griff zu seinem Schwerte, zu seiner Streitaxt oder zu seinem Speere, um mit Zbyszko auszuziehen, um mit »Zins und Zinseszins« die verübten Missethaten heimzuzahlen, denn diese urwüchsigen, rauhen Menschen wollten es sich nicht damit genügen lassen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sie wollten blutige Rache nehmen.
Zbyszko lag jedoch in dieser Zeit jeder Rachegedanke fern, ihm war es nur um Danusia zu thun. Zeigte sich ein Schein von Besserung bei der Kranken, dann atmete er hoffnungsfreudig auf, verschlimmerte sich ihr Zustand, bemächtigte sich seiner dumpfe Verzweiflung. Gegen das Ende der Fahrt vermochte er sich jedoch nichtlänger zu täuschen, an eine Genesung seines jungen Weibes war nicht mehr zu denken. Gleich zu Anfang, als er sich auf den Weg gemacht hatte, überkam ihn zeitweise die abergläubische Furcht, der Tod folge ihnen in den Wüsteneien, die sie durchzogen, Schritt auf Schritt, auf den geeigneten Augenblick lauernd, in dem er sich auf Danusia werfen und ihr das Herzblut aussaugen könne. Dieses Gesicht, oder vielmehr diese Empfindung bedrängte ihn besonders in dunkler Nacht so heftig, daß ihn häufig der heiße Wunsch ergriff, sich gegen das drohende Gespenst zu wenden, es zum Kampfe zu fordern, wie man einen Ritter zum Kampfe fordert, und bis zum letzten Atemzuge den Streit auszufechten. Je mehr der junge Ritter sich aber seinem Ziele näherte, desto schlimmer wurde es, denn nicht mehr hinter ihm schlich der Tod einher, er hielt sich neben der Schar, inmitten der Schar. Wohl war er nicht sichtbar, allein sein eisiger Atem durchkältete alles rings umher, und Zbyszko sah ein, daß er gegen einen solchen Feind nichts ausrichten konnte, daß er trotz Tapferkeit und Stärke, trotz der besten Waffen ihm das Liebste auf Erden ohne Widerstand überlassen müsse.
Diese Ueberzeugung beugte ihn aber um so tiefer darnieder, weil sie in ihm einen Schmerz erweckte, so unbändig wie ein Wirbelwind, so tief wie die See. Wie sollte Zbyszko auch nicht von Wehmut, von Jammer ergriffen werden, wenn er, auf die Heißgeliebte schauend, unwillkürlich in vorwurfsvollem Tone also sprach: »Habe ich Dich deshalb so heiß geliebt, habe ich Dich deshalb gesucht und um Dich gekämpft, um Dich jetzt schon in die Erde betten zu müssen, um Dich jetzt schon auf ewig zu verlieren?« Und wenn er dann die fieberglühenden Wangen der Kranken, ihre unstät blickenden Augen bemerkte, fragte er abermals: »Willst Du mich verlassen? Fühlst Du kein Mitleid mit mir, ziehst Du es denn vor, fern von mir, statt bei mir zu sein?« Zuweilen dünkte es ihn, seine Gedanken verwirrten sich, zuweilen drohte ein Schluchzen seine Brust zu zersprengen, das er indessen gewaltsam unterdrückte aus Empörung und Grimm über diese rücksichtslose, unbarmherzige Macht, welche ein unschuldiges Kind mit ihrer kalten Hand erfaßte. Wäre jetzt der schlimme Kreuzritter in seiner Nähe gewesen, er hätte ihn, einem wilden Tiere gleich, in Stücke gerissen.
An dem Jagdhofe angelangt, gedachte Zbyszko Rast zu machen, allein er fand ihn vollständig verödet. Von den Wächtern erfuhr er indessen, das Fürstenpaar habe den Jagdhof gleich mit Ende des Frühlings verlassen und habe sich nach Plock zu Ziemowit, dem Bruder des Fürsten begeben. Der junge Kämpe verzichtete daher sofort auf seinen Plan, nach Warschau zu ziehen, wo er den fürstlichen Arzt zu treffen geglaubt, von dem er Heilung für sein krankes Weib erhofft hatte. So schwer es ihn auch ankam, ihm blieb nichts anderes übrig, als sich nach Spychow zu wenden, als Jurand den Leichnam seines Kindes zu überbringen. »Alles ist zu Ende,« sagte sich Zbyszko immer und immer wieder.
Da plötzlich, etliche Wegstunden vor Spychow, leuchtete ihm ein neuer Hoffnungsstrahl. Die fieberhafte Röte wich von Danusias Wangen, ihre Augen verloren den unstäten Blick, ihr Atem ging ruhiger. Zbyszko bemerkte dies sofort, und um ihr jedmögliche Erleichterung zu verschaffen, ließ er nochmals Rast machen. Sie hatten vielleicht noch eine Meile bis Spychow zurückzulegen, jetzt befanden sie sich aber, fern von jeder menschlichen Behausung, auf einem breiten, inmitten eines Feldes und einer Wiese gelegenen Pfade. Doch ein in der Nähe stehender wilder Birnbaum bot genügenden Schutz gegen die Sonne. Unter dessen Zweigen wurde daher Halt gemacht. Die Knechte stiegen von den Pferden und sattelten die Tiere ab, damit diese leichter Gras fressen konnten. Die beiden Frauen, denen die Wartung Danusias oblag, und die jungen Burschen, welche die Kranke trugen, legten sich, von dem Wege und der Hitze ermüdet, in den Schatten, und waren bald fest eingeschlafen. Nur Zbyszko wachte, auf der Wurzel des Birnbaumes sitzend, an der Tragbahre, ohne auch nur eine Sekunde seinen Blick von seinem Weibe zu wenden.
Es war um die Mittagszeit. Tiefe Stille herrschte ringsumher. Mit geschlossenen Augen, regungslos lag Danusia da. Doch Zbyszko schien es, als ob sie nicht schlafe. Und in der That, als auf der andern Seite der großen Wiese ein Bauer, der das Gras mähte, stehen blieb und mit dem Wetzstein seine Sense schärfte, da öffnete Danusia, leicht erbebend, die Augen, schloß sie jedoch sofort wieder. Dann aber hob sich ihre Brust wie durch einen tiefen Atemzug und sie flüsterte kaum hörbar: »Die duftenden Blumen …«
Dies waren die ersten klaren, nicht im Fieber gesprochenen Worte, welche seit Beginn der Fahrt über ihre Lippen kamen, denn von der von der Sonne bestrahlten Wiese führte ein leichter Windhauch den durchdringenden Duft von Heu, Honig und von wohlriechenden Kräutern herzu. Was Wunder also, daß Zbyszko bei dem Gedanken, die Kranke erlange das Bewußtsein wieder, sich vor Wonne nicht zu fassen wußte. In der ersten Freude wollte er sich ihr zu Füßen werfen, allein aus Furcht, sie könne erschrecken, bezwang er sich, kniete an der Tragbahre nieder, und sich über sein junges Weib beugend, rief er leise: »Danusia! Danusia!«
Da öffnete diese aufs neue die Augen, schaute ihn groß an, und während ein seliges Lächeln ihr Antlitz verklärte, nannte sie wie damals in der Hütte, aber mit weit mehr Bewußtsein seinen Namen: »Zbyszko!«
Hierauf versuchte sie, ihm ihre Hände entgegenzustrecken, allein dies ging über ihre Kraft; er aber schlang seine Arme um sie mit einem so glückerfüllten Herzen, als ob er ihr für die größte Gunst zu danken habe.
»Du