Leni Behrendt Staffel 5 – Liebesroman. Leni Behrendt
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»Und wenn – Mutter – wenn sie sich in ihrer Entrüstung von Ebba abgewandt ihr berechtigte Vorwürfe gemacht haben sollte? Dann gibt sie sich jetzt ganz gewiß am Tod der Tochter schuld.«
»Glaub das doch nicht, mein Sohn. Dazu liebt sie ihr Kind viel zu sehr, um sich in seiner Not von ihm abzuwenden. Außerdem war diese für Ebba gar nicht so groß, wie Egolf Dietsch als Ehrenmann sie bestimmt geheiratet hätte. Jedenfalls hätte Mechthild auch so zu ihrem Kind gestanden, dazu kenne ich sie zu gut. Willst du nun zu ihr gehen?«
»Ja, sofort. Was mag sich in der einen Woche, da Ebba bereits unter der Erde liegt, da schon alles zugetragen haben. Vielleicht hat Mechthild sich in ihrer grenzenlosen Verzweiflung das Leben genommen.«
»Wir wollen nicht zu schwarz sehen, mein Junge. Am Ende trägt sie es tapferer, als wir befürchten.«
Mit dieser Hoffnung machte sich Holger auf den Weg. Er mußte lange den Klingelknopf drücken, bis die Tür endlich geöffnet wurde. Bis ins tiefste Herz erschrak der Mann, als er vor Mechthild stand. Die Gestalt vor Gram gebeugt, in den Augen ein unstetes Flackern, so starrte sie ihm entgegen, der rasch eintrat und die Tür hinter sich schloß. Die Haare hingen ihr wirr um den Kopf, die Kleidung war vollständig vernachlässigt – wie sehr mußte diese sonst so gepflegte Frau leiden, daß sie sich so gehen ließ.
»Mechthild!« stöhnte er schmerzgequält auf. Wollte nach ihren Händen fassen, die jedoch blitzschnell hinter ihrem Rücken verschwanden. Haß glomm in ihren Augen auf – und haßverbissen waren auch die Worte, die sie ihm entgegenschleuderte.
»Gehen Sie – ich kann Sie nicht mehr sehen! Fast zwei Wochen haben Sie gebraucht, um herzukommen – um sich an meinem Schmerz zu weiden. Meine mißratene Tochter ist tot – mehr können Sie nicht verlangen.«
»Mechthild, zu welcher Ungerechtigkeit läßt sich da Ihr Schmerz hinreißen! Ich war lang von Hause fort. Doch als ich in der Ferne von dem Unglück hörte…«
»Schweigen Sie!« unterbrach sie ihn hart. »Um Ausreden sind Sie ja nie verlegen gewesen. Sie haben schuld an allem – Sie ganz allein! Wenn Sie mein Kind an Ihr Herz genommen, dann hätte es sich in seiner Verzweiflung nicht dem ersten besten Mann an den Hals geworfen!
Gehen Sie endlich! Oder – bei Gott – ich schreie das ganze Haus zusammen!«
Holger Hadebrandt war gewiß kein Feigling. Doch als die Frau, in deren Augen es unheimlich glühte, ganz nahe an ihn herantrat, da wich er zurück, bis er den Hausflur erreicht hatte.
Die Tür krachte hinter ihm zu.
Als Holger zu Hause anlangte, erschrak die Mutter über sein todblasses Gesicht und über die Augen, in denen der Schmerz brannte. Doch als sie hörte, was er mit Mechthild erlebte, da verfärbte auch sie sich.
»Also ist es noch ärger, als wir ohnehin schon befürchtet hatten. Ich werde zu ihr gehen.«
»Auf keinen Fall!« widersprach er heftig. »Ich lasse dich nicht allein zu dieser irrsinnigen Frau gehen. Sie ist imstande, dir ein Leid anzutun – nur weil du meine Mutter bist.«
»Aber Holger, wir können die Ärmste doch nicht allein ihrem Schicksal überlassen.«
»Das habe ich nicht vor. Werde vielmehr einen Nervenarzt verständigen, der sich ihrer annimmt. Der geeignetste Mann ist wohl dein alter Freund, Professor Arles. Der hat schon manchen verstörten Menschen wieder auf die richtige Bahn geführt. Sofort mache ich mich auf den Weg, damit Mechthild heute noch unter fachmännische Aufsicht kommt. Sonst habe ich keine ruhige Minute.«
»Ein vortrefflicher Gedanke, Junge. Arles ist wirklich ein ausgezeichneter Psychiater, dem man rückhaltlos vertrauen kann. Doch bis alles geklärt ist, gehe ich zu Mechthild.«
»Mutter, ich bitte dich…«
»Aber Junge, mir geschieht schon nichts. Ich verstehe schon ganz gut, mich meiner Haut zu wehren.«
»Ich gewiß auch – und doch… Ach, Mutter, es war einfach grausig. Das halten deine Nerven ja gar nicht aus.«
»So schwach sind die nicht, Holger. Laß uns jetzt nicht länger herumreden, sondern das Auto flottmachen. Eile tut nämlichg not. An Mechthilds Haus setzt du mich ab und fährst dann weiter zu Arles.«
Das war so fest gesagt, daß der Sohn sich fügen mußte.
*
Frau Anne drückte lange den Klingelknopf, doch die Tür nach Mechthilds Wohnung öffnete sich nicht. Bebende Angst erfaßte die Dame. Wenn sie etwa schon zu spät kam?
Immer anhaltender drückte sie den Knopf der Glocke, die ohrenbetäubend durch das stille Haus schrillte. Bis sich die gegenüberliegende Etagentür öffnete und eine Dame in ihr erschien.
»Frau Runard ist nicht zu Hause«, gab sie freundlich Auskunft. »Sie ist täglich bis zum Dunkelwerden auf dem Friedhof am Grabe ihrer Tochter. Wenn Sie auf sie warten wollen, dann bitte ich näherzutreten.«
»Wenn ich nicht störe?«
»Keineswegs. Kommen Sie nur, ich bin augenblicklich allein zu Hause.«
Also betrat Frau Anne ein gemütliches Zimmer, in dem die freundliche Hausfrau ihr einen Sessel anbot und gegenüber Platz nahm.
»Es ist schon ein Jammer mit der armen Frau Runard«, sagte sie traurig. »Ich weiß nicht, ob sie dem harten Schlag gewachsen sein wird. Sie hat doch nur für ihr Kind gelebt – und nun wurde es ihr so ungeahnt schnell entrissen. Wo das Schicksal einmal zuhaut, da tut es dieses bei manchen Menschen mit unausdenkbarer Grausamkeit.«
»Ja, man muß wirklich manchmal irre werden an dem unerklärlichen Warum«, kam Frau Hadebrandts Antwort gepreßt. »Denn auch ich habe einen Sohn im blühenden Mannesalter verloren.«
»Und ich meine einzige Tochter vor zwei Jahren«, schluchzte die Dame an den Tränen. »Daher kann ich Frau Runards Schmerz so gut verstehen. Ich habe wenigstens noch meinen Mann, aber die Ärmste steht nun ganz allein, zumal sie immer sehr zurückgezogen gelebt hat. Ich habe direkt Angst um sie.«
Während die beiden Damen bekümmert miteinander sprachen, saß Mechthild unweit vorm Grabe ihres Kindes auf einer Bank, die in einer Lebensbaumhecke versteckt stand und so den Augen der Vorübergehenden entging. Also ein Plätzchen wie geschaffen für die müde, schmerzdurchwühlte Frau, die keinen Menschen sehen wollte. Allein wollte sie bleiben mit ihrem Leid – ganz allein.
Wenn sie doch den Mut aufbringen könnte ein Ende zu machen, damit sie an der Seite ihres Kindes ruhen konnte, über allen Schmerz, über aller Not, über alle Ewigkeit hinweg. Wie schön mußte das sein! Aber sie war auch so müde, so grenzenlos müde, daß sie sich nicht einmal zu dem letzten Schritt aufraffen konnte.
Oftmals hatte sie das Gefühl, als müsse sie irrsinnig werden vor Schmerz – wie zum Beispiel heute, als der Verhaßte plötzlich vor ihr stand – da hatten ihr Kopf und Herz zu bersten gedroht von einem glühheißen Strom, der ihr fast die Besinnung nahm.
Nun gut, mochte der Irrsinn kommen, ihr jedes Denken nehmen. Das war immerhin noch barmherziger als dieser wütende, anhaltende Schmerz