Gesammelte Werke. Джек Лондон

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Gesammelte Werke - Джек Лондон

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alten Gesichtspunkte hinausgelangt. Er wurde jedoch durch seinen Mangel an geeigneter Vorbereitung gehemmt. Er versuchte Bücher zu lesen, die ein jahrelanges vorbereitendes Sonderstudium erfordert hätten. Den einen Tag wollte er ein Buch über alte Philosophie und am nächsten Tage ein hypermodernes lesen, so daß sein Kopf ein Tummelplatz der widerstreitendsten Begriffe war. Und ebenso ging es mit der Nationalökonomie. Auf ein und demselben Regal in der Bibliothek fand er Karl Marx, Ricardo, Adam Smith und Mill, und die spitzfindigen Erklärungen des einen ließen ihn nicht ahnen, daß die Vorstellungen des andern veraltet waren. Er war verwirrt und wollte dennoch Bescheid wissen. An einem einzigen Tage hatte er sich auf Ökonomie, Industrie und Politik gestürzt. Auf dem Wege durch den Rathauspark hatte er bemerkt, daß sich dort eine Menschenmenge angesammelt hatte, in deren Mitte fünf bis sechs Männer standen, die mit roten Gesichtern laut und eifrig disputierten. Er schloß sich den Zuhörern an und vernahm jetzt eine neue, fremde Sprache, wie diese Philosophen des Volkes sie redeten. Der eine war ein Vagabund, ein anderer ein Arbeiteragitator, ein dritter Student der Jurisprudenz, und die übrigen waren redegewandte Arbeiter. Zum ersten Male hörte er etwas von Sozialismus, Anarchismus und Einzelbesteuerung und erfuhr, daß es einander widersprechende sozialphilosophische Systeme gab. Er hörte Hunderte von technischen Ausdrücken, die ihm neu waren, weil sie Gedankengebieten angehörten, mit denen er bei seinem bißchen Lesen noch nicht in Berührung gekommen war. Daher konnte er den Beweisgründen nicht recht folgen und war darauf angewiesen, die Begriffe zu erraten, die in all diese fremden Ausdrücke verkleidet auftraten. Dann kam ein schwarzäugiger Kellner, der Theosoph, ein Gewerkschaftsbäcker, der Freidenker war, ein alter Mann, der die merkwürdige Philosophie vertrat, daß alles, was ist, richtig ist, und ein anderer alter Mann, der endlos über Weltall, Vateratom und Mutteratom schwatzte.

      Martin Edens Kopf befand sich in einem Zustand völliger Verwirrung, als er nach mehreren Stunden den Park verließ und in die Bibliothek eilte, um die Bedeutung von einem Dutzend Fremdwörtern nachzuschlagen. Und als er die Bibliothek verließ, hatte er vier Bände unter dem Arm: Madame Blavatskys »Geheimlehre«, »Fortschritt und Armut«, »Die Quintessenz des Sozialismus« und »Krieg zwischen Religion und Wissen«. Unglücklicherweise begann er mit der »Geheimlehre«; jede Zeile wimmelte von vielsilbigen Wörtern, die er nicht verstand. Er setzte sich im Bett auf und las mehr im Wörterbuch als in dem Werke selbst. So viele neue Wörter schlug er nach, daß er, wenn sie wieder auftauchten, ihre Bedeutung schon vergessen hatte. Dann kam er auf den Einfall, die Bedeutung in ein Notizbuch niederzuschreiben, und er füllte Seite auf Seite damit. Aber den Sinn verstand er immer noch nicht. Er las bis drei Uhr morgens, aber sein Kopf war ganz wirr, und er hatte nicht einen einzigen tragenden Gedanken erfaßt. Er blickte auf, und es kam ihm vor, als ob die Stube sich hob und senkte wie ein Schiff im Sturm. Da warf er die »Geheimlehre« fluchend in die Ecke, drehte das Gas aus und legte sich schlafen. Viel mehr Glück hatte er auch nicht mit den andern Büchern. Nicht, daß sein Hirn schwach oder untauglich gewesen wäre, es hätte diese Gedanken gut denken können, aber ihm fehlten die Übung im Denken und die Werkzeuge dazu. Er sah es selber ein und ging eine Zeitlang mit der Absicht um, nichts als das Wörterbuch zu lesen, bis er jedes Wort, das darin stand, auswendig wußte.

      Aber sein Trost war die Poesie. Und er las viel und fand die größte Freude an den einfacheren Dichtern, die am verständlichsten waren. Er liebte Schönheit, und hier fand er Schönheit. Poesie machte wie Musik einen tiefen Eindruck auf ihn, und obwohl er es selbst nicht wußte, bereitete er seinen Kopf dadurch für die mühseligere Arbeit vor, die kommen sollte. Sein Gehirn war wie ein Buch mit unbeschriebenen Seiten, viele der Dinge, die er las und die ihm gefielen, druckten sich ohne Anstrengung Strophe auf Strophe auf diesen unbeschriebenen Seiten ab, und bald hatte er die große Freude, sich laut oder ganz leise all die Musik und Schönheit aufsagen zu können, die aus den gelesenen Druckzeilen sprach. Dann stürzte er sich auf Gayleys »Klassische Sagen« und Bullfinchs »Zeitalter der Fabel«, die nebeneinander in der Bibliothek standen. Sie brachten ein starkes Licht in die Finsternis seiner Unwissenheit, und jetzt las er Dichtung mit größerer Gier als je zuvor.

      Der Mann in der Bibliothek hatte Martin so oft dort gesehen, daß er ihn beim Eintreten freundschaftlich mit Lächeln und Nicken begrüßte. Das ermutigte Martin eines Tages zu einem kühnen Entschluß. Als er sich einige Bücher ausliefern ließ und der Mann die Karten abstempelte, fragte er ihn plötzlich:

      »Sagen Sie, ich möchte Sie gern etwas fragen.«

      Der Mann blickte lächelnd auf.

      »Wenn man eine junge Dame trifft und sie einen auffordert, sie zu besuchen, wie bald kann man dann kommen?«

      Martin fühlte, wie sein Hemd sich vor Schweiß an seine Schultern klebte.

      »Na, eigentlich jederzeit«, antwortete der Mann.

      »Ja, aber die Sache ist ein bißchen anders«, wandte Martin ein. »Sie ... ich ... also, sehen Sie, es ist so: Vielleicht ist sie nicht zu Hause. Sie besucht die Universität.«

      »Dann müssen Sie eben ein andermal wiederkommen.«

      »Das meinte ich nicht«, gestand Martin stockend und entschloß sich, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. »Ich bin nur ein einfacher Bursche, und ich habe nie etwas von gesellschaftlichem Leben gesehen. Das junge Mädchen ist nicht wie ich, und ich bin nicht wie sie. Sie denken doch wohl nicht, daß ich den Narren spiele?« fragte er plötzlich.

      »Nein, nein, durchaus nicht«, protestierte der andere. »Ihre Frage fällt nicht gerade in mein Ressort hier in der Bibliothek, aber es wird mir eine Freude sein, Ihnen zu helfen.«

      Martin sah ihn bewundernd an.

      »Ja, wenn ich so quasseln könnte, dann wäre alles in Ordnung«, sagte er.

      »Wie bitte?«

      »Ich meine, wenn ich so leicht und gebildet reden könnte und – .«

      »Ach so!« sagte der andere verständnisvoll.

      »Welches ist die beste Besuchszeit? Nachmittags – nicht zu kurz vor der Essenszeit? Oder abends? Oder auch Sonntags?«

      »Ich will Ihnen was sagen«, meinte der Bibliothekar, und sein Antlitz erhellte sich. »Rufen Sie sie an und fragen Sie sie.«

      »Das will ich tun«, sagte er, nahm die Bücher und wandte sich zur Tür. Aber er kehrte noch einmal um und fragte:

      »Wenn man mit einer jungen Dame spricht – sagen wir, sie heißt Lizzie Smith –, sagt man dann ›Fräulein Lizzie‹ oder ›Fräulein Smith‹?«

      »Sagen Sie Fräulein Smith«, entschied der Bibliothekar. »Sie müssen immer Fräulein Smith sagen, bis Sie sie besser kennenlernen.«

      Und so löste Martin denn das Problem.

      »Kommen Sie, wann Sie wollen; ich bin den ganzen Nachmittag zu Hause«, beantwortete Ruth seine hervorgestammelte Frage, wann er ihr die geliehenen Bücher zurückbringen könnte.

      Sie empfing ihn selbst an der Tür, und ihr weiblicher Blick sah sofort die Bügelfalte und die entschiedene, wenn auch unbestimmbare Veränderung, die mit ihm vorgegangen war. Auch sein Gesicht überraschte sie. Seine Gesundheit wirkte fast überwältigend und schien mit starken Wogen von ihm zu ihr überzuströmen. Wieder fühlte sie den Drang, sich an ihn zu lehnen, um Wärme zu empfangen, und wieder wunderte sie sich über die Wirkung, die seine Gegenwart auf sie ausübte, während er seinerseits bei der Berührung ihrer Hände von derselben sinnlosen Seligkeit durchbebt wurde. Der Unterschied zwischen ihnen war, daß sie ruhig und selbstbeherrscht blieb, während er bis zu den Haarwurzeln errötete. Und als er ihr über den Vorplatz folgte, geschah es mit seiner ganzen alten Linkischheit. Er stolperte mit seiner alten Ungeschicklichkeit hinter ihr

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