Gesammelte Werke. Джек Лондон

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Gesammelte Werke - Джек Лондон

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ich darauf wetten, daß sein Magen jetzt nicht mehr besonders gut ist.«

      Unter seinem forschenden Blick schlug sie die Augen nieder.

      »Ich möchte darauf wetten, daß er jetzt einen ganz schlechten Magen hat!« sagte Martin herausfordernd.

      »Ja, das hat er«, räumte sie ein. »Aber –«

      »Und ich möchte wetten,« fuhr Martin fort, »daß er feierlich und ernst wie eine alte Eule ist. Und daß er trotz seiner Dreißigtausend jährlich ein Duckmäuser ist. Und ich möchte wetten, daß er sich auch nicht freut, wenn er andere sich amüsieren sieht. Habe ich recht?«

      Sie nickte zustimmend und erklärte schnell weiter.

      »Aber er ist eben ein ganz anderer Mensch. Er ist von Natur aus nüchtern und ernst. Das ist er immer gewesen.«

      »Ja, sicher!« stellte Martin fest. »Drei Dollar wöchentlich, vier Dollar wöchentlich, ein junger Bengel, der sich sein Essen selbst auf einem Petroleumkocher macht und Geld spart, den ganzen Tag arbeitet, den ganzen Abend studiert – nur arbeitet, nie spielt oder mal über die Stränge schlägt – da kommen die Dreißigtausend natürlich zu spät.«

      Seine Fähigkeit, sich in die Gefühle anderer zu versetzen, ließ ihn sofort die Tausende von Einzelheiten im Dasein des Knaben und seine enge geistige Entwicklung zum Manne mit dreißigtausend Dollar jährlich sehen.

      »Wissen Sie,« fügte er hinzu, »mir tut Herr Butler leid. Er war zu jung, um es besser zu wissen, aber er hat sich selbst um sein Leben betrogen, nur um dreißigtausend Dollar jährlich zu haben, die an ihn weggeschmissen sind. Jetzt könnten ihm dreißigtausend auf einem Brett nicht verschaffen, was die zehn Cent, die er beiseitelegte, ihm hätten verschaffen können, als er noch jung war – also etwa Brustbonbons, Erdnüsse oder ein Billett für die Galerie.«

      Diese selbständigen Gesichtspunkte waren es gerade, die Ruth erschreckten. Nicht nur, daß sie neu für sie waren und ihren Anschauungen widersprachen, sie fühlte auch stets, daß etwas an ihnen stimmte, und daß das jetzt drohte, ihre eigenen Anschauungen umzustürzen oder zu verändern. Wäre sie vierzehn Jahre statt vierundzwanzig alt gewesen, so hätte sie vielleicht verändert werden können. Aber sie war vierundzwanzig Jahre alt, konservativ von Temperament und Erziehung und schon erstarrt zu dem Wesen, als das sie geboren und gebildet war. Allerdings beunruhigten seine bizarren Urteile sie im ersten Augenblick, aber das schrieb sie dem Umstande zu, daß er ein ihr neuer Typ war und ein ihr fremdes Leben geführt hatte, und sie vergaß es bald wieder. Und wenn sie es mißbilligte, war doch gleichzeitig in der Kraft, mit der er sie vorbrachte, in seinen blitzenden Augen und seinen ernsten Zügen etwas, das sie durchbebte und anzog. Sie hätte sich nie träumen lassen, daß dieser Mann, der aus einem ganz außerhalb ihres Horizontes liegenden Kreise kam, in solchen Augenblicken mit seiner tieferen und weiterspannenden Auffassung weit über ihren Horizont hinausging. Ihre eigene Begrenzung lag in eben ihrem Horizont, aber begrenzte Geister können nur die Begrenzung anderer sehen. Und daher fand sie ihre eigenen Anschauungen sehr frei; wo seine Anschauungen den ihren widersprachen, war es ihr nur ein Beweis seiner Begrenzung. Und sie träumte davon, ihn zu lehren, daß er mit ihren Augen sah und seinen Horizont erweiterte, bis er dem ihren gleich wurde.

      »Aber meine Geschichte ist noch nicht zu Ende«, sagte sie. »Mein Vater erzählt, daß er wie kein anderer seiner Bureauboten je gearbeitet hat. Charles Butler war aufs Arbeiten versessen. Er kam nie zu spät und war meistens schon einige Minuten vor der Bureauzeit da. Und dennoch war er sparsam mit seiner Zeit. Jede freie Minute benutzte er, um zu studieren. Er lernte Buchhaltung und Maschinenschreiben und nahm Stenographieunterricht. Er wurde bald Schreiber und machte sich ganz unentbehrlich. Mein Vater schätzte ihn sehr und sah, daß er Karriere machen würde. Es war Vaters Idee, daß er Jura studieren sollte. Er wurde Rechtsanwalt, und kaum war er wieder im Bureau, als Vater ihn zu seinem Kompagnon machte. Er ist ein großer Mann. Er hat mehrmals die Wahl in den Senat der Vereinigten Staaten abgelehnt, und Vater sagt, daß er Mitglied des Reichsgerichtes werden kann, sobald ein Platz frei wird – und wenn er will. Ein solches Leben ist ein Ansporn für uns alle. Es zeigt uns, daß ein Mann sich hoch über seine Umgebung erheben kann.«

      »Ja, er ist ein großer Mann«, sagte Martin treuherzig. Aber dennoch schien irgend etwas an der Geschichte seiner Auffassung von Schönheit und Leben zu widersprechen. Er konnte kein Motiv in dem Leben Charles Butlers finden, das alle die Entbehrungen, die er sich auferlegt hatte, begründet hätte. Wenn Liebe oder Schönheitsdrang dahintergesteckt haben würde, so hätte Martin es verstanden. »Gottes erkorener, wahnsinngeschlagener Liebender« durfte alles für einen Kuß wagen, nicht aber für ein Jahreseinkommen von dreißigtausend Dollar. Der Lebenslauf Charles Butlers befriedigte ihn nicht. Es hing ihm, trotz allem, etwas Kleinliches an. Dreißigtausend Dollar jährlich waren natürlich ganz schön, aber ein schwacher Magen und die mangelnde Fähigkeit, froh zu sein wie andere Menschen, entwerteten dieses fürstliche Einkommen in seinen Augen völlig.

      Vieles hiervon versuchte er Ruth zu erklären, und das ärgerte sie und zeigte ihr deutlich, daß es hier weiterer durchgreifender Reformen bedurfte. Sie besaß die sehr alltägliche Kurzsichtigkeit, die die Menschen glauben läßt, daß Farbe, Glaube, Politik, wie sie sie besitzen, die alleinseligmachenden sind, und daß andere, über die ganze Welt verstreute menschliche Geschöpfe weniger glücklich gestellt sind als sie selber.

      Es war dieselbe Kurzsichtigkeit, die jenen alten Juden Gott danken ließ, daß er nicht als Weib geboren war, und die den modernen Missionar zu den äußersten Grenzen der Welt schickt, um Gott zu vertreten; und diese Kurzsichtigkeit gab Ruth den Wunsch ein, diesen Mann aus einer ganz anderen Schicht so umzubilden, daß er einem ihrer eignen Schicht glich.

      Neuntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Martin Eden kam von See nach Kalifornien zurück mit der Sehnsucht eines Liebenden. Als sein Geld verbraucht war, hatte er als Matrose auf dem Schatzsucherschiff angeheuert. Auf den Salomoninseln hatte sich dann die Expedition aufgelöst, nachdem sie acht Monate vergeblich nach dem Schatz gesucht hatte. Die Mannschaft war in Australien abgemustert worden, und Martin hatte sofort wieder auf einem in San Franzisko beheimateten Schiffe angeheuert. In diesen acht Monaten hatte er nicht allein so viel Geld zurückgelegt, daß er viele Wochen an Land bleiben konnte, sondern auch Gelegenheit gehabt, eine ganze Menge zu lesen und zu studieren.

      Er war begabt, und hinter seiner Begabung standen sein unbezähmbarer Wille und seine Liebe zu Ruth. Die mitgenommene Grammatik nahm er sich immer wieder vor, bis sein nicht von der Arbeit früherer Jahre mitgenommenes Hirn sie völlig meisterte. Er bemerkte die schlechte Aussprache und die grammatikalisch falschen Satzbildungen seiner Kameraden und verbesserte sie in Gedanken. Zu seiner großen Freude entdeckte er, daß sein Ohr anfing, für Aussprache und Satzbau empfindlich zu werden, und daß er allmählich reiner und besser sprach als die Schiffsoffiziere, ja selbst als die Abenteurer in der Kajüte, die die Expedition ausgerüstet hatten.

      Der Kapitän war ein Norweger mit Schellfischaugen, dem irgendwie eine vollständige Shakespeare-Ausgabe in die Hände gefallen war, und wenn Martin ihm sein Zeug gewaschen hatte, lieh er im dafür die teuren Bücher. Eine Zeitlang hatten ihn die Dramen und die vielen Verse, die sich ihm fast ohne Anstrengung einprägten, so begeistert, daß ihm die ganze Welt fast wie ein Shakespearesches Drama erschien und er beinahe in Jamben dachte. Das übte sein Ohr und brachte ihm Verständnis für die dichterische Sprache bei, während es ihm gleichzeitig einen großen Schatz an altertümlichen Worten und Wendungen schenkte.

      Er hatte die acht Monate gut angewandt und hatte außer dem korrekten Sprechen und dem hohen Gedankenfluge auch sich selbst kennengelernt. Gleichzeitig

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