Gesammelte Werke. Джек Лондон
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Er schwieg einen Augenblick und grübelte darüber nach, wie er sich ausdrücken könnte, ohne daß es eingebildet klang.
»Glauben Sie nicht, daß ich prahlen will«, begann er. »Ich meine es jedenfalls nicht so. Aber ich habe das Gefühl, daß ich zum Studium begabt bin. Ich kann allein lernen. Es ist mir angeboren, wie einer Ente das Schwimmen. Sie sehen selbst, was ich mit der Grammatik erreicht habe. Und ich habe noch eine Menge anderes gelernt – was Sie gar nicht ahnen. Und dabei habe ich doch erst angefangen. Warten Sie nur, bis ich richtig in Schwung bin. Ich fange ja erst an, Fühlung mit den Dingen zu nehmen. Ich fange an, den Kram wegzukriegen –«
»Bitte sagen Sie nicht, ›den Kram wegzukriegen‹«, unterbrach sie ihn.
Er fuhr errötend fort: »Ich kriege Land in Sicht. Wissen kommt mir vor wie ein Kompaßhaus. Jedesmal, wenn ich in die Bibliothek komme, wirkt es so auf mich. Der Lehrer soll dem Schüler den Kompaß systematisch erklären. Die Lehrer sollen einem das Kompaßhaus zeigen – das ist alles. Es ist nicht etwas, das sie selbst im Kopfe haben. Sie erfinden es nicht, noch schaffen sie es. Es steht alles im Kompaßhaus; sie wissen, wie man sich darin zurechtfindet, und es ist ihre Sache, Fremde, die sich sonst leicht verirren würden, zurechtzuweisen. Sehen Sie, ich verirre mich in der Regel nicht. Ich habe Ortssinn. Und ich habe nun schon eine ziemliche Zeit im Kompaßhaus verbracht und weiß bald selber, was ich nötig habe – welche Karten ich benutzen und welche Küsten ich untersuchen will. Und auf meine Weise, die Dinge zu sammeln, lerne ich allein viel schneller. Die Schnelligkeit einer ganzen Flotte ist die, mit der das langsamste Schiff fahren kann. Und ebenso geht es mit der Schnelligkeit der Lehrer. Sie gehen nicht schneller vorwärts, als die Masse ihrer Schüler mitkommt, und ich selbst kann schneller weiter kommen als sie mit einer ganzen Klasse.«
»Der reist am schnellsten, der ganz allein reist«, zitierte sie.
»Aber ich würde doch schneller mit Ihnen reisen«, hätte er fast laut gerufen, im selben Augenblick sah er jedoch eine endlose Welt sonniger Flecken und sternenheller leerer Räume, durch die er, den Arm um sie gelegt, schwebte, während ihr blaßgoldenes Haar ihm ins Gesicht wehte. Und im selben Augenblick erkannte er, wie kläglich unzureichend die menschliche Rede war. Herrgott! Wenn er doch nur die Worte finden könnte, um sie sehen zu lassen, was er in diesem Augenblick sah. Und er fühlte, wie sich in ihm – wie ein sich in Geburtswehen windender Drang – der Wunsch regte, die Gesichte zu schildern, die sich unaufgefordert in einem Nu im Spiegel seines Gehirns zeigten. Ja, das war es eben! Er hatte den Zipfel des Geheimnisses erwischt. Das war es eben, was die großen Dichter und Schriftsteller machte. Daher waren sie Giganten. Sie wußten, wie sie das ausdrücken sollten, was sie dachten, fühlten und sahen. Hunde, die in der Sonne schliefen, knurrten und bellten, waren aber außerstande zu erzählen, was sie knurren und bellen ließ. Er hatte oft über die Ursache nachgedacht. Aber so war er also – ein Hund, der in der Sonne schlief. Er sah edle, schöne Gesichte, konnte Ruth aber nur anknurren und anbellen. Aber er wollte nicht mehr in der Sonne schlafen. Er wollte sich mit offenen Augen erheben, kämpfen, arbeiten und lernen, bis er, mit sehenden Augen und gelöster Zunge, seinen ganzen Reichtum an Gesichten mit ihr teilen konnte. Andere Menschen hatten herausbekommen, wie sie die Worte zu ihren gehorsamen Sklaven machen und Zusammenstellungen von Worten mehr bedeuten lassen konnten, als die Summe der einzelnen Worte. Bei diesem flüchtigen Schimmer des Geheimnisses war er tief bewegt und fühlte sich wiederum erhoben zu diesem Anblick sonniger Flecken und sternenklarer, leerer Räume ... bis er merkte, daß es sehr still in der Stube war. Da sah er, wie Ruth ihn leise belustigt und mit einem Lächeln in den Augen anblickte.
»Ich habe eine große Vision gehabt«, sagte er, und bei dem Klang seiner eigenen Worte klopfte ihm das Herz heftig. Woher waren diese Worte gekommen? Sie hatten genau ausgedrückt, was er in der Gesprächspause erlebt hatte. Es war ein Wunder. Nie hatte er versucht, erhabene Gedanken in Worte umzusetzen. Das war alles. Das erklärte alles. Er hatte es nie versucht. Aber Swinburne hatte es getan und Tennyson und Kipling und alle andern Dichter. Seine Gedanken flogen zu den »Perlenfischern« zurück. Nie hatte er gewagt, sich mit den wirklich großen Dingen einzulassen, mit dem Schönheitsdrang, der wie Feuergluten in ihm brannte. Der Aufsatz würde etwas ganz anderes werden, wenn er ihn fertig hatte. Er erschrak über die ungeheure Schönheit, die mit Recht zu dem Aufsatz gehörte, und wieder erhob sich seine Seele zu den großen Dingen, und er fragte sich, warum er die Schönheit nicht wie die großen Dichter in edlen Versen besingen konnte. Und dazu liebte er Ruth mit all der geheimnisvollen Freude und Verwunderung, die seine Seele füllte. Warum konnte er nicht auch die Liebe besingen, wie die Dichter taten? Sie hatten von Liebe gesungen. Das wollte er auch tun. Da soll Gott –!
Und plötzlich hörte er diesen Ausruf in seinen erschrockenen Ohren. Er war hingerissen worden und hatte es laut gesagt. Das Blut stieg ihm in heißen Wellen ins Gesicht und ließ es, trotzdem es so sonnenverbrannt war, vom Kragen bis zu den Haarwurzeln erröten.
»Ich – ich – bitte um Entschuldigung«, stammelte er. »Ich dachte.«
»Es klang, als ob Sie beteten«, sagte sie mutig, aber es war, als schauderte sie innerlich. Es war das erstemal, daß sie einen Mann, den sie kannte, fluchen hörte, und das empörte sie nicht nur infolge ihrer Prinzipien und ihrer Erziehung, sondern kränkte sie im Innersten durch diesen gewaltsamen Lebenshauch, der in den Garten eindrang, in dem sie in jungfräulicher Unberührtheit lebte.
Aber sie verzieh ihm und wunderte sich gleichzeitig, daß ihr dies Verzeihen so leicht ward. Es war ja auch nicht so schwer, ihm zu verzeihen. Er hatte nicht die Möglichkeiten anderer Männer gehabt, er arbeitete schwer und hatte ja auch Erfolge. Nie war ihr eingefallen, daß ihre freundliche Gesinnung ihm gegenüber andere Gründe haben konnte. Ihre Gefühle waren von Zärtlichkeit getragen, aber sie wußte es nicht. Woher sollte sie es denn auch wissen? Die Ruhe, die ihre vierundzwanzig Jahre, in denen sie nicht ein einziges Mal verliebt gewesen war, ihr gaben, gewährten ihr keinen Einblick in ihre Gefühle; sie hatte nie die Wärme der Liebe gefühlt und war sich auch darum nicht bewußt, daß sie in eben diesem Augenblick in ihr erwachte.
Elftes Kapitel
Martin kehrte an seinen Aufsatz über die Perlenfischer zurück, der schneller fertig geworden wäre, hätte er ihn nicht immer wieder beiseitegelegt und sich in Versen versucht. Seine Gedichte waren von Ruth inspirierte Liebesgedichte, aber sie wurden nie fertig. Er konnte nicht an einem Tage lernen, in edlen Versen zu singen. Reim und Versmaß waren an sich schon ernste Hindernisse auf seinem Wege, weit schwerer aber war das nicht handgreifliche und immer weichende Element, das er in allen großen Dichtungen fand, aber nicht selbst in seinen eigenen Dichtungen einfangen konnte. Es war der täuschende Geist der Poesie selbst, den er fühlte und suchte, aber nicht greifen konnte. Es war wie eine ständige Glut, ein warmer, wogender Dampf, der sich immer außer Reichweite hielt, wenn er ihm auch zeitweise seine Mühe lohnte und ihm Bruchstücke zuteil werden ließ. Diese Bruchstücke verwob er zu Sätzen, die unabhängig in seinem Geist in Tönen widerklangen oder vor seinem Blick wie Nebel von ungeahnter Schönheit wogten. Es war fast unerträglich. Er brannte vor Sehnsucht, sich auszudrücken, und konnte nur in Prosa schwatzen. Er las seine Bruchstücke laut. Das Versmaß war vollkommen, Reim und Rhythmus auch, aber die Glut der Begeisterung, die er in seinem Innern fühlte, fehlte. Das verstand er nicht, und immer wieder kehrte er verzweifelt zu seinem Aufsatz zurück. Ja, Prosa war wirklich leichter!
Nach dem Aufsatz über die Perlenfischer schrieb er einen über