Gesammelte Werke. Джек Лондон
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Am Freitag abend hatte er die einundzwanzigtausend Wörter lange Erzählung beendet. Nach seiner Berechnung mit zwei Cent das Wort mußte sie ihm vierhundertundzwanzig Dollar einbringen – kein schlechter Wochenverdienst. Das war mehr Geld, als er je auf einmal besessen hatte. Er wußte gar nicht, was er mit all dem Geld machen sollte. Er hatte eine Goldmine entdeckt. Wo das hergekommen war, konnte er mehr holen. Er gedachte sich noch einige Kleidungsstücke zu kaufen, viele Zeitschriften zu halten und sich Dutzende von Handbüchern anzuschaffen, um derentwillen er jetzt in die Bibliothek gehen mußte. Aber es blieb immer noch ein gut Teil von den vierhundertundzwanzig Dollar übrig, mit dem er nichts anzufangen wußte. Das quälte ihn, bis ihm der Gedanke kam, ein Dienstmädchen für Gertrude zu engagieren und ein Fahrrad für Marian zu kaufen.
Er schickte das umfangreiche Manuskript mit der Post an das Jugendmagazin, und am Sonnabend nachmittag, nachdem er den Entwurf für einen Aufsatz über Perlenfischerei gemacht hatte, ging er, Ruth zu begrüßen. Er hatte sie zuvor angerufen, so daß sie ihn selbst an der Tür empfing. Das alte, wohlbekannte Gefühl von strahlender Gesundheit strömte ihr von ihm entgegen und traf sie wie ein Schlag. Es war, als ginge sie in ihren Körper über, schösse wie ein glühender Strom durch ihre Adern und ließe sie unter dieser neuen Kraftzufuhr erbeben. Eine warme Röte ergoß sich über sein Gesicht, als er ihre Hand ergriff und ihr in die blauen Augen sah. Aber die acht Monate in einem warmen Klima hatten sein Gesicht so verbrannt, daß man diese Röte nicht sah, wenn man auch auf seinem Halse die roten Streifen des steifen Kragens bemerkte. Sie sah den roten Strich und belustigte sich darüber, aber ihre Heiterkeit schwand, als sie seine Kleidung sah. Sie paßte ihm wirklich – es war sein erster nach Maß gefertigter Anzug –, und er erschien ihr schlanker und feiner gebaut. Dazu hatte er seine Mütze mit einem weichen Filzhut vertauscht, den er auf ihre Aufforderung aufsetzte, worauf sie ihm Komplimente über sein Aussehen machte. Sie konnte sich nicht erinnern, je so glücklich gewesen zu sein. Die mit ihm vorgegangene Veränderung war ihr Werk, und sie war stolz darauf und von dem ehrgeizigen Traum erfüllt, ihm noch weiter zu helfen.
Aber die durchgreifendste Veränderung und die, worüber sie sich am meisten freute, war doch die in seiner Sprache. Er sprach nicht nur korrekter, sondern auch mit größerer Leichtigkeit, und sein Wortschatz hatte sich um viele neue Ausdrücke vermehrt. Nur wenn er sich besonders ereiferte und begeisterte, konnte er wieder in seinen alten Slang und die gedehnten Endsilben verfallen, und sie bemerkte auch eine gewisse Verlegenheit und Zurückhaltung, wenn er einen der neugelernten Ausdrücke anzuwenden versuchte. Aber außer der Leichtigkeit, mit der er sich ausdrückte, bemerkte sie auch zu ihrer Freude eine scherzhafte Leichtigkeit und Eleganz in seinem Gedankengang. Dieser Sinn für Humor und diese Unterhaltungsgabe waren es, die ihn in seinem eigenen Kreise so beliebt gemacht hatten, aber aus Wortmangel hatte er ihr gegenüber bisher keinen Gebrauch davon machen können. Er war im Begriff, ein neuer Mensch zu werden und zu fühlen, daß er keine Null mehr war. Aber er fühlte stets, wie weit er gehen durfte, ließ Ruth in bezug auf Scherz und Unterhaltung stets den Vortritt und wagte sich nie weiter als sie.
Er erzählte ihr von seiner Beschäftigung und seiner Absicht, sich seinen Unterhalt durch Schreiben zu verdienen und daneben sein Studium fortzusetzen. Aber er war sehr enttäuscht, als sie seinem Plan nicht recht zustimmte. Er gefiel ihr offenbar nicht besonders.
»Sehen Sie,« sagte sie offen, »das Schreiben muß doch ein Handwerk wie jedes andere sein. Nicht, daß ich etwas davon wüßte – ich wende nur ganz allgemeine Vernunftsgründe an. Man kann kein tüchtiger Schmied werden ohne drei Jahre – oder sind es fünf Jahre? – das Handwerk gelernt zu haben. Und ein Schriftsteller wird doch viel besser bezahlt als ein Schmied, und da ist es doch selbstverständlich, daß viel mehr Menschen Lust zum Schreiben haben ... zu schreiben versuchen.«
»Aber kann ich denn nicht besonders zum Schreiben veranlagt sein?« fragte er, im geheimen stolz darauf, wie er sich ausdrückte, und seine lebhafte Einbildungskraft ließ sofort den ganzen Auftritt in der Atmosphäre auf einem riesigen Schirm neben andern Auftritten aus seinem Leben erscheinen – Auftritten, die roh und plump, brutal und tierisch waren.
Das ganze Bild entstand mit Blitzesschnelle, ohne das Gespräch oder sein ruhiges Denken zu unterbrechen. Auf dem Schirm seiner Phantasie sah er sich selbst und dieses schöne, liebliche junge Mädchen, sah, wie sie sich in einem Zimmer mit Büchern und Bildern, Stil und Kultur gegenübersaßen, wie sie in einer schönen, korrekten Sprache miteinander sprachen, und über dem ganzen Bild lag ein gleichmäßiger Schimmer, während sich rings über den Schirm verstreut, immer schwächer nach dem Rande hin, widerspruchsvolle Auftritte gruppierten, jeder Auftritt ein Bild, das er selbst als Zuschauer nach Belieben betrachten konnte. Diese andern Auftritte sah er in treibendem Dampf und in dunklen Nebelwirbeln, die plötzlich durch rote, grelle Lichtstrahlen zerstreut wurden. Er sah Cowboys am Schanktisch stehen und schlechten Whisky trinken, während die Luft von Zoten zitterte; er sah sich selbst mit ihnen trinken, mit den Schlimmsten von ihnen unter einer blakenden Petroleumlampe sitzen, während die Jetons rasselten und klirrten und die Karten ausgeteilt wurden. Er sah sich selbst, nackt bis zum Gürtel, mit bloßen Fäusten seinen großen Kampf mit Liverpool Red auf dem Vorderdeck der »Susquehanna« ausfechten, und er sah das blutige Deck der »John Rogers« an dem grauen Morgen, als die Mannschaft zu meutern versuchte und der Steuermann in Todesangst auf der Großluke lag und um sich trat, während der Revolver in der Hand des »Alten« Feuer und Rauch ausspie und die Leute mit leidenschaftverzerrten Gesichtern, daß sie eher Tieren als Menschen glichen, freche Gotteslästerungen ausstoßend, rings um ihn fielen – und dabei kehrte er wieder zu dem Bild in der Mitte des Schirmes zurück, das ruhig und rein im klaren Lichte dastand: da saß Ruth und sprach mit ihm über Bücher und Bilder, und er sah den Flügel und hörte das Echo seiner eigenen, wohlgesetzten und korrekt ausgesprochenen Worte: »Aber kann ich denn nicht zum Schreiben besonders veranlagt sein?«
»Es kann ein Mann auch die besten Anlagen zum Schmied haben«, sagte sie lächelnd. »Ich habe noch nie gehört, daß jemand Schmied wurde, ohne erst seine Lehrzeit durchgemacht zu haben.«
»Was würden Sie mir denn raten?« fragte er. »Aber vergessen Sie nicht, daß ich die Begabung zum Schreiben in mir fühle – ich kann es nicht erklären, ich weiß nur, daß ich sie habe.«
»Sie müssen erst erzogen werden,« lautete die Antwort, »und zwar ganz gleich, ob Sie schließlich Schriftsteller werden oder nicht. Erziehung ist unerläßlich, welche Laufbahn Sie auch wählen wollen, und sie darf nicht unvollkommen oder zufällig sein. Sie sollten die Universität besuchen.«
»Ja –«, begann er; aber sie unterbrach ihn, als wäre ihr noch etwas eingefallen:
»Natürlich könnten Sie auch im Schreiben fortfahren.«
»Das muß ich wohl auch«, sagte er grimmig.
»Wieso?« Sie betrachtete ihn mit kleidsamer Verwunderung, denn der Eigensinn, mit dem er sich an seine Idee klammerte, gefiel ihr nicht recht.
»Weil es nichts mit der Universität werden kann, wenn ich nicht schreibe. Ich muß leben und mir Bücher und Kleidung kaufen, wissen Sie.«
»Das hatte ich ganz vergessen«, lachte sie. »Warum sind Sie auch nicht mit einem Jahreseinkommen auf die Welt gekommen?«
»Mir sind Gesundheit und Phantasie