Das Dekameron. Giovanni Boccaccio
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Der Freimut und die artige Zurechtweisung des Königs von Frankreich durch die Marquise fand allgemeine Zustimmung. Nun nahm Emilia, die neben Fiametta saß, dem Wunsch der Königin gemäß mit Munterkeit folgendermaßen das Wort:
So will ich euch denn ebenfalls nicht verschweigen, wie einst ein wackerer Mann ebenso scherzhaft wie treffend einem geizigen Mönch eins hinter die Ohren gab.
Es war einmal vor nicht gar langer Zeit, liebe Mädchen, ein Bruder Minorit in Florenz Inquisitor der ketzerischen Gräuel, der sich zwar gern das Ansehen der Heiligkeit und des Eifers für die christliche Religion gab (wie sie es alle tun), aber sich nicht minder darauf verstand, den vollen Säckeln auf die Spur zu kommen, als den glaubensleeren Herzen; und vermöge dieser Tätigkeit war ihm einmal ein Ehrenmann in die Klauen geraten, der weit größeren Überfluss an Reichtümern besaß als an Verstand. Dieser hatte nämlich einst, nicht aus Gottlosigkeit, sondern, um frei heraus zu reden, vielleicht vom Weine oder vom Rausch der Fröhlichkeit ein wenig mitgenommen, zu einem von seiner Tischgesellschaft gesagt, er habe einen Wein, der so gut sei, dass ihn Christus selbst trinken würde. Dies ward dem Inquisitor hinterbracht, der wusste, dass der Mann vermögend und seine Börse wohlgefüllt war, daher er cum gladis et fustibus über ihn herfiel und ihm einen fürchterlichen Prozess machte, nicht sowohl, um ihm seinen Unglauben auszutreiben, als um seine Goldgülden in seine Hände zu bekommen. Er ließ ihn vorladen und fragte ihn, ob dasjenige wahr wäre, dessen er beschuldigt würde. Der ehrliche Mann gestand es ein und erzählte dem Inquisitor, wie er dazu veranlasst worden. Aber der fromme Inquisitor, als ein würdiger Geweihter des heiligen Johannes mit dem goldenen Barte, fuhr ihn an: „So willst du Christus zu einem Säufer machen, der nach Weinen lüstern wäre wie einer von euch verkommenen Kneipenhockern und Trunkenbolden? Und nun meinst du mit glatten Worten durchzukommen und das Ding auf die leichte Achsel zu nehmen? Aber es ist nicht so leicht, wie du dir‘s einbildest; du hast den Scheiterhaufen damit verdient, wenn wir dich so strafen wollten, wie wir wohl sollten.“
Mit dergleichen und andern bittern Vorwürfen setzte er ihm zu, als wäre er Epikur in eigener Person, der die Unsterblichkeit der Seele leugnet. In der Tat erschreckte er ihn so sehr, dass der arme Mann durch gewisse Mittelspersonen ihm die Hände mit einer tüchtigen Quantität Fett des heiligen Johann Goldmund schmieren ließ. Diese Salbe bewährt sich trefflich bei der Habsucht der Pfaffen, besonders der Minoriten, die kein Geld anrühren dürfen, wenn sie aber mit der Salbe geschmiert sind, barmherzig wie die Engel mit einem verfahren. Die Salbe, die sehr wirksam ist, obgleich Galenus in seinen Schriften nichts davon erwähnt, schlug so gut an, dass der Scheiterhaufen in ein Kreuz verwandelt ward, und zwar gab er ihm ein gelbes in schwarzem Felde, als wollte er ihn zu einer Kreuzfahrt übers Meer mit einem recht schönen Panier versehen. Überdies behielt er ihn nach dem Empfang des Geldes noch einige Zeit bei sich und legte ihm die Buße auf, dass er alle Morgen die Messe zum heiligen Kreuze hören und sich hernach zur Mittagsstunde bei ihm vorstellen musste, wogegen er mit der übrigen Tageszeit anfangen durfte, was immer er wollte. Jener richtete treulich aus, was ihm auferlegt war, und da traf es sich eines Morgens bei der Messe, dass in dem Evangelium die Worte abgelesen wurden: Es wird euch alles hundertfältig vergolten werden, und ihr werdet das ewige Leben haben. Diese Worte schrieb er sich ins Gedächtnis und erschien, dem Befehle gemäß, um die Mittagsstunde vor dem Inquisitor, der schon bei Tische saß. Dieser fragte ihn, ob er des Morgens die Messe gehört habe.
„Ja, Hochwürden“, war die Antwort.
„Ist dir nichts dabei vorgekommen, woran du einige Zweifel hättest und mich darüber befragen möchtest?“
„Nichts“, sprach der gute Mann. „Ich zweifle an keinem, das ich gehört habe, sondern glaube alles fest und gewiss. Aber eine Sache habe ich gehört, die mir leid ist um Euretwillen und wegen aller Eurer Mitbrüder, wenn ich an den unglücklichen Zustand denke, der Euch in jener Welt erwartet.“
„Wie lauteten denn die Worte, die dich so zum Mitleid mit uns bewegten?“ fragte der Minorit.
„Es waren die Worte des Evangeliums: Es wird euch alles vergolten werden hundertfältig.“
„So steht in der Schrift geschrieben“, sprach der Inquisitor, „aber warum haben dich diese Worte so sehr bewegt?“
„Ich werd‘s Euch sagen, hochwürdiger Herr! Seitdem ich hier aus- und eingehe, habe ich täglich gesehen, dass eine Menge armer Leute bald einen, bald mehrere Kessel Suppe hier abholen, die als überschüssig von Eurer Tafel und der der übrigen Brüder weggeräumt werden. Wenn Ihr nun für jeden Kessel Suppe hundert in jener Welt wiederbekommt, so müsst Ihr ja alle darin ersaufen.“ Hierüber lachten nun zwar alle, die an des Inquisitors Tafel saßen, er selbst aber, der wohl spürte, dass diese Stichelei auf ihre infame heuchlerische Suppenspende abziele, verfärbte sich ganz, und wenn er nicht gefürchtet hätte, dass dieser Vorgang ihm keine Ehre machen würde, so hätte er dem Spötter einen neuen Prozess aufgehalst, weil er mit seinem witzigen Einfall ihn und die anderen faulen Bäuche aufgezogen hatte. Übelgelaunt befahl er ihm zu gehen, wohin er wolle, und ihm nur nicht wieder vor die Augen zu kommen.
SIEBENTE NOVELLE
Bergamino beschämt Herrn Cane della Scala auf eine feine Art wegen einer plötzlichen Anwandlung von Geiz, indem er ihm die Geschichte vom Primasseau und von dem Abte zu Cligny erzählt.
Emiliens Geschichte und ihre muntere Art zu erzählen gab der Königin und der ganzen Gesellschaft genug Anlass zum Lachen, und man lobte den komischen Einfall des Kreuzträgers. Wie aber das Lachen vorüber und alles wieder still war, fing Filostrato, den die Reihe traf, folgendermaßen an zu reden:
Es ist zwar recht schön, meine trefflichen Damen, ein Ziel zu treffen, das an einem festen Ort steht, allein es ist viel mehr zu bewundern, wenn ein Bogenschütze, der etwas Unerwartetes plötzlich erblickt, es auch sogleich trifft. Dass das lasterhafte und abscheuliche Leben der Geistlichen als ein immerwährendes Ziel der Lasterhaftigkeit dasteht, bietet einem jeden, dem es beliebt, einen leichten Anlass dar zum Afterreden, Sticheln und Tadeln, und obwohl der Ehrenmann ganz recht hatte, der dem Inquisitor die heuchlerische Mildtätigkeit seiner Brüder vorwarf, die den Armen das geben, was sich nur für die Schweine oder zum Wegwerfen schickt, so scheint mir doch der noch mehr Beifall zu verdienen, von dem ich euch, durch die vorhergehende Geschichte veranlasst, jetzt erzählen will; indem er den Herrn Cane della Scala, einen sonst freigebigen Mann, wegen einer bei ihm unerhörten plötzlichen Anwandlung von Geiz durch eine artige Geschichte strafte, in der er ihm unter fremdem Namen das vorstellte, was eigentlich sie beide selbst betraf.
Messer Cane della Scala, ein Mann, den das Glück auf mancherlei Weise begünstigt hatte, war, wie die Sage fast überall geht, einer von den vornehmsten und hochherzigsten Herren, die es seit Kaiser Friedrichs II. Zeit in Italien gegeben hat. Als dieser einst in Verona ein überaus prächtiges und Aufsehen erregendes Fest angesetzt hatte und schon von allen Orten und Gegenden, besonders vom Hofe, Gäste von vielerlei Stand und Würden sich einstellten, besann er sich plötzlich – weiß der Teufel, warum – eines andern, sorgte einigermaßen für diejenigen, die gekommen waren, beschenkte und entließ sie. Nur ein gewisser Bergamino, ein Mann, von dessen schlagfertiger und zierlicher Beredsamkeit man sich, ohne ihn gehört zu haben, keinen Begriff machen konnte, blieb allein unbeschenkt zurück, ohne seinen Abschied zu erhalten, doch blieb er in der ausgesprochenen Absicht, in der Folge schon noch auf seine Kosten zu kommen. Allein Herrn Cane hatte es gedeucht, dass alles, was er an ihm täte, nicht besser angewandt wäre, als wenn er es ins Feuer würfe. Indessen sagte er selbst ihm nichts davon und ließ ihm auch nichts sagen. Da Bergamino nach Verlauf einiger Zeit sah, dass er weder eingeladen, noch eine Probe seiner Kunst von ihm begehrt wurde, und dass er übrigens mit seinen Dienern