Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald страница 49
Ich vermutete, daß sie auch schriftlichen Verkehr mit Osio unterhielt und sich des Giuseppe Peseno als Boten bediente. Ich untersagte diesem daher den Zutritt ins Kloster. Das brachte die Schwester Virginia in hohem Grade auf, sie schleuderte mir die schwersten Beleidigungen ins Gesicht, und zwar geschah das in Gegenwart mehrerer anderer Nonnen. Diese hielten es mit Virginia, die von allen ihres Einflusses wegen gefürchtet wurde, und ließen mich im Stiche. Kurze Zeit darauf wurde Virginia krank; sie legte sich zu Bett und behauptete, ich hätte ihr Gift eingegeben. Sie setzte es mit Hilfe ihrer mächtigen Verwandten durch, daß ich von allen meinen Ämtern entfernt und an meiner Stelle die mit ihr eng befreundete Schwester Beatrice zur Priorin, sie selbst aber zur Vikarin ernannt wurde. Nun konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Zwei Jahre später starb Beatrice, und ich wurde Pförtnerin. Während ich dieses Amt zu verwalten hatte, bemerkte ich wiederholt, daß das Schloß an der großen Tür der Kirche zur Nachtzeit geöffnet war. Ich kam auf den Gedanken, daß Osio auf diesem Wege in das Kloster gelange. Eines Nachts hörte Schwester Vittoria, daß in den anderen Klöstern bereits zu dem Matutinum (dem ersten Gebet) geläutet wurde. Sie stand eilig auf und lief ohne Schuhe nach der Kirche, um ebenfalls zu läuten. Auf der Treppe sah sie die Lampe, die soeben noch gebrannt hatte, plötzlich verlöschen. Eine mit Virginia befreundete Schwester stand vor ihrer Zelle und sagte zu der Schwester Vittoria, sie solle die Lampe wieder anzünden. Wahrscheinlich hatten Oslo und Virginia ein Stelldichein in der Kirche, und jene Schwester war beauftragt, Wache zu stehen und die Lampe auszulöschen, sobald ein Unberufener sich nahte.
Ein andermal mußte die Schwester Paol’ Antonia Aliprandi des Nachts ihre Zelle verlassen. Sie sah im Korridor drei Nonnen von der Pforte herkommen und rief 4 sie an. Eine der Nonnen, die ein Tuch um den Kopf geschlungen hatte, so daß ihr Antlitz verdeckt war, zog sich hierauf in eine Ecke nahe der Pforte zurück. Antonia war neugierig und wollte gern wissen, wer diese Nonne sei, sie wurde aber von Schwester Benedetta – einer der drei Nonnen – am Arme gefaßt und mit dem Bemerken zurückgeschoben, es sei die Schwester Giovanna. Das war eine Lüge, denn Giovanna befand sich in der Kirche. Wahrscheinlich hatte Osio sich in das Gewand einer Nonne gekleidet, um desto ungestörter bei Virginia sein zu können.
In der Nacht der Vigilien am letztvergangenen Allerheiligenfeste war Schwester Dorothea krank. Viele Nonnen befanden sich in ihrer Zelle, unter ihnen auch die Freundinnen und Helferinnen der Virginia, die Schwestern Candida, Benedetta und Ottavia. Die letztere ging dreimal aus der Zelle und sprach, wenn sie wiederkam, stets heimlich mit Candida und Benedetta. Ich schloß daraus, daß Osio in dieser Nacht in das Kloster gekommen und bei Virginia sei, die unter dem Vorwand des Unwohlseins dem Gottesdienste nicht beigewohnt hatte. Virginia hatte in der Zelle der Schwester Ottavia geschlafen, diese, Candida, Benedetta und Silvia waren geschäftig aus-und eingegangen, hatten aber regelmäßig die Tür der Zelle verschlossen.
Damit war die Schuld der Schwester Virginia so gut wie bewiesen. Am folgenden Tage wurde Virginia aus dem Kloster Santa Margherita weggebracht und in das Kloster del Borchetto zu Mailand übergeführt. Vermutlich befürchtete man, daß manche von den Nonnen nicht mit der Sprache herausgehen würden, solange Virginia im Kloster wäre und die Mittel besäße, ihren Einfluß geltend zu machen.
Am 30. November 1607, bevor noch weiter in der Untersuchung vorgegangen worden war, ließ sich der Erzpriester Settala bei dem Kriminaloikar der erzbischöflichen Kurie von Mailand melden und überreichte ihm einen ihm soeben im Beichtstuhle eingehändigten Zettel, in dem der Guardian des Klosters Maria delle Grazie anzeigte, daß eine Nonne aus dem Kloster Santa Margherita mit zahlreichen Wunden bedeckt im Kloster Maria belle Grazie angekommen sei. Der Kriminalvikar Saraceno und der Erzpriester Settala begaben sich ohne Verzug in das außerhalb der Stadt gelegene Kloster Maria delle Grazie, der Notar aber, den Saraceno zu seiner Unterstützung, mitgebracht hatte, verfügte sich in das Kloster Santa Margherita, um Erkundigung einzuziehen über die Vorfälle, die sich dort in der vergangenen Nacht etwa zugetragen hätten. Er ließ durch die Priorin feststellen, welche Nonnen fehlten, und siehe da, die Schwestern Ottavia Ricci und Benedetta Homati, die zwei vertrauten Freundinnen der Schwester Virginia, waren während der Nacht vom 29. zum 3o. November aus dem Kloster verschwunden.
Der Kriminalvikar Saraceno fand im Kloster Maria delle Grazie eine Nonne, deren Kleider beschmutzt, zerrissen und durchnäßt waren. Sie blutete stark und war augenscheinlich sehr schwach. Sie gab an, sie sei Schwester Ottavia Ricci und sei zusammen mit der Schwester Benedetta Homati aus ihrem Kloster entflohen. Giampaolo Osio habe sie beide zur Flucht überredet und ihnen den Weg gebahnt. Was aus ihrer Gefährtin geworden sei, das wisse sie nicht. Sie war so entkräftet; daß zunächst darauf verzichtet werden mußte, ein genaues Verhör mit ihr anzustellen. Sie wurde im Wagen aus dem Mönchskloster Maria delle Grazie in das Nonnenkloster di Santa Oisola in Monza geschafft, dort entkleidet, zu Bett gebracht und verbunden. Sie hatte nicht weniger als zwölf Wunden, die meisten am Kopfe, und war augenscheinlich sehr schwer verletzt. Als sie wieder so weit genesen war, daß sie ausführlich vernommen werden konnte, machte sie folgende Angaben: »Mein Vater heißt Agrippa, und ich bin in Mailand geboren. Bis gestern bin ich im Kloster Santa Margherita gewesen. Ich war sehr befreundet mit Schwester Virginia und kannte ihr Verhältnis zu Osio. Als sie gestern plötzlich aus dem Kloster weggebracht wurde, erschrak ich und fürchtete, daß nun auch ich, weil ich ihre Liebschaft mit Osio unterstützt und ihr Dienste geleistet hatte, zur Rechenschaft gezogen werden würde. Ich konnte es vor innerer Unruhe nicht mehr in meiner Zelle aushalten und begab mich zur Schwester Candida, um nicht allein schlafen zu müssen. Ich kleidete mich eben aus und wollte zu Bett gehen, als mir Schwester Benedetta ein Zeichen gab. Ich ging vor die Zelle und besprach mich dort mit ihr. Sie sagte mir, sie fühle sich nicht mehr sicher, fürchte sich vor der Kriminaluntersuchung, die der Kriminalvikar bereits eingeleitet habe, und sei deshalb unter allen Umständen entschlossen, aus dem Kloster zu fliehen. Sie habe Osio davon in Kenntnis gesetzt und ihn gebeten, ihr behilflich zu sein. Auf meine Bemerkung, das sei ja Wahnwitz, sie solle nicht so törichte Pläne verfolgen, entgegnete sie mir, wenn ich im Kloster bliebe und nicht ebenfalls die Flucht ergriffe, würde niemand anders als ich wahnsinnig sein. Hierauf ging sie die Treppe, die zur Kirche führte, hinunter, und ich lief ihr nach, um sie zurückzuhalten. Auf meine Frage, wo Osio sei, erwiderte sie: ›Komm mit, du wirst ihn schon sehen. Er ist eben damit beschäftigt, die Mauer zu durchbrechen.‹ Sie führte mich an die Gartenmauer in die Nähe des großen Tores und rief dem jenseits der Mauer stehenden Oslo zu: ›Wißt Ihr schon, daß Ottavia nicht mitkommen will?‹ Er antwortete: ›Meinetwegen! Aber nach allem, was ich erfahren habe, steht der Kopf auf dem Spiele.‹ Während Asio von außen eine Öffnung in die Mauer brach, half Benedetta von innen nach. Beide wurden nicht müde, mir vorzureden, welche fürchterlichen Strafen meiner warteten, wenn man durch die Untersuchung dahinterkäme, daß ich dem fleischlichen Umgange einer Nonne mit einem Manne Vorschub geleistet hätte. Sie malten mir solche schreckliche Bilder vor, daß ich mich endlich bereit erklärte, aus dem Kloster zu entweichen, wenn Osio mir versprechen wollte, mich in ein Nonnenkloster nach Bergamo zu bringen. Er versprach mir das, ich kleidete mich darauf wieder an und gelangte zusammen mit Benedetta durch die Öffnung der Mauer ins Freie, Osio geleitete uns an der Stadtmauer entlang, die wir an einer Stelle, wo sie eingestürzt war, überstiegen. Nachdem