Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald
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Nach der Aussage des älteren Sohnes Konrad hatte der wilde Vater seine Kinder nie als Kinder behandelt und sie nur Diebe und Spitzbuben genannt. Wegen einer kleinen Ungeschicktheit hatte er den zwölfjährigen Knaben so geschlagen, daß er bewußtlos in der Mühle liegen geblieben war und dabei zeitlebens eine Narbe davontrug. Ein andermal schlug er diesen Sohn auf dem Ackerfelde dermaßen, daß er die Pferde stehen lassen und nach Hause kriechen mußte. Er mußte zwei Tage krank liegen, und der Unmensch von Vater verbot der Mutter, dem Knaben währenddessen zu essen zu geben, weil er nichts verdiene. Kein Dienstbote konnte es bei ihm aushalten, weshalb er jährlich drei-bis viermal die Knechte wechselte. Beide Söhne arbeiteten desto unverdrossener. Sie brachten zu dem Vermögen tausend Gulden zu; dem Vater war es aber doch nie recht und nie genug, er schalt, daß sie mehr brauchten, als sie verdienten.
Auch nach der Aussage des Sohnes Konrad schimpfte der Schwarzmüller seine Frau immer nur »Sauleder«, »Mistluder« und richtete sie unzählige Male so mit Schlägen zu, daß sie mehrere Tage im Bett liegen mußte. Oft mißhandelte er sie so, daß sie über und über voll Blut war und man sie nicht mehr erkennen konnte. »Weder die Mutter noch wir Kinder waren vor ihm unseres Lebens sicher. Zudem hat er drei uneheliche Kinder in die Welt gesetzt und unserer Mutter ebenso wenig Geld als uns in die Hand gegeben, obgleich das Vermögen von unserer Mutter hergekommen ist und er es zu Hunderten an seine Menscher ausgab. Wir Kinder hätten längst unser Brot auf eine andere Weise gesucht, wäre es uns nicht um unsere Mutter zu tun gewesen, die wäre dann ganz allein und hilflos bei dem Vater geblieben. Wir suchten endlich Hilfe gegen unseren Vater auf dem rechten Wege (vor Gericht), aber wir fanden sie nicht. Hätten wir einen Vater gehabt, mit dem nur etwas auszukommen gewesen wäre, so hätte er eine Freude an seinen Kindern haben können; denn wir waren treu, fleißig und ordentlich, wie jedermann weiß. Aber unser Vater war ein Unmensch.«
Dann erinnerte der Sohn daran, wie sein Vater in alter Zeit schon seinen Vater geprügelt und geschlagen habe. Noch könne man in der Mühle sehen, wie der Großvater sich durch sechsfache Riegel und Schlösser vor seinem Sohn zu schützen gesucht habe. An der Tür zu dem Gemach, in dem sich der alte Schwarzmüller damals eingeschlossen hatte, sah man wirklich noch drei Hiebe von der Holzaxt, die entstanden waren, als der böse Sohn die Tür hatte aufhauen wollen, um dem Vater zuleibe zu gehen.
Der jüngere Sohn äußerte sich über den toten Vater und sein unmenschliches Wesen ebenso, nur noch heftiger. Der Tod des Vaters hatte nicht im geringsten die bösen Eindrücke verwischt oder gemildert. Auch Friedrich hatte er einst mit der Hacke einen Schlag auf den Kopf gegeben, daß das Blut bis in den Stiefel lief und die Wunde nach dreiviertel Jahren noch nicht zugeheilt war. Einst, als Friedrich nach Hause kam, hörte er schon von weitem ein jämmerliches Geschrei. Er fand die Mutter in der Holzecke, und der Müller schlug mit einer zerbrochenen Holzaxt ununterbrochen auf sie los, indem er dabei rief: »Luder, ich bringe dich um, ich bringe dich um! Ich kann dich nicht mehr im Hause leiden.« Ohne die Dazwischenkunft des Sohnes wäre damals die Mutter wahrscheinlich umgebracht worden; sie blutete bereits fürchterlich. Aber der Sohn entwand dem Vater die Holzaxt und hielt ihn so lange, bis die Mutter entsprungen war. Doch war es nicht ohne eigene Gefahr für ihn abgegangen; auch er mußte sich flüchten und konnte wegen der Schläge auf Kreuz und Arm, die er im Kampf erhalten hatte, fünf Tage lang nicht arbeiten. Das war die Nacht, von der die Mutter ausgesagt hatte, daß sie mit ihrem Sohne Friedrich im Stall auf dem Futter gelegen habe. Der Sohn forderte den Richter auf, seine Mutter durch den Doktor visitieren zu lassen, da werde man an ihrem Leibe eine Menge Wunden finden, die alle der Vater geschlagen habe. Von dem schändlichen Lebenswandel berichtete Friedrich noch, daß Frau und Kinder ihn nicht selten bei der Magd im Bette angetroffen hätten und er eine Menge Geld für heimliche Arzneien ausgegeben habe, um der Magd das Kind, das sie von ihm hatte, abzutreiben. Friedlich schloß seine herzergreifende Anklage gegen den toten Vater mit den Worten:
»Und von seiner Jugend an führte er den schlechten Lebenswandel. Seinem Vater hat er das Geld weggestohlen und liederlich durchgebracht, und er hat, wie ich mich noch wohl erinnere, seinen eigenen Vater, kurz ehe er starb, bei den Füßen angepackt, ihn die Stiege herab-und vor die Mühle hinausgeschleift. Und dem Alten sein Kopf war jämmerlich zerschlagen, und er hat über und über geblutet. Solch ein Unmensch war unser Vater! Ach, solange wir auf dieser Welt sind, haben wir noch keine Ruhe und keine Freude gehabt. Vor unseres Vaters Tode wurden wir gepeinigt von ihm, und nach seinem Tode peinigt uns unser Gewissen!«
Zwar stammen alle diese Aussagen von solchen, in deren Interesse es lag, den Ermordeten so schwarz als möglich zu schildern, um die Motive ihrer Tat in den Augen ihrer Richter so stark und zwingend als möglich erscheinen zu lassen; aber die Aussage eines jeden Einzelnen hatte in der Schlichtheit der Darstellung, in der Folgerichtigkeit, mit der sie vorgetragen wurde, in der Wärme des Gefühls, das oft durchbrach, die Wahrscheinlichkeit innerer Wahrheit für sich. Diese Wahrscheinlichkeit wurde durch die Übereinstimmung aller einzelnen Aussagen verstärkt und durch die Aussagen unbeteiligter Zeugen in den Augen des Richters über allen Zweifel erhoben. Der Schwarzmüller war der Wüterich, wie Frau und Kinder ihn schilderten, der Unmensch, dessen Tod eine Wohltat für alle wurde, die mit ihm in Berührung getreten waren; er, der als ruchloser Sohn die Mörderhand gegen seinen Vater erhoben hatte, mußte unter der Mörderhand eines von seinen Söhnen gedungenen Meuchelmörders sterben. Es war ein fatalistisches Trauerspiel – merkwürdig, daß zur Zeit des Nachspuks der fatalistischen Romantik kein Dichter zu diesem Stoff gegriffen hat, der überdies in der einsamen Gebirgsmühle mit seinen Felsen und Gespenstern einen so vortrefflichen szenischen Hintergrund bot – ein Trauerspiel, das um so erschütternder wirkt, als die vernichtenden Folgen der Tat die vor dem moralischen Richtelstuhl Unschuldigen trafen.
Der Vorgang des Verbrechens, wie er sich aus den Zeugenaussagen ergab, war folgender:
Schon früher war es den unglücklich Leidenden manchmal zu arg geworden. Finstere Gedanken waren in ihnen aufgestiegen, das heiß aufwallende Blut hatte böse Wünsche erzeugt. Da sie zu sehr Naturmenschen und Verstellung nicht gewöhnt waren, hatten sie diese Wünsche nicht einmal vor anderen verbergen können.
Als ein Jahr etwa vor der Tat ein wegen seiner Kunst berühmter Schütze eines Abends als Mahlgast in der Mühle einkehrte, in der gerade die Müllerfrau und ihre beiden Söhne anwesend waren, äußerte einer der letzteren: »Schuster!« – so hieß der Jäger – »wenn du doch einmal unseren Alten für einen Rehbock hieltest!« Die Mutter setzte rasch hinzu: »Du dürftest dir dann für eine gute Weil kein Mehl zum Brotbacken kaufen.« Der Jäger wußte nicht, ob das Scherz oder Ernst war. Er ging fort, ohne etwas darauf zu erwidern.
Ein andermal schnitzte ein Tagelöhner abends Schleußen für die Müllersleule. Auch da äußerte der eine Sohn, wie vor sich hin: »Wer unsern Vater wegräumte, bekäme einen guten Lohn.« Der Arbeitsmann verstand das besser als der Jäger. Er antwortete: »Ich kann den Alten nicht wegräumen, er würde meiner ja Herr werden.«
Die Schuldigen räumten solcher Art Äußerungen zwar ein, der Vorsatz eines Mordes sei jedoch noch nicht zum bewußten Willen in ihnen geworden. Es seien nur Stoßseufzer ihrer fürchterlichen Angst gewesen, wenn sie auch glücklich gewesen wären, wenn sie jemand von einem solchen Vater befreit hätte.
Der unreife Gedanke, der dunkle Wunsch in den Unglücklichen erhielt Nahrung und eine bestimmtere Richtung durch eine seltsame mindestens unvorsichtige Äußerung des vorigen und jetzt abgesetzten Landrichters. Sooft sie sich nämlich über die Unmenschlichkeit und den liederlichen Lebenswandel ihres Vaters beklagten, erhielten sie die Antwort, daß die Gesetze ihnen nicht helfen könnten, und gewöhnlich sagte der Landrichter: »Euch ist nicht zu helfen noch zu raten. Ihr habt nun mal einen bösen, streitsüchtigen Vater; es wäre am besten, wenn er weg