Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald
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Der Gendarm des Distrikts machte im September 1818 eine Anzeige darüber beim Landgericht. Sein Verdacht, der sich auf die Äußerung des Wagner gründete, schien ihm noch bestärkt zu werden durch den Umstand, daß es in der ganzen Gegend bekannt war, in welchem Unfrieden der Schwarzmüller mit seiner Familie gelebt hatte. Überdies fiel ihm jetzt ein, wie verlegen die Müllersleute sowohl als auch der Wagner und seine Frau gewesen waren, als er bei ihnen wegen des Verschwindens des Schwarzmüllers nachgefragt hatte. Dem Gerichte selbst war nur zu wohl bekannt, daß seit langem schon eine erbitterte Todfeindschaft zwischen dem Schwarzmüller und seiner ganzen Familie geherrscht hatte. Erst zwei Monate vor seinem Verschwinden hatte der Müller seine eigene Frau und seine Söhne beim Gericht deswegen verklagt, weil sie ihm die Schlüssel zu seinen Zimmern und seinem Geldvorrat fortgenommen, sich in den Besitz der Getreidevorräte gesetzt, sich das ganze Hausregiment angemaßt und ihm sogar mit Schlägen gedroht hätten. Die Beklagten hatten sich damit verteidigt, daß das ganz in der Ordnung wäre, denn der Müller sei ein liederlicher Hausherr und Verschwender, der alle seine Pflichten vernachlässige; er lebe im Ehebruch und habe neulich erst wieder mit einer liederlichen Dirne ein Kind erzeugt, das ihm viel Geld gekostet habe. Zwar wurde der Frau und den Kindern anbefohlen, dem Hausherrn die ihm gebührende Gewalt wieder einzuräumen; aber schon am nächsten Tage war er abermals klagend vor den Gerichten erschienen, denn die Seinen hatten sich tätlich an ihm vergriffen. Es mußte eine besondere Kommission in die Mühle geschickt werden, um den Gatten und Hausherrn wieder in seine Rechte einzusetzen; auch da äußerte sich aus beiden Seiten die tiefste Erbitterung, und Frau und Kinder erklärten, sie behielten sich ihre Klage gegen den liederlichen Mann vor, unter dessen Regiment sie ihres Lebens nicht sicher wären.
Das Landgericht tat nach der Anzeige, die der Gendarm erstattet hatte, sofort mit anscheinend großem Eifer die nötigsten Schritte zu einer vorläufigen Untersuchung. Der Landrichter begab sich selbst in die Schwarzmühle und vernahm mehrere Zeugen; aber es kam nichts dabei heraus. Der Tagelöhner Preuß wiederholte zwar, was ihm der Tagelöhner Wagner gesagt hatte, aber Wagner nannte das eine leere Rede und behauptete mit den Müllersleuten, der Schwarzmüller sei heimlich davongegangen, niemand wisse es anders. Für das allgemeine Gerücht, daß der Müller erschlagen worden sei und Wagner geholfen habe, seinen Leichnam in der Sägemühle zu verscharren, fanden sich keine Beweise, und da der Gemeindeälteste Konrad erklärte, er wisse von den Müllersleuten und von dem Wagner nichts Nachteiliges, und auch ein Hirt bezeugte, er habe in der Heuernte 1817 für den Schwarzmüller in dessen Begleitung einen Sack Geld, der wohl an zweitausend Gulden habe enthalten können, in einen entfernten Ort forttragen müssen, so wurde die vorläufige Untersuchung geschlossen und keine weiteren Nachforschungen angestellt.
Freilich waren von dem Gericht mehrere Unterlassungssünden begangen worden. Der Preuß war nicht eidlich, die Töchter des Schwarzmüllers waren gar nicht vernommen worden. In der Sägemühle hatte man nicht nachgegraben, und der Landrichter unterließ, was seine Pflicht gewesen wäre, die Akten zur Prüfung an das Obergericht einzusenden.
Hiermit schien die ganze Sache beendet, und das Gerücht schwieg. Über drei Jahre hörte man nichts von dem verschwundenen Schwarzmüller, während die Familie ruhig im Besitz der Mühle und der ganzen Hinterlassenschaft blieb.
Im Jahre 1821 aber entstand gegen den Landrichter, der jene vorläufige Untersuchung geführt hatte, der dringende Verdacht mehrerer Unterschleife und anderer Amtsvergehen. Er wurde suspendiert, und ein Bevollmächtigter des Obergerichts wurde nach dem Sitze des Landgerichts gesandt, um den neuen Verwalter einzuführen und zugleich eine Amtsvisitation abzuhalten.
Während er damit beschäftigt war, brach plötzlich in einer Novembernacht Feuer in der verschlossenen Registratur aus, durch das ein großer Teil der Akten des Gerichts in Flammen aufging und den Eingesessenen ein bedeutender Schaden widerfuhr. Der Verdacht der Brandstiftung fiel sogleich auf den suspendierten Richter, weil das Motiv sehr nahe lag, daß er die Zeugnisse seiner Amtsveruntreuungen hatte vernichten wollen, und es wurde eine neue Untersuchung wegen dieser Brandstiftung gegen ihn eröffnet.
Der Bevollmächtigte richtete nun seine ganze Aufmerksamkeit darauf, aus den geretteten Akten diejenigen Stücke herauszusuchen, deren Vernichtung für den vorigen Richter ein besonderes Interesse gehabt haben mußte; und während ihm dabei ein Aktenbündel »Die Aufstellung eines Kurators für den abwesenden Schwarzmüller betreffend« in die Hände geriet, erhielt er zugleich von dem Gerücht Nachricht, daß dieser Müller von den Seinen ermordet worden sei. Es wurde ihm zugeflüstert, daß der vorige Richter von den wohlhabenden Müllersleuten wohl ein Stück Geld müsse erhalten haben, um die Sache auf sich beruhen zu lassen. Dieser Verdacht wurde in den Augen des Bevollmächtigten nur noch bestätigt, als er auch das andere unvollständige Aktenstück mit den Protokollen über die Aussage des Gendarmen und der Tagelöhner auffand.
Sofort wurde eine neue Untersuchung eröffnet. Die schon früher vernommenen Zeugen sagten ungefähr dasselbe aus wie bei der Voruntersuchung. Nur die Ehefrau des Wagner legte schon beim ersten Verhör ein Bekenntnis ab. Die Söhne des Schwarzmüllers hätten vor vier Jahren ihren Ehemann beredet, daß er ihnen helfen möchte, ihren Vater auf die Seite zu schaffen. Das sei ungefähr im August oder September 1817 geschehen. Sie, die Ehefrau, hätte es nicht leiden wollen, die Söhne hätten aber nicht nachgelassen. Darauf wäre ihr Mann einmal nachts mit ihnen in die Schlafkammer des Müllers gegangen, und sie hätten ihn miteinander umgebracht. Der Leichnam sei in einer Felsschlucht auf dem Grund und Boden der Mühle vergraben worden.
Der Ehemann der Zeugin, der Tagelöhner Wagner, wurde nun ernsthaft vorgenommen, und es dauerte nicht lange, bis auch er zu einem Geständnis gebracht wurde. Der alte Schwarzmüller sei ein grausamer Mensch und allen Ausschweifungen ergeben gewesen. Frau und Kinder hätten viel von ihm zu erleiden gehabt und in beständigem Hader mit ihm gelebt. Da habe Konrad, der Sohn des Müllers, ihm – im September 1817 – vertraut, die Familie könne es nicht mehr aushalten. Damit er sie nicht um alles bringe, wollten sie ihn in der nächsten Nacht auf die Seite schaffen. Konrad habe ihn aufgefordert, ihnen dabei zu helfen. Zuerst hätte er nicht dran gewollt, aber auf vieles Zureden habe er sich endlich doch entschlossen. Nun habe ihn Konrad eines Nachts abgeholt, und sie beide hätten dann unter Beihilfe des jüngsten Sohnes Friedrich den alten Vater in der Küche ermordet. Der Leichnam sei zuerst in der Sägemühle verscharrt worden. Später hätten sie ihn in eine Felsenschlucht auf dem Krummacker geworfen und mit Erde und Steinen bedeckt. Die Müllerin und ihre Töchter wüßten auch von der Tat.
Das Unteisuchungsgericht begab sich darauf ganz in der Stille in das Sittental. Die Herren kamen gegen Abend an, die Schwarzmühle wurde umstellt, und man überraschte die Familie, als sie eben stehend ihr Tischgebet nach dem Abendessen verrichtete. Man ließ sie ruhig das Gebet aussprechen; dann wurde sämtlichen Mitgliedern der Familie der Arrest angekündigt und jedes in ein gesondertes Gemach eingeschlossen. Noch in derselben Nacht schritt man zum summarischen Verhör der Mutter und beider Söhne. Aber die Überrumpelung blieb ohne Ergebnis. Jeder antwortete ruhig und unbefangen dasselbe, was in den früheren Protokollen stand. Keiner wußte etwas von dem verschwundenen Vater, und jeder glaubte nicht anders, als daß er vor Jahren auf-und davongegangen sei, ohne daß einer etwas von seinem weiteren Ergehen gehört habe.
Ein ganz anderes Resultat lieferte der folgende Tag. Der Tagelöhner Wagner führte die Gerichtspersonen links von der Mühle eine steile Bergwand hinauf. Dann ging es über mehrere Äcker in einen Felsengarten, in dem sich eine Kluft befand. Hier, erklärte Wagner, sei der Leichnam des Schwarzmüllers von den Söhnen verscharrt worden. Man räumte mehrere lose, nur dürftig mit Moos und Gestrüpp überwachsene Steine hinweg, und als man an eine Schicht von verwittertem Laub und Steinen gekommen war, rief der Führer: »Nun kommt der Leichnam bald.« Als man auch diese weggetan hatte, kamen wirklich einige Fetzen halbvermoderten Tuches, Schädelknochen, Wirbelknochen, Rippenknochen und andere Knochen zum Vorschein, die von dem Gerichtsarzt als unzweifelhaft für die Gebeine eines Menschen erklärt wurden. Der Tagelöhner Wagner sagte: »Ja, das wird der Schwarzmüller sein. Denn in meiner Gegenwart trugen ihn die Söhne vor vier Jahren hier