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und nach dem Abbé Mariotte, der ebenfalls diensttuender Priester an der Kathedrale war, fragte.

      »Der Abbé ist eben weggegangen«, antwortete Herr Chaubard. »Wer fragt nach ihm?«

      »Ein anständig gekleideter Mann, dessen Aussehen aber sehr verstört war, als er mit mir sprach«, erwiderte der Mesner.

      »Sagte er, was er bei dem Abbé wollte?«

      »Ja, Herr Pfarrer, er wünschte dringend, sofort zu beichten.«

      »Wenn es das ist, so kann ich ihm ja in Abwesenheit des Abbé Mariotte dienlich sein. Gehen wir in die Kirche zurück, und sagen Sie dem Manne, daß ich auf ihn warte.«

      Der Fremde ging unruhig im Schiff der Kirche auf und ab, seine Blicke waren scheu und verwirrt, er machte den Eindruck eines Geisteskranken. Herr Chaubard redete ihn an:

      »Ich bedaure, daß der Abbé Mariotte nicht mehr hier ist und Sie nicht empfangen kann.«

      Der Unbekannte schien die Worte gar nicht gehört zu haben, sah den Priester ängstlich an und sagte: »Ich will beichten.«

      »Das können Sie sofort, wenn Sie wollen«, entgegnete Herr Chaubard. »Ich gehöre zu dieser Kirche und bin berechtigt, hier Beichte zu hören. Oder sind Sie mit dem Abbé Mariotte persönlich bekannt? Dann warten Sie vielleicht lieber?«

      »Nein! Ich möchte so bald als möglich beichten, wäre es auch einem Fremden.«

      »Dann haben Sie die Güte und folgen Sie mir.«

      Der Priester ging auf den Beichtstuhl zu, das Beichtkind folgte ihm. Der Mesner, dessen Neugierde rege geworden war, blieb stehen und wartete, was nun weiter geschehen würde. Nach einigen Minuten sah er, daß der Vorhang, der dazu diente, das Gesicht des diensttuenden Geistlichen zu verbergen, rasch zugezogen wurde. Der Büßende kniete, den Rücken gegen das Innere der Kirche gewendet, nieder. Es verfloß mehr als eine Stunde, endlich wurde der Vorhang wieder zurückgezogen, Priester und Büßender verließen den Beichtstuhl.

      Der Mesner erschrak, als er die Veränderung wahrnahm, die mit Herrn Chaubard vorgegangen war. Das gesunde, rote Gesicht des Pfarrers hatte alle Farbe verloren, es war so weiß geworden, als wenn Chaubard eben von einer langen Krankheit aufgestanden wäre. Er starrte ganz entsetzt vor sich hin und verließ die Kirche in fieberhafter Hast, ohne sich von seinem Untergebenen mit einem Wort oder einem Blick zu verabschieden. Der Fremde hatte sich schon vorher entfernt, der alte Kirchendiener ging auf den leeren Beichtstuhl zu, er sah ihn fragend an, als wenn das tote Holz das Geheimnis hätte verraten können, und brummte: »Der gute Herr Chaubard hat mehr gehört, als ihm lieb ist.«

      Inzwischen wurde es Abend. Im Hause des Herrn Siadoux wurde der Tisch gedeckt, und man erwartete die Heimkehr des Hausherrn. Die Töchter sahen oftmals zu den Fenstern des oberen Stockes hinaus, von denen aus man ein großes Stück der Landstraße übersehen konnte, aber von ihrem Vater war keine Spur zu entdecken.

      Die Witwe Mirailhe und die beiden Nachbarn fanden sich pünktlich ein. Herr Chaubard dagegen, der sonst niemals auf sich warten ließ, kam nicht. Die Sonne ging unter, es fing an zu dunkeln, und noch immer waren weder Siadoux noch der Pfarrer erschienen.

      Die kleine Gesellschaft saß wartend um den Tisch herum. Nach einer Weile wurde aus der Küche heraufgeschickt, die Speisen müßten nun gegessen werden, sonst würden sie verbrennen.

      Man beriet, was zu tun wäre. Endlich sagte Frau Mirailhe: »Ich glaube, mein Bruder kommt heute nacht gar nicht mehr nach Hause. Es ich wohl das beste, wenn wir mit dem Essen beginnen, sobald Herr Chaubard kommt.«

      »Dem Vater wird doch kein Unglück zugestoßen sein?« fragte eine der beiden Töchter.

      »Das verhüte Gott«, versetzte die Witwe.

      »Das verhüte Gott«, wiederholten die Nachbarn und warfen einen sehnsüchtigen Blick auf den leeren Eßtisch.

      »Es war ein höchst ungünstiger Tag zum Reisen«, sagte Ludwig, der älteste Sohn.

      »Es regnete gestern fortwährend«, ergänzte der zweite Sohn Thomas.

      »Und deines Vaters Rheumatismus erlaubt ihm eigentlich nicht, daß er bei nassem Wetter reist«, bemerkte die Witwe nachdenklich.

      »Das ist ganz richtig!« stimmte der erste der beiden Nachbarn zu und schüttelte beim Anblick seines untätigen Besteckes ärgerlich den Kopf.

      Abermals wurde von der Küche heraufgeschickt, die Gesellschaft möchte doch nicht mehr länger warten lassen.

      »Wo bleibt aber Herr Chaubard? Ist er etwa auch verreist? Warum ist er denn nicht da? Hat ihn denn heute niemand gesehen?« fragte die Witwe Mirailhe.

      »Ich habe ihn heute schon gesehen«, erwiderte der jüngste Sohn, der bis dahin noch kein Wort gesprochen hatte. Der junge Mann hieß Johann; er war nichts weniger als zungenfertig, dafür hatte er aber schon bei mancherlei Veranlassungen bewiesen, daß er, wenn es sich um scharfe Beobachtung oder eine rasche Tat handelte, das brauchbarste Mitglied der Familie war.

      »Wo hast du ihn gesehen?« fragte die Witwe.

      »Ich begegnete ihm heute morgen auf dem Wege nach Toulouse.«

      »Er ist doch hoffentlich nicht krank geworden? Sah er vielleicht krank aus, als du ihm begegnetest?«

      »Er sah gesund und wohlgemut aus. Er sah in seinem Leben nie besser aus.«

      »Und ich habe gefunden, daß er niemals schlechter aussah als heute«, warf der zweite Nachbar in dem verdrießlichen Tone eines hungrigen Menschen ein.

      »Wie? Heute morgen?« rief Johann erstaunt.

      »Nein, heute nachmittag«, antwortete der Nachbar.

      »Ich begegnete ihm, als er hier in die Kirche ging. Er war so weiß wie unsere Schüsseln – die wir erwarten. Und was das auffallendste dabei war: er ging an mir vorüber, ohne mich auch nur im geringsten zu beachten.«

      Johann schwieg, es trat eine Pause in der Unterhaltung ein; man hörte, daß draußen der Regen in Strömen herunterfiel und an die Fenster schlug; es war mittlerweile völlig Nacht geworden. Nach einigen Minuten hob die Witwe Mirailhe von neuem an:

      »Wenn es nicht so heftig regnete, könnten wir jemand wegschicken, um nach dem guten Herrn Chaubard fragen zu lassen.«

      »Ich will gehen und mich erkundigen«, erklärte sich Thomas Siadoux bereit. »Es sind ja keine fünf Minuten bis zu seiner Wohnung. Man kann einstweilen das Nachtessen anrichten; ich werde einen Mantel mitnehmen, und wenn Ihr vortrefflicher Herr Chaubard noch nicht im Bett ist, so bringe ich ihn mit, dann mag er sich selbst verantworten.«

      Mit diesen Worten entfernte sich der Jüngling. Das Nachtessen wurde jetzt aufgetragen. Der hungrige Nachbar stritt von diesem Augenblick mit niemand mehr, und auch der andere Nachbar bekam wieder gute Laune.

      Als Thomas Siadoux in das Haus des Priesters kam, fand er diesen allein in seinem Studierzimmer. Herr Chaubard sprang entsetzt auf, als der junge Mann bei ihm eintrat.

      »Entschuldigen Sie, Herr Pfarrer,« nahm Thomas das Wort, »ich fürchte, ich habe Sie erschreckt.«

      »Was wollen Sie von mir?« fragte Herr Chaubard

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