Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald
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In diesem Augenblick fiel der Priester in seinen Stuhl zurück, er schien von einem Fieberschauer erfaßt zu werden, der ihn vom Kopf bis zu den Füßen schüttelte. Obgleich aufs äußerste erstaunt über diese merkwürdige Aufnahme, die die Wiederholung seiner Einladung gefunden hatte, dachte Thomas Siadoux doch daran, daß er sich verpflichtet hatte, Herrn Chaubard mitzubringen, und deshalb fuhr er in demselben Tone fort:
»Wir glauben, daß das Wetter meinen Vater unterwegs aufgehalten hat. Das ist aber für uns kein Grund, das Essen verderben zu lassen oder auf Ihre Gesellschaft zu verzichten, die Sie uns zugesagt haben. Hier ist ein guter warmer Mantel.«
»Ich kann nicht mitgehen«, erwiderte der Priester. »Ich fühle mich unwohl, ich bin schlecht aufgelegt und gar nicht in der Stimmung, auszugehen.« Dabei seufzte er tief und barg sein Gesicht in den Händen.
»Sagen Sie das nicht, Herr Pfarrer«, drang Thomas in ihn. »Wenn Sie schlecht aufgelegt sind, so wollen wir versuchen, Sie aufzuheitern, und Sie Ihrerseits werden zu unserer Unterhaltung beitragen. Man erwartet Sie in unserem Hause. Schlagen Sie es mir nicht ab, Herr Pfarrer, sonst müßten wir ja glauben, wir hätten Sie auf irgendeine Weise beleidigt. Sie waren doch sonst auf unsere Familie stets gut zu sprechen.«
Herr Chaubard erhob sich abermals von seinem Stuhl. Sein Benehmen hatte sich wieder gänzlich verändert, und zwar in ebenso auffallender Art wie zuvor. Seine Augen glänzten, als wenn Tränen darin standen, er faßte die Hand des Thomas Siadoux und drückte sie lange und herzlich. Es lag ein eigentümlicher Ausdruck von Mitleid und Angst in dem Blick, den er auf den jungen Mann richtete.
»Sie sollen nie an meiner Freundschaft zweifeln, auch heute nicht«, sagte er ernst. »So unwohl ich mich auch fühle, will ich doch an dem Abendessen teilnehmen, um Ihretwillen –«
»Und um meines Vaters willen!« fügte Thomas überredend hinzu.
»Lassen Sie uns also gehen.«
Thomas Siadoux legte ihm den Mantel um, beide verließen die Wohnung des Pfarrers und traten nach kurzer Zeit in den Kreis der wartenden Gesellschaft.
Herr Chaubard entschuldigte sein Ausbleiben mit einem Nervenübel, das ihn öfter befalle, er wolle jedoch sein möglichstes tun, um die Gesellschaft unterhalten zu helfen. Alle Anwesenden fanden das Aussehen des Pfarrers verändert, und nicht bloß sein Aussehen, auch sein Benehmen war merkwürdig. Er nahm zwar scheinbar teil an der Unterhaltung, aber sein Gespräch war unzusammenhängend und wirr, seine Heiterkeit gezwungen, er stocherte in dem Essen herum, trank dann schnell nacheinander mehrere Gläser Wein und versank oft in Gedanken, aus denen er nachher plötzlich wieder auffuhr. Die Nachbarn bedauerten die Abwesenheit des Hausherrn, verschiedene Male wurden die Fragen aufgeworfen, was ihn wohl unterwegs aufgehalten haben möchte, wo er wohl die Nacht zubringen und ob er wohl morgen kommen würde.
Sooft der Name des Herrn Saturnin Siadoux genannt ward, gab Herr Chaubard dem Gespräch eine andere Wendung, er allein erwähnte das Ausbleiben des Wirtes mit keiner Silbe und vermied es offenbar geflissentlich, dieses Thema zu berühren.
Johann, der jüngste Sohn, war schweigsam wie gewöhnlich; er sah den Priester gleich beim Eintritt aufmerksam an, seine Blicke wurden immer argwöhnischer und mißtrauischer, als er bemerkte, daß Herr Chaubard die Unterhaltung, sooft sie auf den Vater kam, ablenkte, und auch der Pfarrer schien wahrzunehmen, daß Johann ihn beobachtete, und fühlte sich sichtlich unangenehm berührt dadurch, Thomas und Ludwig Siadoux bemerkten, daß ihr Bruder kein Auge von dem verehrten Gaste verwandte, und beide ärgerten sich über diesen Mangel an Rücksichtnahme.
In Croix Daurada ging man damals frühzeitig zu Bett, um elf Uhr standen die Gäste von ihren Sitzen auf. Die beiden Nachbarn empfahlen sich der Familie Siadoux, Herr Chaubard aber war in der Verwirrung des Aufbruchs verschwunden, ohne eine gute Nacht zu wünschen. Er benahm sich sonst mit der ausgesuchtesten Höflichkeit, man schrieb daher sein merkwürdiges Wesen am heutigen Abend seinem Unwohlsein zu.
Die Witwe Mirailhe und die beiden Mädchen zogen sich in ihre Schlafzimmer zurück, die drei Brüder blieben allein im Speisesaal zurück.
»Johann,« sagte Thomas Siadoux, »ich habe ein Wort mit dir zu reden. Den ganzen Abend hindurch hast du unseren guten Herrn Chaubard auf eine wahrhaft beleidigende Weise angestarrt. Was wolltest du denn damit?«
»Warte bis morgen, vielleicht sage ich dir’s dann«, erwiderte Johann, zündete sein Licht an und ging weg. Thomas und Ludwig sahen, daß seine Hand zitterte, sie konnten sich seine Aufregung nicht erklären.
Als am folgenden Morgen die Post angekommen war und keinen Brief von Herrn Siadoux mitgebracht hatte, nahm die Familie an, daß er das Schreiben für überflüssig gehalten habe und im Laufe des Tages selbst zurückkehren werde.
Stunde um Stunde verfloß, Herr Siadoux kam nicht. Gegen Mittag sahen die Töchter, die wieder einmal nach dem Vater Ausschau hielten, einen Trupp Menschen, der sich dem Dorfe näherte. An der Spitze schritt der oberste Gerichtsbeamte von Toulouse in seiner Amtstracht, hinter ihm her kam eine Polizeiabteilung und mehrere Ratsdiener, die etwas zu tragen schienen. Der Zug hielt vor dem Hause des Herrn Siadoux. Seine Kinder eilten an die Tür, um zu erfahren, was das zu bedeuten habe. Sie erblickten auf einer Bahre, die von den Ratsdienern getragen wurde, den Leichnam ihres Vaters.
Die Polizei hatte den leblosen Körper am Morgen des 27. April an den Ufern des Flusses Gers gefunden. Dem Toten war nichts geraubt, seine Uhr und die gefüllte Börse fand man unangetastet in den Taschen, die Brust und der Rücken waren durch elf bis tief in die inneren Teile gedrungene Messer-oder Dolchstiche durchbohrt. Der Mörder hatte die Tat offenbar aus Rache, nicht aus Gewinnsucht verübt.
Der Schmerz und der Jammer im Hause Siadoux lassen sich nicht beschreiben. Es verging geraume Zeit, ehe die Kinder es zu fassen vermochten, daß ihr teurer Vater, den sie noch vor wenigen Tagen gesund und kräftig gesehen hatten, jetzt als Leiche vor ihnen lag; und auch das konnten sie sich nicht erklären, daß ein Mann, der niemals einen Feind gehabt hatte, heimtückisch ermordet worden sein sollte.
Niemand war imstande, auch nur eine Vermutung über die Person des Täters aufzustellen, dem Beamten blieb daher nichts weiter übrig, als seine Teilnahme zu versichern und das Versprechen zu geben, daß er alles aufbieten werde, um den Verbrecher ausfindig zu machen. Er zog mit seiner Begleitung wieder ab, die Witwe Mirailhe und ihre Nichten legten sich, als der Abend herankam, erschöpft von der Gemütsbewegung nieder, und abermals waren die drei Brüder allein in dem Familienzimmer. Thomas und Ludwig sprachen über das gräßliche Unglück, das sie betroffen hatte, ihr südlich heißes Blut kochte, und Rachedurst loderte in den tränenlosen Augen.
Endlich nahm der schweigsame Johann das Wort und sagte zu Thomas: »Du hast mich gestern getadelt, weil ich den Herrn Chaubard so forschend angesehen habe. Ich bin jetzt bereit, dir und Ludwig den Grund meines Benehmens anzugeben.«
Er hielt ein wenig inne und stimmte, als er wieder zu reden begann, seinen Ton zu einem Flüstern herab.
»Als Herr Chaubard gestern bei uns zu Tische war, stand bei mir die Überzeugung fest, daß unserem Vater etwas zugestoßen sein und daß der Priester davon etwas wissen müsse.«
Die beiden älteren Brüder blickten ihn mit schrecklichem Erstaunen an.
»Unser Vater wurde uns ermordet ins Haus zurückgebracht«, fuhr Johann leise fort. »Ich sage dir, Ludwig – und dir, Thomas – der Priester weiß, wer ihn ermordet hat.«
Ludwig und Thomas prallten zurück,