Wenn man aufsteht, wird die Verbeugung tiefer. Heinz Florian Oertel
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Dass Langlauf eigentlich besser sein könnte, darauf war ich damals nicht gekommen. Zumal der verpönt und anstrengend war, nach Schweiß roch, und weil Keuchen und Fluchen vermieden werden mussten, konsequent.
Im Engagement als »Jugendlicher Held und Liebhaber« am Stadttheater Cottbus, 1946/47
… Schauspieler
Erste Saat
Das Allerschönste wurden für mich auf der Mittel- und dann auf der Oberrealschule die Deutschstunden. Vor allem, weil ich mit den Deutschlehrern Riesenglück hatte. Sie verlangten mehr als sture Diktate und simple Aufsätze. Über alle notwendige Grammatik hinaus stießen sie Türen in die Muttersprachenwelt auf. Wir lasen laut Klassiker, rezitierten Szenen, und wir besuchten gemeinsam Aufführungen im Cottbuser Stadttheater. Heute ist es das Staatstheater des Landes Brandenburg, und dieses eine »a« mehr bedeutet viel …
Damals, hochdroben in den letzten Reihen des zweiten Ranges, starrte ich mit heißem Kopf hinunter auf die Bretter, die für manchen die Welt bedeuten. Ich beschnupperte Neues, das mich anregte und verzauberte. Deklamierende Schauspieler, das bewegte mich wie andere Musik. Das vermittelten mir Deutschlehrer. Seither weiß ich, wie lebenswichtig sie sein können. Solche, wie ich sie glücklicherweise kennenlernte, wünsche ich allen Schülern.
Zwei Laibe Brot
»Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze«, behauptet Schiller, um fortzufahren, »drum muss er geizen mit der Gegenwart, den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen.« Wer getraut sich schon, Schiller zu widersprechen? Dennoch: Ich flechte allen Mimen allzu gern und immer meine kleinen Kränze. Jeden Schauspieler verehre ich, und nicht nur die Großen. Alle überall verlangen Respekt. Was das Schauspielersein am kleineren Theater bedeutet, lernte ich selber kennen. Manche geben dort ihr Herzblut ein Leben lang. »Hamlet« will überall geleistet sein, ob in Berlin oder Wien, in Annaberg-Buchholz, Neustrelitz oder Senftenberg.
Meine Karriere blieb kurz, aber sie war wichtig. Bevor ich jemals daran dachte, Sportreporter zu sein, peilte ich voller Lust und Überzeugung diesen Beruf an.
Den ersten Stachel setzten meine Deutschlehrer … Oben, unterm Theaterdach hockend, und unten, auf der Bühne, Maria Stuart und Elisabeth, Faust und Mephisto beobachtend, lebte ich für Stunden in einer anderen Welt. Mit vierzehn, fünfzehn, sechzehn, bis mir Arbeitsdienst und Barras in die Quere kamen, versuchte ich möglichst viel zu sehen und zu erleben, was nach dem Portemonnaie möglich war.
Als die Chancen wuchsen, aus der Gefangenschaft entlassen zu werden und ins richtige Leben zurückzukehren, kam für mich nur eins in Frage, jetzt irgendwo und irgendwie ans Theater zu gelangen. Das löste eine verrückte Aktion aus. Alles Geld, das ich hatte und von Freunden hinzupumpte, steckte ich in eine Bewerbungsoffensive. Circa zwanzig deutsche Theater erhielten meine Briefe. Inhalt: Ich bin der und der, achtzehn Jahre alt, bitte um ein Vorsprechen und, schön wäre ein Anfänger-Engagement, und nach Möglichkeit die Ausbildung an einer angeschlossenen Schauspielschule.
Bald merkte ich, alles auf einmal war zu viel verlangt. Absage auf Absage traf ein, und mein Optimismus flaute ab … Später, als klar war, ich kann nach Haus, konzentrierte ich alle Versuche auf das heimatliche Cottbuser Stadttheater. Im Herbst 1946 begann dort meine Arbeit als Schauspielanfänger und Regie-Assistent. Für diese Tätigkeit wurden mir vertraglich achtzig Mark zugesichert.
Achtzig Mark. Mein erstes selbstverdientes Geld, nach Arbeitsdienst und Marine-Sold. Ich war selig. Zumindest einen Monat lang. Den hatte ich mit Vorschuss überstanden. Vorschüsse, wie ich schnell erfuhr, waren ganz und gar theaterüblich. Auch die Bestbezahlten nahmen das in Anspruch. Doch ich stand nun sofort in der Kreide, und das bei nur schwacher Aussicht, aus dem schwarzen Loch wieder herauszukommen. Ein Brot kostete auf dem florierenden Schwarzmarkt vierzig Mark. Demnach verdiente ich zwei Brote pro Monat …
Endlich am Theater
Alles Schwierige wurde überstrahlt von der Tatsache, dass ich endlich am Theater war. Leider fungierte ich häufig nur als Ersatzmann. Ich studierte und probte zwar den Mortimer in »Maria Stuart«, den Schüler im »Faust«, aber zum Zuge kam immer ein Kollege, drei Jahre älter, erfahrener und, aus heutiger Sicht, bestimmt auch besser. Meine Hoffnung hieß Abwarten und – peinlich, das auszusprechen – Daumendrücken, den anderen würde ein Schnupfen, eine Heiserkeit, um Himmels willen aber nichts Schlimmes, außer Form bringen, damit ich endlich einspringen könnte. Es passierte nie. So blieb es bei den Märchenprinzen, beim Erzengel Gabriel im Himmelsprolog zum »Faust«, beim Ullbrich in »Flitterwochen«, wobei Walter Richter-Reinick den anderen Liebhaber spielte, und ähnlichen Partien. Viel Arbeit und gewaltige Lernchancen boten aber die Regie-Assistenz, die Sprecherziehung bei Hans-Erich Korbschmidt, und ein unvergesslicher Vorfall mit Fingerzeig fürs Leben. Wie heißt es: Nie lernt man mehr als aus Niederlagen.
Premierenpleite
Hauptgrund für mich, diesen Weg zu verlassen, war das wenige Geld. Mit achtzig Mark konnte ich nichts anfangen, konnte mir weder Kleidung kaufen, noch reichte es für Essen und Trinken. So konnte es nicht weitergehen, das sah ich ein.
Und ich habe nicht gebrannt. Ich habe es gern gemacht, aber ich habe gespürt, das ist nicht das Ding für mich. Das eigentlich Entscheidende war: Fremde Texte aufzunehmen und wiederzugeben, wobei ein Regisseur dir sagt, wie du das zu machen hast, das war nichts für mich. Ich kam mir vor wie ein Wiederkäuer, konnte es nicht als etwas Eigenes empfinden. So gesehen kam zum rechten Zeitpunkt mein großer Reinfall in Cottbus … die Premiere des Stückes »Der Patriot«.
Wir haben seinerzeit im Osten oft Friedrich Wolf gespielt, Kommunist, kluger, intelligenter Mann. Sein »Professor Mamlock«, ein ergreifendes Stück und eines der ersten über die Judenverfolgung, wurde in der DDR zu Recht Schulstoff. Aber nun »Der Patriot«. Patrioten. Er meinte die Widerstandskämpfer in der Zeit des Dritten Reiches. Über die Qualität des Stückes urteile ich nicht. Aber über mich. Am Premierenabend also kam ich ins Theater, gedachte, meine kleine Rolle – die eines jungen Mannes in der französischen Résistance – ordentlich zu spielen, eben so, wie wir sie geprobt hatten. Da eilte mir ein Mitarbeiter entgegen und teilte aufgeregt mit, ich solle mich sofort beim Intendanten melden. Dort bekam ich einen Text, den ich in den knapp zwei Stunden, die es noch bis zur Aufführung waren, lernen sollte. Zwei, drei Schreibmaschinenseiten Prosa, geschrieben von einem angetrunkenen Autor, dem berühmten Friedrich Wolf. Wie ich später erfuhr, hatte er bei seiner Anreise zur Premiere, vorn neben dem Fahrer sitzend, was in seine Reiseschreibmaschine getippt, jemand hatte mit Bleistift noch ein paar Striche gemacht, und so wurde mir das gegeben … Dann, das Theater war voll besetzt, die drei Klingelzeichen verklungen, das Saallicht erloschen, schickte mich unser Inspizient mit einem »Ab geht die Post« aus der Seitengasse auf die Bühne. Ich allein. Vor mir siebenhundert Leute. Ein Spotscheinwerfer nahm mich aufs Korn. Wie hinter einem Schleier erkannte ich in den ersten drei, vier Reihen Gesichter, und aus dem Souffleurkasten hörte ich, wie aus weiter Ferne, die Stimme Gertruds. Gertrud, einst Schauspielerin, zählte zu den nettesten Damen des Ensembles. Und auch an diesem Welturaufführungsabend gab sie ihr Bestes. Meines reichte aber nicht aus.
Was mich in der Schule und bei den Rezitatorenwettbewerben überhaupt nicht anfocht, überfiel