Im Namen des Kindes. Martina Leibovici-Muhlberger

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Im Namen des Kindes - Martina  Leibovici-Muhlberger

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diese eigentlich hinter allem stehende Sehnsucht nach Aufmerksamkeit vom Gegenüber nicht mehr ausreichend erfüllt wird, und es nimmt nicht Wunder, dass dies häufig mit dem Auftreten von Kindern in der Paarbeziehung seinen Anfang nimmt. Aus jahrzehntelanger Praxis kenne ich die Klagen und Anwürfe in der Aufarbeitung der nachfolgenden, als unausweichlich erlebten Beziehungsaufkündigung:

      »Er hat mich mit dem Kind überhaupt nur mehr alleine gelassen.«

      »Er hat einfach sein eigenes Leben weitergelebt.«

      »Sie hat nur mehr das Kind gesehen und für mich keine Energie gehabt.«

      »Wir haben keinen aufregenden Sex mehr gehabt.«

      »Meine Interessen waren überhaupt nicht mehr wichtig.«

      »Ich fühlte mich total betrogen; ich habe es mir ganz anders vorgestellt, Familie zu sein.«

      Die Liste der Enttäuschungen ist beliebig lang fortsetzbar, der Weg von Entfremdung, »Entliebung«, Bitterkeit, dem Gefühl, betrogen worden zu sein, Abwendung und nachfolgender Neuorientierung ist vorgezeichnet, wenngleich er unterschiedliche persönliche Geschichten schreibt.

      Gemeinsam ist allen der Sturz vom Olymp in den Hades, die Enttäuschung durch einen vormals zum Ideal stilisierten Menschen. Den wenigsten Menschen ist es, dank des zuvor skizzierten gesellschaftlichen Zerrbilds der Ehe, das beziehungs- und damit auch erwartungsbegründend wirkt, ohne entsprechende bewusste Auseinandersetzung möglich, die Überfrachtung und die damit verbundenen Stolpersteine für das tägliche Beziehungsleben zu erkennen.

      »Wir waren wie zwei untrainierte übergewichtige Seiltänzer, die man hinauf in die Zirkuskuppel geschickt hat, um einen Salto zu wagen. Unser Blick war vernebelt. Unser Absturz war programmiert. Jeder von uns hat den anderen als den Verantwortlichen für das eigene Glück gesehen, und als wir enttäuscht wurden, wollten wir unsere Kränkung aneinander rächen. Der Obsorgekrieg um unsere Kinder war das Spielfeld«, so drückte es einer meiner Klienten in später Selbsterkenntnis einmal aus.

      Das Scheitern des so sträflich überfrachteten romantischen Ideals führt in manchen Fällen – dort, wo das Ich besondere Bedürftigkeiten umfasst und zum Teil sogar existenzielle Abstützung im Gegenüber sucht – zu besonderer Bitterkeit, denn im persönlichen Erleben der Betroffenen handelt es sich um eine tief erlebte Entwertung. So wird es auch verständlich, dass gerade in diesen Fällen erbitterte Obsorgekriege oft den letzten zähen und jahrelangen Akt im Kampf um die Aufmerksamkeit und darum, Recht zu haben, bilden, um der tiefen narzisstischen Kränkung, die mit diesem Verlust des Lebensplans einhergeht, Raum zu bieten. Der vormals als ideal erlebte Partner bzw. die Partnerin durchläuft in der reaktiven Bewertung eine Dämonisierung. Der andere Elternteil, mit dem wir gemeinsam bis zur definitiven Abwendung unser Kind erzogen haben, wird nun als grundsätzlich verantwortungslos oder gar als potenzieller Missbraucher erlebt, vor dem es unser Kind zu schützen gilt. Eine entsprechende Mechanik wird in Gang gesetzt – und die Leidtragenden dabei sind die Kinder.

       Das romantische Ideal im 21. Jahrhundert

      * Mit der »Erfindung« des Ich und des Individualismus geht eine veränderte Selbstwahrnehmung und die Etablierung des romantischen Ideals als beziehungsbegründend einher.

      * Die Wichtigkeit von sozialer Einbindung und Gruppenzugehörigkeit für die Selbstbeglaubigung des Einzelnen tritt in den Hintergrund.

      * In einer zunehmend fragmentierten, hyperindividualistischen Gesellschaft wird die Paarbeziehung zum letzten Rückzugsort eines reklamierten Angenommenseins.

      * Die Paarbeziehung erleidet als »Zuständigkeitsort des Lebensglücks« eine die Leistbarkeit übersteigende Überfrachtung.

      * Ein Scheitern der Paarbeziehung als Projektionsort des Lebensglücks wird vielfach als tiefe narzisstische Kränkung erlebt und schafft die Basis für Rachebedürfnisse.

      * Dies bildet bedingt durch die damit einhergehende hohe Emotionalisierung die Basis für die primäre Unmöglichkeit, das Scheitern der Paarbeziehung von der dem Kind geschuldeten elterlichen Verantwortung zu kooperativer Elternschaft abzugrenzen.

      2.

      Warum Kinder an beiden Elternteilen so sehr hängen

      Die knapp sechsjährige Sibylle nimmt die Information, dass ihre Eltern sich scheiden lassen, mit scheinbar großer Gelassenheit zur Kenntnis. Die Aussicht, dass ihre Eltern nicht mehr zusammenleben werden und damit die ewigen lautstarken Streitereien ihr Ende haben, findet sie sehr positiv. Schließlich geht sie ja auch selber in ihrer eigenen Kindergartengruppe einem Jungen, der sie immer wieder geneckt hat, aus dem Weg und ist mit dieser Methode sehr gut gefahren.

      Die Erklärungen ihrer Eltern zu deren Scheidung sind für sie schlüssig und nachvollziehbar. Als ihr Vater jedoch zwei Wochen nach dem Aufklärungsgespräch beginnt, seine persönlichen Sachen zu packen, und den Abtransport einiger Einrichtungsgegenstände mit der Mutter diskutiert, ändert sich der Sachverhalt plötzlich dramatisch. Sibylle kann abends nicht mehr allein einschlafen, wacht von Alpträumen geplagt mehrfach auf und beginnt einzunässen. Es stellt sich heraus, dass sie davon ausgegangen ist, dass ihr Vater nach der Trennung von der Mutter zu ihr ins Kinderzimmer ziehen würde. Jetzt fühlt sie sich von ihm verlassen und ist völlig verstört.

      Sibylle ist »nur ein unvernünftiges« junges Kind, und dennoch manifestiert sich in ihrer Reaktionsweise auf die Scheidung der Eltern, wie in ihrem nachfolgenden Verhalten, eine tiefere, sehr alte, ja man ist geneigt zu sagen, evolutionsbiologische Vernunft. Dass ihre Eltern nicht mehr miteinander können, ist ihr, am Modell ihrer eigenen Lebenswelt anschließend, durchwegs nachvollziehbar und macht angesichts der belastenden Konfliktsituation auch Sinn.

      Doch Sibylle liebt beide Eltern gleichermaßen. Sie bezieht von beiden Elternteilen in deren jeweiliger Rolle als Vater und Mutter Nahrung, Schutz, Geborgenheit, Identität und einen Beitrag für die Herausbildung ihrer eigenen Geschlechtsrolle. An Sibylles Beziehungsbedürfnis zu beiden Elternteilen hat sich durch den Paarkonflikt nichts geändert.

      Ihr Papa bleibt ungebrochen jene Person, der sie sich in wilden Spielen anvertraut, mit der sie wohlige Erinnerungen an Kartonburgbauten und zahllose andere Erlebnisse, die die Basis des Vertrauens bilden, verbindet. Dies gilt für Sibylles Mama ebenso, mit der sie zuerst an der Brust und später mit einem Kuscheleinschlafritual gelernt hat, sich dem Schlaf anzuvertrauen, mit der sie Friseur spielt und der sie mit kleinen Gesten im Haushalt zu helfen beginnt.

      Sibylles persönliche Beziehungsinteressen zu beiden Elternteilen sind also, unbeeinflusst vom »Beziehungs-Aus« auf der Paarebene, ungebrochen. Die Annahme, dass ihr Papa nun zu ihr ins Kinderzimmer ziehen würde, das noch dazu ein zweites Bett beherbergt, erscheint aus der kindlichen Logik, so abstrus dies für den Erwachsenen wirken mag, durchwegs nachvollziehbar. Umso mehr ihre nachfolgende Reaktion, als sie erfahren muss, dass ihr geliebter Papa von zu Hause wegzieht und sie, wie sie es als Erstreaktion des Totalitarismus junger Kinder befürchtet, verlässt. Auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Es ist also nicht weiter verwunderlich, wenn Sibylle verstört reagiert.

      Warum ein Kind durch die Trennung der Eltern eine existenzielle Bedrohung verspürt, ist eine sehr alte Geschichte. Vor rund zweieinhalb Millionen Jahren haben sich die Entwicklungslinien von Schimpansen sowie Bonobos und die unserer eigenen Spezies voneinander zu trennen begonnen. Unsere Spezies verdankt ihren fundamentalen und unleugbaren Entwicklungserfolg, wenn wir unsere »nächsten Verwandten« betrachten, einer spezifischen sozialen Erfindung, über die wir, dank ihrer Selbstverständlichkeit, nicht gewohnt sind nachzudenken: der Erfindung des Paares. Dieser entscheidende

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