Im Namen des Kindes. Martina Leibovici-Muhlberger

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Im Namen des Kindes - Martina  Leibovici-Muhlberger

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vergleichsweise unspektakulär ablief, abgekoppelt hat, ermöglichte in der Folge Unwahrscheinliches – letztendlich, dass wir heute Wolkenkratzer bauen, zum Mond fliegen und iPads benutzen.

      Die Erfindung des Paares und daran anknüpfend die Ausbildung von Familiengefühl und Zugehörigkeit verliehen nämlich einer anderen Entwicklung, dem kontinuierlichen aufrechten Gang, erst wirklich Sinn. Dieser, der aufrechte Gang nämlich, hatte sich als äußerst nützlich erwiesen, um zu einem besseren Überblick im Busch- und Savannenland und somit einem besseren Informationsstand über potenzielle Feinde zu kommen. Es ist leicht einzusehen, dass es sich dabei um eine äußerst nützliche Sache für Exemplare einer derart wehrlosen Spezies wie der unseren handelt, denn weder scharfe Reißzähne noch Klauen, feste Panzerungen oder besondere Geschwindigkeit und Ausdauer stehen in unserer physischen Ausrüstung zur Verfügung. Entgegen immer wieder geäußerten Behauptungen, der Mensch wäre der Jäger, waren wir den überwiegenden Teil unserer von der Evolution geprägten Existenz über die Gejagten. In der Conclusio muss attestiert werden: Der aufrechte Gang war ein echter Hit, ein Propeller in der Besiedlung neuer Lebensräume – doch nur in Kombination mit weiteren neuen Strategien.

      Es war noch kein nachhaltiger Weg gefunden, um im Überlebenskampf einen Pokal gewinnen zu können. Im Unterschied zu im sonstigen Tierreich erprobten Angriffs- oder Verteidigungsausrüstungen, Tarn- oder Fluchtmechanismen, setzte Mutter Natur bei unserer Spezies auf eine neuartige, ganz andere Strategie: ein großes, gut vernetztes und überaus lernfähiges Gehirn. Intelligenz und Schlauheit statt Kraft und Wehrhaftigkeit, Tarnen oder Fliehen.

      Diese notwendige Forderung nach einem großen, ausdifferenzierten Gehirn stellte den endlich aufrecht marschierenden und dank seines Überblicks jetzt auch ins offene Land sich hineinwagenden Vertreter unserer Spezies allerdings vor ein empfindliches Problem: Im ständigen aufrechten Gang sind, begründet durch mechanische und statische Anforderungen an die Rahmenkonstruktion des Körpers, der Beckendurchgangsöffnung im knöchernen Becken, also dem Durchtrittspfad des kindlichen Kopfes durch den Geburtskanal, klare Grenzen gesetzt. Was man da – salopp gesprochen – maximal durchbringt, ist, trotz des Tricks eines partiellen Übereinanderschiebens der Schädelknochen während des Geburtsprozesses, wenn es wirklich eng wird, letztendlich nicht verhandelbar – und leider, man muss es zugeben, kein besonders großes Gehirn.

      Damit wäre im Sinn der Zielvision einer herausragenden Intelligenz wenig Staat zu machen. Wenn wir in Rechnung stellen, dass wir gerade einmal mit einem Viertel unseres endgültigen Gehirngewichts von rund 1450 Gramm geboren werden, vermag dies den Sachverhalt ziemlich eindeutig zu beschreiben. Erwachsene Schimpansen bewältigen im Vergleich dazu mit 400 Gramm ihr Alltagsleben, was doch sehr eindeutig die dahinterliegende Strategie der Natur bei unserer Spezies, als Lösungsmodell auf »Intelligenz« zu setzen, demonstriert.

      Die Evolution sah sich hier in ihrem Plan, uns größere Besiedelungsräume, nämlich auch das offene Land, zur Verfügung stellen zu wollen, vor eine ernsthafte Anforderung gestellt. Wie ist es zu schaffen, aus einem kleinen und noch sehr unreifen Gehirn bei der Geburt eine überlegene Superschaltzentrale zu machen, die punktgenau die jeweilige Situationsanforderung erkennt und adäquat darauf reagieren kann?

      Als Lösung dieses Problems behalf sich die Natur mit einer notwendigen, vergleichsweise zu allen anderen Lebewesen extrem langen nachgeburtlichen Reifungsphase. Diese Entwicklung wiederum musste eine langfristige soziale Bindung, die Zuordnung eines bestimmten Weibchens zu einem bestimmten Männchen für lange Zeit, nach sich ziehen, da diese enorm betreuungsintensive, lange Periode nicht von der Mutter alleine bewerkstelligt werden kann. Das Paar und erste Bindung wurden erfunden und unser Siegeszug der Besiedelung begann. Zuerst ganz langsam, dann immer schneller. Man könnte hier, in dieser ersten langfristigen Verbindlichkeit, die Wurzel einer rudimentären Ehe sehen und auch den Beginn von Haltungen wie Verantwortungsbereitschaft, Kontinuität, Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit, Anteilnahme, Unterstützung, Verteilungsgerechtigkeit im engeren Rahmen – die Ursprungskeime all dessen, was wir heute vielleicht unter Grundethik verstehen und was im Zusammenhang mit einem über die engen Grenzen des eigenen physischen Ego hinausreichenden Verhalten steht.

      Wenn man so in die tiefsten Schichten unserer grauen Vorväter evolutionspsychologisch zurücktaucht, vermittelt dies vielleicht auf diese Art auch völlig ideologiefrei, nämlich rein auf seiner puren Entwicklungs- und Seinsgeschichte begründet, dass ein langfristiges, unverrückbares, bedingungsloses Bekenntnis zueinander eine sehr ursprüngliche, tiefe, überlebensbesichernde, gesellschaftsbesichernde und zukunftsbesichernde Funktion in sich trug.

      Wie nimmt sich nun die Perspektive unseres Kindes in diesem Gemälde aus? Unser Kind liegt mit seinem unreifen kleinen Gehirn an der Brust seiner Mutter, ist im Tragetuch verstaut, wird von seinem Vater begutachtet, spielerisch geneckt oder unter seinem eigenen vergnügten Krähen in die Höhe gehalten. Dabei lernt es.

      Lernen ist das, was ein Gehirn einfach nicht lassen kann. Dafür ist es gebaut. Ein in seiner vollen Funktionsfähigkeit handlungsanleitender, regelgenerierender und Orientierung spendender Apparat saugt einfach jedes mögliche Informationsbruchstück aus seiner Umgebung wie ein Staubsauger auf – und – wird dadurch geformt. Auch hierbei hat die Natur wiederum ihre Genialität bewiesen, indem gerade dieser Mechanismus eine ideale Anpassung an die jeweilige Umgebung und damit bestmögliche Gerüstetheit für die damit verbundenen zu erwartenden Anforderungen bietet. Ich brauche eben ein unterschiedliches Verhaltensrepertoire, um mich später in den Favelas von Rio oder in den Hamptons gut einfügen zu können.

      Bricht man diese Lerneinheiten des jungen Kindes auf ihre »mikroskopischen Bestandteile« herunter, so geht es dabei um reziproke, koregulierte, affektive Kommunikationseinheiten zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen. Wir sprechen hier von einem beständigen kommunikativen Fluss, der sich aus der Betreuung und Beschäftigung mit dem Kind ergibt und zwischen den betreuenden Erwachsenen und dem Kind, das alles andere als passiv dabei ist, hin und her (also reziprok) läuft. Wir wissen, dass bereits junge Säuglinge diesen Kommunikationsfluss ihrerseits initiieren, mitbestimmen und mitformen (koregulieren).

      Diese beschriebenen Kommunikationsprozesse, die die wesentlichen Input-Geber für die dem jungen Gehirn »aufgespielten Grundprogramme« sind, verlaufen in einer Grundmatrix von emotionaler Färbung, Stimmung und Befindlichkeit. Beide Eltern sind dabei von besonderer Bedeutung für das Kind. Sie spenden Sicherheit, Orientierung, Identität und spezifische Information, wenngleich sie das in unterschiedlicher, auch von ihrer Geschlechtsidentität mitbestimmter Form tun. Zwei unterschiedliche Quellen mit gleichwichtigen Beiträgen für den Fluss des Lebens.

      Seiner Urfunktion entsprechend versorgt der Vater sein die Nachkommen stillendes Weibchen mit ausreichend Nahrung und schützt es vor möglichen Feinden in der so gefährlichen Savanne. Ein vermeintlich drohend erlebter Vaterverlust durch die Scheidung der Eltern bedeutet für das Kind ein tiefes Unsicherheitsgefühl und Beängstigung. Mag auch durch die Trennung der Eltern keine unmittelbare Bedrohung des existenziellen Überlebens des Kindes bestehen, so löst diese in einer sehr archaischen Schicht, wie dies in der täglichen Praxis erlebbar wird, doch enorme Angst und Gefühle von Schutzlosigkeit aus.

      Die moderne Psychologie hat die gleichwertige, wenngleich ungleichartige Bedeutung beider Elternteile für das Kind für die Entwicklung eines stabilen Geflechts an Bindungen und Beziehungen und somit einer stabilen, ins Leben positiv eingebetteten Identität in den letzten Jahrzehnten deutlich gemacht. Die historisch bedingte einseitige Überbetonung der Bedeutung der Mutter für das Kind ist somit argumentativ mit intellektueller Redlichkeit nicht mehr aufrechtzuerhalten.

      Erfreulicherweise und angeleitet durch die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte reflektieren Männer in einer Art von emanzipatorischem Prozess zunehmend ihr tradiertes Rollenbild früherer Generationen. Neue Entwürfe männlicher Identität, die einen veränderten Zugang zur Väterlichkeit in ihrem Gepäck mitführen, sind aufgetaucht, und ein mehr paritätisches Geschlechtsrollenmodell im Hinblick auf die Betreuung für die in der Beziehung geborenen

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