Ein Gardeleutnant. Karl May
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Zu der letzteren stand ihm augenblicklich zwar kein Papier in Bogenform zur Verfügung, doch hatte er sein Notizbuch mit, und dies genügte, die Paragraphen wörtlich festzuhalten. Besser war es jedenfalls, wenn er sich in den Besitz des Originals setzte, aber dann mußte der Kapitän den Verlust desselben bemerken. Kurt ging einige Minuten lang mit sich zu Rate. Er war entschlossen, den Grafen von Bismarck schleunigst in den Besitz dieses heimlichen, hinterlistigen Vertrages zu setzen, und da das mit dem Ministerialsiegel versehene Original in den Händen des allmächtigen Mannes jedenfalls eine ganz andere Beweiskraft besaß, als eine doch immerhin noch der Bestätigung bedürfende Kopie, so entschloß er sich endlich, das Heft ganz ohne weiteres an sich zu nehmen.
Er tat dies, verschloß dann das Köfferchen wieder und verließ das Zimmer. Nachdem er den Hauptschlüssel unter den Teppich gelegt hatte, fügte er einige Banknoten zur Belohnung der gefälligen Kellnerin hinzu und verließ sodann das Haus, was er auch ungesehen bewerkstelligte.
6. Kapitel.
Kurt nahm sofort eine Droschke und fuhr nach der Wohnung Bismarcks, indem er mit Freuden daran dachte, daß dieser ihm sicher behilflich sein werde, sich des Kapitäns zu bemächtigen. Sternau war mit seinen Gefährten ausgezogen, um diesen Bösewicht zu fangen, er war verschollen. Nun lieferte sich der Seeräuber selbst an das Messer. Er konnte gezwungen werden, alle Geheimnisse von Rodriganda zu enthüllen und auch über das Schicksal Sternaus Auskunft zu geben, falls ihm dasselbe vielleicht bekannt war.
Am Ziel seiner Droschkenfahrt angekommen, erfuhr Kurt, daß Bismarck nicht zu sprechen sei, da er sich gegenwärtig beim König befinde. Kurz entschlossen ließ er sich sofort nach dem königlichen Schloß fahren. Er wurde hier zunächst bedeutet, daß keine Zeit zur Audienz sei. Doch er zuckte die Achsel und erklärte dem diensttuenden Adjutanten:
»Ich muß dennoch auf meiner Bitte bestehen, Herr Oberst!« – »Aber Sie sind nicht in Uniform, Leutnant!« – »Ich hatte keine Zeit, sie anzulegen.« – »Dazu ist unter allen Umständen Zeit. Seine Majestät trägt stets und streng die Uniform. Ich würde einen fürchterlichen Verweis erhalten, wenn ich Sie so meldete, wie Sie dastehen. Übrigens ist seine Exzellenz von Bismarck bei der Majestät.« – »Eben Seine Exzellenz suchte ich. Und daß ich erfuhr, daß sie bei Seiner Majestät zu treffen sei, ist mir lieb. Ich kann Ihnen, Herr Oberst, nur mitteilen, daß es sich um eine höchst wichtige Angelegenheit handelt, die keinen Aufschub erleiden darf. Diese Wichtigkeit gibt mir die Erlaubnis, selbst die bedeutungsvollste Unterredung der beiden hohen Herren zu unterbrechen. Es ist Gefahr im Verzuge, da es sich um die sofortige Verhaftung eines Spions und Landesverräters handelt, und ich würde mich gezwungen sehen, die Verantwortung auf Sie zu wälzen, falls Sie sich weigern, mich zu melden.«
Der Flügeladjutant blickte den jungen Mann, der so zwingend zu sprechen wußte, verwundert an und sagte dann:
»Sie behaupten also, Wichtiges und Unaufschiebbares zu bringen?« – »So ist es.« – »Und wollen diese Angelegenheit dem Grafen von Bismarck in Gegenwart des Königs vortragen?« – »Ja.« – »Nun, wenn Sie das sagen, so bin ich gezwungen, Sie anzumelden. Aber, junger Mann, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich und vielleicht auch Ihrer Karriere sehr im Wege stehen, wenn Sie sich bei Seiner Majestät Zutritt erzwingen in einer Angelegenheit, die nicht so wichtig ist, als Sie denken. Die Verantwortung mögen Sie tragen.« – »Gern«, erwiderte Kurt höflich, aber selbstbewußt.
Der Adjutant ging nun in das Gemach seiner Majestät und erschien nach kurzer Zeit wieder. Auf seinen Wink trat Kurt ein. Er befand sich den beiden größten Männern Deutschlands gegenüber.
König Wilhelm hatte damals vor erst einigen Wochen Österreich und Süddeutschland besiegt, er hatte gezeigt, daß er ein würdiger Sohn des großen Friedrich sei und daß er sich im stillen Männer herangebildet habe, die recht wohl die Kraft hatten, die Traditionen seiner großen Ahnen mit Wort und Schwert kräftig zur Geltung zu bringen. Er war zwar noch nicht auf der Höhe seines Ruhmes angelangt, die er einige Jahre später zu Versailles nach einem der blutigsten Kriege der Weltgeschichte erstieg, doch fühlte er sich den Gegnern recht wohl gewachsen, die jetzt, nachdem er seine Feinde niedergeworfen hatte, heimlich und öffentlich gegen ihn machinierten.
Er war mit einem Schlag ein gefürchteter, einflußreicher Monarch geworden, und zwar mit Hilfe des Mannes, der jetzt an seiner Seite stand. Der eiserne Kanzler mit den ihm vom Kladderadatsch angedichteten drei Haaren war die Seele der preußischen Politik. Kein Diplomat wagte einen Schritt zu tun, ohne zuvor bei ihm sondiert zu haben. Er war der Beamte, aber auch der Freund seines erhabenen Monarchen, und sein Auge, das bisher alle Intrigen seiner Feinde durchschaut hatte, blickte jetzt mit Verwunderung auf den jungen, kaum zwanzigjährigen Menschen, der es wagte, sich in so unscheinbarer Kleidung eine Audienz zu erzwingen.
Auch des Königs Auge ruhte in ernster Erwartung auf Kurt, der nach einem ehrfurchtsvollen Gruß ruhig den Blick erhob, um zu warten, bis er angeredet werde.
»Man hat mir den Leutnant Helmers gemeldet?« sagte der König. – »Ich bin es, Majestät«, antwortete Kurt in bescheidenem Ton. – »Von welcher Truppe?« – »Bisher im Dienste Seiner Durchlaucht des Großherzogs von Hessen, jetzt aber eingetreten bei den Gardehusaren Eurer Majestät.«
Das Auge des Königs belebte sich mehr und wurde milder.
»Ah«, sagte er, »mein Kriegsminister hat mir von Ihnen gesprochen. Sie sind sehr warm empfohlen, dennoch aber mag man es in gewissen Kreisen sehr kühn von Ihnen halten, in das Gardekorps eingetreten zu sein.« – »Man hat mich dies bereits merken lassen, Majestät.«
Ein leises, bedauerndes Lächeln ging über das offene Gesicht des Herrschers.
»So haben Sie Ihre Visiten bereits absolviert?« fragte er. – »Ich habe meine Pflicht getan«, antwortete Kurt vielsagend. – »Ich hoffe, daß Sie dieselbe auch weiterhin erfüllen. Wie aber kommen Sie zu einer Kleidung, die hier an dieser Stelle höchst unpassend erscheinen muß?« – »Hier, Majestät, meine Entschuldigung.«
Kurt zog den Vertrag hervor und überreichte denselben mit einer tiefen, ehrfurchtsvollen Verbeugung dem König. Dieser nahm das Schriftstück in Empfang, öffnete es und warf einen Blick darauf. Sofort nahm sein Gesicht den Ausdruck der größten Überraschung an, er trat ans Fenster, las und las, bis er zu Ende war, reichte dann die Blätter dem Grafen von Bismarck hin und sagte:
»Lesen Sie, Exzellenz, lesen Sie! Es ist eine außerordentliche Mitteilung, welche uns da von diesem Herrn gemacht wird.«
Bismarck hatte bis jetzt ganz unbeweglich dagestanden und den Leutnant kaum mit einem oberflächlichen Blick beachtet. Jetzt nahm er die Schrift zur Hand und las sie. Kein Zug seines eisernen Gesichtes verriet den Eindruck, den die Lektüre auf ihn machte. Als er geendet hatte, warf er den ersten, wirklich vollen Blick auf Kurt und fragte:
»Herr Leutnant, wie kommen Sie zu diesem Dokument?« – »Durch Diebstahl, Exzellenz«, antwortete der Gefragte. – »Ah!« lächelte der Minister. »Was nennen Sie Diebstahl?« – »Die rechtswidrige Aneignung fremden Eigentums.« – »So ist es sehr möglich, daß ich Sie vom Verbrechen des Diebstahles freispreche. Mir scheint, diese Papiere seien Eigentum Seiner Majestät, und die Aneignung derselben ist vielleicht auf einem sehr gesetzmäßigen Weg geschehen. Wer war der bisherige Inhaber derselben?« – »General Douay brachte sie einem Mann, der scheinbar ein Amerikaner, in Wirklichkeit aber ein Spion Spaniens ist.« – »Wo befindet er sich?« – »Hier in Berlin, im Gasthof zum Magdeburger Hof. Wenn Majestät und Exzellenz erlauben, bitte ich, den Vorgang, der mich in den Besitz des Dokumentes brachte, berichten zu dürfen.« – »Erzählen Sie!« gebot der König mit gespannter