Ein Gardeleutnant. Karl May

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Ein Gardeleutnant - Karl May

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      Das mußte ein Versehen sein. Sie konnte Leutnant Helmers unmöglich für einen Dieb halten.

      »Sie erschrecken, Sie erbleichen!« rief der Kapitän. »Sie sind es selbst gewesen! Sagen Sie, wo Sie das Dokument haben! Ich muß es wiederhaben, sogleich, sogleich!«

      Bei dem Wort ›Dokument‹ faßte sich das Mädchen sofort. Es handelte sich also nicht um einen gewöhnlichen Diebstahl. Es war eine Schrift abhanden gekommen. Hatte der Leutnant dieselbe an sich genommen, so war er jedenfalls berechtigt dazu gewesen; aber verraten wollte sie ihn nicht.

      »Ich?« sagte sie. »Was fällt Ihnen ein! Auf diese Art und Weise kommen Sie mir nicht, Herr Kapitän! Wo haben Sie das Dokument gehabt?« – »Hier in dem kleinen Koffer.« – »War er denn nicht verschlossen?« – »Ja doch.« – »Und Sie bilden sich ein, daß ein ehrliches Mädchen Ihren Koffer aufsprengt?« – »Aufgesprengt ist er nicht, sondern aufgeschlossen«, fiel er ein. – »Woher soll man den Schlüssel haben, der gerade zu Ihrem Koffer paßt!« – »Einen Dietrich ...« – »Lassen Sie sich nicht auslachen! Ein Kellnermädchen wird einen Dietrich haben! Ich werde gleich zum Wirt gehen und ihm sagen, daß Sie mich, seine Verwandte, zur Diebin machen wollen!« – »Ja, gehen Sie! Rufen Sie den Wirt. Das Dokument muß auf alle Fälle wieder herbeigeschafft werden.«

      Sie ging, während er in höchster Erregung und Verlegenheit im Zimmer umherlief. Eben, als sie den Hausflur erreichte, traten mehrere Herren ein, und ein Blick, den sie zufällig durch das Tor warf, zeigte ihr, daß sich einige Polizisten vor dasselbe postiert hatten. Einer der Herren fragte sie:

      »Sind Sie hier Kellnerin?« – »Ja«, antwortete sie. – »Wo ist der Wirt?« – »In der Küche.« – »Zeigen Sie mir ihn!«

      Sie führte den Herrn in die Küche und sagte ihm, welcher der Anwesenden der Besitzer des Gasthofes sei. An ihn wandte sich nun der Herr:

      »Bei Ihnen logiert ein Fremder, der sich als Kapitän Parkert eingetragen hat?« – »Ja, mein Herr.« – »Das stimmt. Sie haben Ihre Meldung richtig eingegeben; ich habe im Fremdenverzeichnis der Polizei nachgesehen. Hier ist eine Medaille, die mich als Beamten der Polizei legitimiert. Ist der Kapitän anwesend?«

      Der Wirt nahm die vorgezeigte Medaille in Augenschein, nickte und antwortete:

      »Er ist eben nach Hause gekommen. In Nummer zwölf, eine Treppe finden Sie ihn.« – »Gut. Ich hole ihn ab. Aber befehlen Sie Ihrem Personal, nicht davon zu sprechen.«

      Damit verließ der Beamte die Küche und stieg die Treppe hinauf. Seine beiden Begleiter postierten sich, der eine unten und der andere oben an der Treppe, während die Polizisten in den Flur traten. Die Nummer zwölf war leicht gefunden. Der Beamte klopfte und trat auf den von innen erfolgten Zuruf ein.

      »Endlich!« rief der Kapitän ungeduldig. »Sind Sie der Wirt?« – »Nein, Herr Kapitän.« – »Ah! Wer sonst?« fragte Parkert erstaunt. – »Ich habe das Vergnügen, Beamter der hiesigen Polizei zu sein.«

      Der Kapitän erschrak, faßte sich aber schnell und sagte:

      »Ah, das ist mir recht, mein Herr. Ich bin nämlich bestohlen worden ...« – »Bestohlen? Hm!« machte der Beamte lächelnd. »Was ist Ihnen abhanden gekommen?« – »Ein Dokument, ein sehr wichtiges Dokument.« – »Dann irren Sie sich. Dieses Dokument ist Ihnen nicht gestohlen worden, sondern es wurde konfisziert.«

      Parkert trat einen Schritt zurück. Es war ihm, als habe der Blitz vor ihm eingeschlagen.

      »Konfisziert?« stammelte er. »Von wem?« – »Das braucht nicht erörtert zu werden.« – »Aber wer hat das Recht, während meiner Abwesenheit meine Behältnisse zu öffnen?« – »Jeder brave Bürger, dem daran liegt, sein Vaterland vor Verrat zu behüten. Kapitän Parkert, oder wie Sie sonst heißen mögen, folgen Sie mir; Sie sind mein Gefangener!«

      War Parkert vorhin erschrocken, so kehrte jetzt im Augenblick der offenen Gefahr seine Kaltblütigkeit zurück. Er sah ein, daß er verloren sei, falls man ihn gefangennähme; er mußte fliehen. Aber wie? Der Korridor war jedenfalls besetzt, die Straße vielleicht nicht; dorthin, also durch das Fenster, ging der einzige Rettungsweg. Der Beamte mußte übertölpelt werden. Es handelte sich darum, an ihn heranzukommen, ohne Verdacht zu erregen, denn Parkert konnte sich wohl denken, daß er irgendeine Waffe bei sich trage. Er machte darum ein sehr erstauntes Gesicht, ergriff seinen Koffer, öffnete ihn und sagte:

      »Herr Kommissar, das muß ein Irrtum sein. Blicken Sie in diesen Koffer! Die darin befindlichen Empfehlungen und Legitimationen werden Ihnen beweisen ...«

      Weiter sprach er nicht. Er hatte sich dem Beamten langsam genähert; er stand hart vor ihm, ihm den Koffer hinhaltend. Bei dem Wort ›beweisen‹ aber ließ er den letzteren fallen und schlang seine Hände mit solcher Gewalt plötzlich um den Hals des Beamten, daß diesem, der einen solchen Überfall nicht erwartet hatte, der Atem verging. Sein Gesicht wurde blau; seine Hände griffen konvulsivisch in die Luft; seine Glieder zitterten; die Arme sanken herab, und dann ließ ihn Parkert zu Boden gleiten. Der Polizist war zwar nicht tot, aber beinahe erwürgt; er hatte die Besinnung verloren.

      »Ah, bereits halb gerettet!« murmelte Parkert. »Was ist so eine Landratte gegen Kapitän Grandeprise, auch zuweilen Landola genannt! Aber meine Rolle ist hier ausgespielt. Ich muß General Douay warnen, den sie suchen werden. Er ist glücklicherweise so klug gewesen, sich ein Privatlogis zu nehmen. Wer aber hat das Dokument genommen? Hätte er die anderen Papiere mit erwischt, so wären alle meine Geheimnisse verraten gewesen.«

      Er verschloß das Köfferchen und trat, dasselbe in der Hand, an das Fenster, das er öffnete. Das Trottoir war augenblicklich frei von Passanten und ein Polizist nicht zu sehen. Eine einzige Droschke hielt vor dem Nachbarhaus. Der Kutscher stand daneben. Parkert stieg auf das Fensterbrett. Der Sprung war hoch, aber für einen Seemann nicht gefährlich. Ein Schwung – Parkert stand auf dem Trottoir, ohne daß jemand, nicht einmal der Droschkenkutscher, gesehen hatte, daß hier einer aus dem Fenster gesprungen sei.

      Noch immer das Köfferchen in der Hand, trat Parkert ruhig an die Kutsche, stieg ein und befahl: »Friedrichstraße 24.«

      Im nächsten Augenblick rollte die Droschke davon. Da es zunächst galt, die Spur zu verwischen, so ließ er die Droschke halten, noch ehe sie die genannte Straße erreicht hatte, bezahlte die Taxe und schritt zu Fuß weiter. Dann, nachdem er einige Gassen und Gäßchen durcheilt hatte, nahm er einen zweiten Fiaker und gab diesem die genaue Adresse an. Bei derselben ausgestiegen, ließ er den Kutscher warten, stieg eine Treppe empor, klopfte an die Tür und trat ein, als er von innen ein lautes, gebieterisches »Entrez!« vernahm. Er stand vor General Douay.

      »Sie, Kapitän?« fragte dieser. »Was wollen Sie so bald?« – »Sie warnen, Exzellenz«, lautete die Antwort. »Sie müssen augenblicklich fliehen.« – »Weshalb?« – »Wir sind verraten.« – »Unmöglich!« – »Wirklich! Ich bin der Polizei nur dadurch entkommen, daß ich den Kommissar niederschlug und dann durch das Fenster meines Zimmers auf die Straße sprang.« – »Horrible! Wer hat uns verraten?« – »Ich weiß es nicht.« – »Und Ihre Papiere?« – »Das Memorial ist konfisziert.«

      Der General hatte sich nicht gefürchtet, jetzt aber erbleichte er doch.

      »So sind wir verloren, wenn man uns ergreift«, sagte er. »Sie müssen eine fürchterliche Dummheit begangen haben. Sie sollen mir unterwegs erzählen.« – »Sie wollen mit mir reisen?« – »Es ist das beste. Ich komme nicht über die russische Grenze. Wir müssen nach Sachsen, doch nicht mit der Bahn,

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