Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi
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Boris hatte augenscheinlich diese Worte nur in der Absicht ausgesprochen, um gehört zu werden. Seine Berechnung war richtig, Kutusow fragte ihn, was er vom Landsturm gesagt habe. Er wiederholte seine Worte.
»Ja, es ist ein unvergleichliches Volk«, bemerkte Kutusow und schlug die Augen auf. »Unvergleichlich!« murmelte er nochmals. »Sie wollen also Pulver riechen?« fragte er Peter. »Ein angenehmer Geruch! Sicherlich! Ich habe die Ehre, zu den Verehrern Ihrer Frau Gemahlin zu gehören, wie befindet sie sich. Mein Biwak steht zu Ihren Diensten!« Mit greisenhafter Zerstreutheit wandte Kutusow den Kopf zur Seite, als ob er vergessen hätte, was er zu sagen oder zu tun hatte. Dann schien er plötzlich gefunden zu haben, was er suchte, und winkte Andree Kaissarow, den Bruder seines Adjutanten, zu sich.
»Wie lauten die Gedichte Marins? Sagen Sie sie doch einmal her!« sagte er augenscheinlich in ironischer Stimmung; während Kaissarow sie deklamierte, begleitete sie Kutusow lächelnd mit Kopfnicken.
Als Peter sich wieder von Kutusow entfernte, näherte sich ihm Dolochow und reichte ihm die Hand entgegen.
»Sehr erfreut, Sie wiederzusehen, Graf«, sagte er laut und mit besonderer Feierlichkeit. »Am Abend vor dem Tag, welchen zu überleben nicht allen von uns beschieden sein wird, freue ich mich, Gelegenheit zu haben, um Ihnen zu sagen, daß ich unsere früheren Mißverständnisse bedauere und daß ich wünsche, daß Sie keinen Groll gegen mich hätten, und bitte Sie, mir zu verzeihen.«
Peter blickte Dolochow lächelnd an und wußte nicht, was er sagen sollte. Dolochow umarmte und küßte Peter unter Tränen.
Boris sprach einiges mit seinem General, dem Grafen Bennigsen, welcher sich darauf an Peter wandte und ihm vorschlug, mit ihm zusammen die Linie entlang zu reiten. Nach einer halben Stunde begab sich Kutusow nach Tatarinowo, und Bennigsen ritt mit seiner Suite, der sich Peter anschloß, die Linie entlang.
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Benningsen ritt von Gorky die große Landstraße nach der Brücke hinab. Im Zentrum der Stellung ritten sie über die Brücke in das Dorf Borodino, bogen von dort links ab und ritten an einer großen Anzahl Soldaten und Kanonen vorüber nach einem hohen Hügel, auf welchem die Landsturmleute eine Schanze gruben. Das war die Redoute, welche später Rajewsky-Redoute oder Hügelbatterie genannt wurde. Peter wußte nicht, daß diese Redoute für ihn der denkwürdigste Punkt des ganzen Schlachtfeldes sein werde. Dann ritten sie durch eine Schlucht nach Semenowskoje, wo die Soldaten die letzten Balken der Hütten fortschleppten. Hierauf ritten sie wieder eine Anhöhe hinan, an neuaufgestellter Artillerie vorüber nach einer Befestigung, an welcher noch gegraben wurde. Bennigsen blickte nach der Redoute bei Schewardino hinüber, welche noch gestern unser war. Einige Reiter, welche man dort erblickte, hielten die Offiziere für Napoleon oder Murat. Bennigsen wandte sich an einen auf ihn zukommenden General und begann die ganze Stellung unserer Truppen zu erklären. Peter hörte gespannt auf Bennigsens Worte, mußte aber zu seinem Bedauern bemerken, daß seine geistigen Fähigkeiten ungenügend waren, um diese Erläuterungen der bevorstehenden Schlacht zu begreifen.
Von der Verschanzung ritten sie noch weiter nach links in einen niedrigen Birkenwald. Vor ihnen sprang ein Hase auf, erschreckt durch die Hufschläge, und verschwand in dem Gebüsch. Nach einem Weg von etwa zwei Kilometer durch den Wald kamen sie auf freies Feld hinaus, auf welchem die Truppen des Armeekorps von Tutschkow standen, welche den linken Flügel verteidigen sollten. Hier auf dem äußersten linken Flügel sprach Bennigsen viel und lebhaft und traf, wie es Peter schien, wichtige Anordnungen. Vor der Stellung der Truppen Tutschkows befand sich eine Anhöhe, welche nicht von Truppen besetzt war. Bennigsen tadelte laut diesen Fehler, und einige Generale stimmten ihm bei, worauf Bennigsen befahl, auf seine Verantwortung die Truppen vorzuschieben. Sogar Peter wunderte sich darüber, wie es möglich war, einen so groben Fehler zu begehen. Er wußte nicht, daß diese Truppen nicht zur Verteidigung der Stellung bestimmt waren, wie Bennigsen glaubte, sondern verdeckt in einem Hinterhalt aufgestellt waren, um den vorrückenden Feind plötzlich zu überfallen. Bennigsen wußte das nicht und schob die Truppen weiter vor, ohne dem Oberkommandierenden davon Mitteilung zu machen.
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An diesem hellen Augustabend des 25. lag Fürst Andree in einer zerfallenen Scheune des Dorfes Knjaskowo, wo sein Regiment stand. Durch die Löcher in den Wänden blickte er auf das Feld hinaus, auf welchem die Lagerfeuer der Soldaten rauchten. Drückend und unnütz erschien ihm sein Leben, und er befand sich jetzt wieder, wie vor sieben Jahren am Vorabend der Schlacht bei Austerlitz, in einer erregten und gereizten Stimmung. Er hatte die Befehle zur Schlacht erhalten und ausgegeben und hatte jetzt nichts weiter zu tun. Er wußte, daß die bevorstehende Schlacht die schrecklichste von allen denen sein mußte, an denen er teilgenommen. Der Gedanke an die Möglichkeit des Todes erwachte jetzt lebhaft in seiner Seele mit drohender Klarheit und Schärfe, und alles was ihn früher in Anspruch genommen und gequält hatte, erschien ihm jetzt im kalten, bleichen, schattenlosen Licht. Er sah sein ganzes Leben wie in einer Zauberlaterne. »Ja, das sind sie, diese Gestalten in groben Umrissen, welche mir einst schön und geheimnisvoll erschienen waren. Das allgemeine Wohl, die Liebe zum Weibe, zum Vaterland – wie groß erschienen mir einst alle diese Bilder! Mit welchem tiefen Sinn schienen sie mir erfüllt zu sein! Und das alles erscheint mir jetzt so einfach und leer!« Er blickte auf die Birken hinaus, deren gelbgrüne Blätter in der Sonne erglänzten, und dachte an das Leben auf Erden, wenn er nicht mehr sein werde. Ein Frost lief über seinen Rücken. Rasch stand er auf, verließ die Scheune und ging umher.
»Wer ist da?« rief Andree, als er Stimmen vernahm.
Der rotnasige Kapitän Timochin, der frühere Vorgesetzte Dolochows, welcher jetzt wegen Mangel an Offizieren ein Bataillon befehligte, näherte sich schüchtern der Scheune, begleitet von einem Adjutanten und dem Zahlmeister des Regiments. Fürst Andree hörte die Meldung der Offiziere an, erteilte noch einige Befehle und wollte sie entlassen, als er hinter der Scheune eine bekannte Stimme vernahm. Fürst Andree erblickte Peter, der auf ihn zukam. Der Anblick von Leuten seiner Welt, besonders Peters, der ihn an die schwere Zeit erinnerte, die er in Moskau verlebt hatte, war ihm peinlich.
»Ach, sieh da!« sagte er. »Wie unerwartet!« Seine Miene war mürrisch, fast feindselig. Peter bemerkte dies sogleich, seine gehobene Stimmung schwand.
»Ich kam … wissen Sie … es interessiert mich …« sagte Peter. »Ich wollte die Schlacht sehen.«
»Ja, ja, aber was sagen deine Brüder, die Freimaurer, vom Krieg?« fragte Andree spöttisch. »Was macht Moskau? Was machen die Meinigen? Sind sie endlich in Moskau angekommen?« fragte er ernst.
»Ja, sie sind angekommen, Julie Drubezkoi hat es mir gesagt. Ich wollte sie besuchen, traf sie aber nicht an. Sie sind auf das Gut bei Moskau gezogen.«
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Die Offiziere wollten gehen, aber Fürst Andree, welcher nicht mit seinem Freund allein bleiben wollte, lud sie zum Tee ein. Die Offiziere blickten die dicke, mächtige Gestalt