Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi
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Читать онлайн книгу Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi страница 145
Peter fühlte, daß er nicht an seiner Stelle war, und da er befürchtete, wieder jemand zu stören, ritt er dem Adjutanten nach.
»Was geht hier vor? Kann ich mit Ihnen kommen?« fragte er.
»Gleich! Gleich!« erwiderte der Adjutant und galoppierte auf einen dicken Oberst zu, der auf der Wiese stand, meldete ihm etwas und wandte sich dann nach Peter um.
»Wie sind Sie hierhergekommen, Graf?« sagte er lachend. »Sind Sie immer noch so neugierig?«
»Ja, ja«, sagte Peter, aber der Adjutant wandte sein Pferd und ritt weiter.
»Hier geht’s noch an«, sagte der Adjutant, »aber auf dem linken Flügel bei Bagration ist ein entsetzliches Blutbad.«
»Wirklich?« fragte Peter. »Wo ist das?«
»Nun, kommen Sie mit mir nach dem Hügel, dort bei uns auf der Batterie ist’s noch erträglich«, sagte der Adjutant. »Kommen Sie mit?«
»Ja, ich komme«, sagte Peter und suchte mit den Augen seinen Reitknecht.
Hier sah Peter zum erstenmal Verwundete, welche sich zu Fuß wegschleppten, oder auf Tragen fortgebracht wurden. Auf der Wiese lag unbeweglich ein Soldat, dessen Tschako neben ihm lag.
»Warum hat man diesen nicht fortgebracht?« fragte Peter, aber als er das ernste Gesicht des Adjutanten sah, schwieg er.
Peter konnte seinen Stallmeister nicht finden und ritt mit dem Adjutanten durch die Niederung nach dem Rajewskyhügel zu. Peters Pferd fing an zu hinken.
»Sie sind wohl nicht gewohnt zu reiten, Graf?« fragte der Adjutant.
»Nein, es geht, aber das Pferd stößt sehr«, sagte Peter verwundert.
»Eh… es ist verwundet«, sagte der Adjutant. »Am rechten Vorderfuß unter dem Knie! Ich gratuliere zur Feuertaufe.«
Nachdem sie im Rauch am sechsten Korps vorbeigeritten waren, hinter der Artillerie, welche dort aufgestellt war und unter betäubendem Kanonendonner feuerte, kamen sie zu einem kleinen Wald. Im Walde war es kühl und ruhig. Peter und der Adjutant stiegen von den Pferden und gingen zu Fuß auf die Anhöhe zu.
»Ist hier der General?« fragte der Adjutant die Soldaten.
»Er war eben hier und ist dort nach rechts hingeritten«, antwortete man ihm. Der Adjutant blickte sich nach Peter um, da er nicht wußte, was er mit ihm machen sollte. »Beunruhigen Sie sich nicht«, sagte Peter. »Ich gehe auf den Hügel! Kann ich?«
»Ja, gehen Sie nur dahin, von dort aus können Sie alles sehen, und es ist auch nicht so gefährlich dort. Ich werde Sie später abholen.«
Peter ging zu der Batterie, während der Adjutant weiterritt. Sie sahen sich nicht wieder, und erst viel später erfuhr Peter, daß dem Adjutanten an diesem Tag ein Arm abgerissen worden war.
Der Hügel, auf welchen Peter zuging, war jene berühmte Stelle, welche später bei den Russen als Hügelbatterie, oder Batterie Rajewsky berühmt wurde, und welche die Franzosen die große Redoute nannten und für den wichtigsten Punkt der Stellung ansahen.
Die Redoute war auf drei Seiten von Gräben umgeben und enthielt zehn Kanonen. In derselben Linie mit der Batterie standen zu beiden Seiten Kanonen, welche gleichfalls beständig feuerten. Etwas hinter den Kanonen stand Infanterie. Als Peter sich dieser Batterie näherte, ahnte er nicht, daß dieselbe der wichtigste Punkt des Schlachtfeldes war, im Gegenteil, er war der Meinung, daß sie von ganz geringer Bedeutung wäre.
Als er die Höhe des Hügels erreichte, setzte sich Peter am Ende des Grabens nieder, welcher die Batterie umgab, und mit einem freudig erregten Lächeln beobachtete er, was um ihn her vorging. Zuweilen stand er auf und ging in der Batterie umher. Er bemühte sich, den Soldaten nicht hinderlich zu sein, welche die Kanonen luden und nach vorn schoben oder mit Patronen und Kugeln beständig an ihm vorüberliefen. Die Kanonen dieser Batterie feuerten stets eine nach der anderen unter betäubendem Kanonendonner und hüllten die ganze Umgebung in Pulverdampf. Die Erscheinung der unkriegerischen Gestalt Peters mit dem weißen Hut schien anfangs unangenehmes Erstaunen zu erregen. Ein älterer Artillerieoffizier mit langen Beinen blickte ihn neugierig an. Ein kleines Offizierchen mit rundem Gesicht, fast noch ein Knabe, der eben erst aus dem Kadettenkorps gekommen sein mußte, redete Peter streng an.
»Mein Herr, gehen Sie aus dem Wege! Hier können Sie nicht bleiben!«
Auch die Soldaten blickten Peter anfangs mißfällig an, aber als sie sahen, daß dieser Mensch mit dem weißen Hut nichts Böses tat, sondern friedlich an einer Ecke des Walles saß oder mit schüchternem Lächeln jedem aus dem Wege ging und in der Batterie so ruhig umherspazierte wie auf der Promenade, ging ihre mißfällige Verwunderung in eine humoristische Freundlichkeit über, ähnlich derjenigen, welche die Soldaten für Hunde, Hähne, Ziegen und andere Tiere zeigen, die sich ihnen anschließen. Sie nahmen Peter in ihre Familie auf, gaben ihm den Zunamen »unser Barin«, unser Herr, und lachten über ihn. Zwei Schritte von Peter riß eine Kanonenkugel die Erde auf, er schüttelte die Erdschollen von sich und blickte sich lächelnd um.
»Und Sie fürchten sich nicht, Herr?« fragte ein breitschulteriger Soldat mit rotem Gesicht, seine weißen Zähne zeigend.
»Fürchtest du dich denn?« fragte Peter.
»Nun, natürlich«, erwiderte der Soldat. »So ein Ding verschont nichts! Wenn es in den Leib fährt, wirft es die Eingeweide heraus. Wie sollte man sich nicht fürchten?« sagte er lachend.
Einige Soldaten sahen ihn vergnügt an. Sie schienen nicht erwartet zu haben, daß er ebenso spreche wie alle, eine Entdeckung, über die sie erfreut waren.
»Wir sind Soldaten, aber so ein Herr – das ist doch merkwürdig!«
»An die Geschütze!« schrie der kleine Offizier den Soldaten zu, die sich um Peter sammelten. Er schien zum erstenmal zu kommandieren und beobachtete daher eine ganz besondere Pünktlichkeit.
Das Geschütz-und Gewehrfeuer verstärkte sich auf dem ganzen Feld, besonders links hin bei den Verschanzungen Bagrations. Peter stand am Rande des Grabens und beobachtete das Treiben in der Batterie. Um zehn Uhr waren schon zwanzig Mann fortgetragen worden, zwei Geschütze waren außer Gefecht gesetzt und immer häufiger fielen Geschosse in die Batterie. Aber die Soldaten schienen es nicht zu bemerken und unterhielten sich mit heiteren Scherzreden.
»Du da«, rief ein Soldat, »nicht hierher! Geh dort zur Infanterie!«
»Ist es eine Bekannte?« fragte lachend ein anderer Soldat seinen Kameraden, der sich vor einer vorüberfliegenden Granate tief verneigt hatte.
Einige Soldaten blickten über den Wall hinüber.
»Die Kette ist zurückgezogen, siehst du!« sagte der eine.
»Kümmert euch um euch!« rief ihm ein alter Unteroffizier zu. »Wenn sie zurückgegangen sind, so haben sie wahrscheinlich hinten etwas zu tun.«
»Ach, unserem Barin hätte es beinahe den Hut abgerissen!« sagte lachend ein Spaßvogel.
»Ach, wie ungeschickt!« rief ein anderer vorwurfsvoll einer Kanonenkugel zu, welche ein Rad zerschlagen und einem Kanonier ein Bein abgerissen hatte. »Nun, ihr Füchse«, rief ein anderer den Landsturmleuten zu, welche den Verwundeten abzuholen