Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi
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Читать онлайн книгу Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi страница 146
Eine drohende Wolke näherte sich. Peter stand neben dem älteren Offizier, und das junge Offizierchen kam mit der Hand am Tschako auf seinen Vorgesetzten zugelaufen.
»Habe die Ehre, zu melden, Herr Oberst, daß wir nur noch acht Schüsse haben. Befehlen Sie, das Feuer fortzusetzen?« fragte er.
»Kartätschen!« rief der Oberst, ohne zu antworten, nachdem er über den Wall geblickt hatte. Plötzlich ging etwas vor. Der kleine Offizier stöhnte und ließ sich zur Erde nieder, wie ein Vogel, der im Fluge getroffen wurde. In den Augen Peters wurde alles sonderbar unklar. Eine Kugel nach der anderen fuhr pfeifend in die Brustwehr unter die Soldaten und Kanonen, seitwärts von der Batterie liefen Soldaten mit Hurrageschrei nicht vorwärts, sondern rückwärts, wie es Peter schien. Eine Kanonenkugel schlug neben Peter ein und überschüttete ihn mit Erde. Ein schwarzer Ball flog an seinen Augen vorüber und schlug gleich darauf in etwas ein. Die Landsturmleute, welche in der Batterie waren, liefen davon. »Kartätschen!« schrie der Oberst wieder. Der Unteroffizier kam auf den Oberst zugelaufen und sagte mit ängstlichem Flüstern, wie ein Haushofmeister, der dem Herrn meldet, es sei kein Wein mehr da – es seien keine Geschosse mehr da.
»Halunken! Was habt ihr gemacht?« schrie der Offizier. »Laufe zu den Reserven! Bringe einen Pulverwagen her!« rief er zornig.
»Ich werde gehen«, sagte Peter.
Der Offizier gab keine Antwort und ging mit großen Schritten nach der anderen Seite. »Nicht schießen! Wartet noch!« rief er.
Der Soldat, der den Befehl erhalten hatte, nach Munition zu gehen, stieß mit Peter zusammen.
»Ach, Barin, hier ist kein Platz für dich«, sagte er und lief den Berg hinab. Peter eilte ihm nach. Eine, zwei, drei Kanonenkugeln flogen über ihn weg.
»Wohin gehe ich?« fragte er sich plötzlich, als er schon bei den grünen Pulverwagen ankam. Unschlüssig blieb er stehen. Plötzlich warf ihn ein schrecklicher Stoß zur Erde. In demselben Augenblick erfolgte ein heftiger Schlag mit Krachen und Pfeifen, und ein großes Feuer flammte auf. Als Peter wieder zu sich kam, saß er auf der Erde. Der Pulverwagen, bei dem er gestanden hatte, war verschwunden, nur einige grüne, angesengte Trümmer lagen auf dem verbrannten Gras. Ein Pferd lief über das Feld, und das andere lag auf der Erde und stöhnte kläglich.
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Heftig erschrocken sprang Peter auf und lief zur Batterie zurück, als einziger Zufluchtsort gegen alle Schrecken, die ihn umgaben. Als er den Graben erreichte, bemerkte er, daß in der Batterie keine Schüsse mehr hörbar waren. Er erblickte den Oberst am Walle liegend, als ob er hinabblicken wollte. Ein Soldat, den er früher bemerkt hatte, suchte sich von einigen Leuten loszureißen, die ihn hielten, und schrie: »Zu Hilfe!« Dann aber wurde er vor Peters Augen von einem Bajonett durchbohrt. Noch ehe er klar erkennen konnte, daß der Oberst gefallen und dieser Soldat gefangen war, stürzte ein hagerer, gelber Mensch mit schweißbedecktem Gesicht, in blauer Uniform, mit einem Degen in der Hand, auf Peter zu. Dieser schützte sich unwillkürlich gegen den Feind, streckte den Arm aus und ergriff diesen Menschen, einen französischen Offizier, mit einer Hand an der Schulter und mit der anderen an der Kehle. Der Offizier ließ den Degen sinken und faßte Peter am Rock an. Einige Sekunden sahen sich beide mit erschrockenen Augen an und schienen nicht zu begreifen, was sie taten oder tun sollten. »Bin ich gefangen? Oder ist er mein Gefangener?« dachte jeder von ihnen. Peter drückte dem Franzosen in unwillkürlichem Schrecken immer fester die Kehle zu. Dieser wollte etwas sagen, als plötzlich ganz niedrig über seinem Kopf mit schrecklichem Pfeifen eine Kanonenkugel wegflog. Peter glaubte, der Kopf des französischen Offiziers sei abgerissen, so rasch hatte er ihn herabgebogen.
Auch Peter bückte den Kopf und ließ die Hand los. Sie dachten nicht mehr daran, wer von ihnen gefangen sei. Der Franzose lief in die Batterie zurück und Peter den Berg hinab. Bald aber kamen ihm dichte Massen von russischen Soldaten entgegen, welche feuernd und mit lautem Geschrei stürmisch auf die Batterie zuliefen. Das war jener Angriff, den Jermolow sich zuschrieb, indem er behauptete, nur seiner Tapferkeit und seinem Glück sei es möglich gewesen, diese Tat und diesen Angriff auszuführen, bei welchem er Georgenkreuze auf den Hügel geworfen habe, die er in der Tasche gehabt habe.
Die Franzosen, welche die Batterie weggenommen hatten, flohen, unsere Soldaten verfolgten mit Hurrageschrei die Franzosen so weit, daß es schwer war, sie anzuhalten. Von der Batterie führte man Gefangene fort, darunter auch einen verwundeten französischen General, den die Offiziere umgaben. Peter ging den Hügel hinauf, wo er mehr als eine Stunde zugebracht hatte. Viele Tote lagen da, die ihm unbekannt waren, einige aber erkannte er. Der kleine Offizier lag noch immer am Rande des Walles in einer Blutlache. Peter lief den Hügel hinab. »Nein, jetzt werden sie sich selbst davor entsetzen, was sie getan haben«, dachte Peter. Doch das Gewehrfeuer und die Kanonade verstärkten sich noch immer, namentlich auf dem linken Flügel.
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Die Schlacht bei Borodino entwickelte sich hauptsächlich auf einer Strecke von tausend Faden zwischen Borodino und den Schanzen Bagrations. Auf dem übrigen Schlachtfeld wurden auf dem einen Flügel durch die Russen während der Hälfte des Tages Demonstrationen von der Kavallerie Uwarows gemacht, und auf dem anderen Flügel bei Utiza fand der Zusammenstoß Poniatowskys mit Tutschkow statt. Aber das waren zwei getrennte und schwache Vorgänge im Vergleich mit dem, was in der Mitte des Schlachtfeldes vorging. Die Schlacht begann mit Geschützfeuer von beiden Seiten aus einigen hundert Kanonen. Dann, als der Rauch das ganze Feld bedeckte, rückten von französischer Seite zuerst zwei Divisionen, Dessaix und Compans, gegen die Schanzen vor und zur Linken die Regimenter des Vizekönigs Eugen gegen Borodino. Von der Redoute bei Schewardino, auf welcher Napoleon stand, waren die Schanzen nur eine Werst entfernt, Borodino aber mehr als zwei Werst, und deshalb konnte Napoleon nicht sehen, was dort vorging, weil der Rauch alles verhüllte. Die Soldaten der Division Dessaix, welche gegen die Schanzen vorrückten, waren nur so lange sichtbar, bis sie die Schlucht erreichten, die sie von den Schanzen trennte. Sobald sie die Schlucht hinabstiegen, war der Rauch so dicht, daß die andere Seite der Schlucht ganz verhüllt war.
Die Sonne brach hell hervor und traf mit ihren schiefen Strahlen gerade das Gesicht Napoleons, welcher unter der Hand nach den Schanzen blickte. Bald hörte man aus den Rauchwolken vor den Schanzen hervor Zurufe der Leute, aber man konnte nicht wissen, was sie dort taten. Napoleon stand auf dem Hügel und blickte durch ein Fernrohr, ohne etwas deutlich wahrnehmen zu können. Er ging auf und ab, horchte zuweilen auf die Schüsse und blickte wieder nach dem Schlachtfeld.