Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi

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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi

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mein Lieber«, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen. Die Dame sprach von der Fürstin Marie, von ihrem verstorbenen Vater, dem sie wenig gewogen schien, und fragte nach dem Fürsten Andree, welcher augenscheinlich auch nicht ihre Gunst besaß. Dann entließ sie ihn mit der Einladung, sie zu besuchen.

      Nikolai versprach das errötend. Bei dem Gedanken an die Fürstin Marie empfand Rostow ein ihm unerklärliches Gefühl der Befangenheit. Rostow wollte in den Tanzsaal zurückkehren, aber die kleine Gouverneurin führte ihn in ein Nebenzimmer, welches die darin anwesenden Personen sogleich verließen, um die Exzellenz nicht zu stören.

      »Weißt du, mein Lieber«, begann sie im ernsten Ton, »das wäre eine Partie für dich! Wenn du willst, so werde ich sie zustande bringen.« »Welche Partie, Tantchen?« fragte Nikolai.

      »Mit der Fürstin. Willst du? Ich bin überzeugt, daß deine Mutter mir dafür dankbar sein wird. Und sie ist durchaus nicht so häßlich.«

      »Durchaus nicht«, wiederholte Nikolai.

      »Nun also, besinne dich! Das ist kein Spaß. Und noch etwas, mein Lieber, du machst der Blondine zu viel den Hof. Der Mann nimmt das übel.«

      »Ach nein, wir sind ja Freunde«, sagte Nikolai. Er hatte keine Idee davon, daß dieser Zeitvertreib den Mann wenig belustigen könne.

      »Nun, überlege dir die Sache«, sagte sie.

      »Ich muß Ihnen sagen, Tantchen«, begann er, indem er sie zur Seite führte.

      »Was gibt es, mein Lieber? Wir wollen uns hier setzen.«

      Nikolai empfand plötzlich den Wunsch, alle seine verborgensten Gedanken, die er selbst seiner Mutter und Schwester verschwieg, dieser beinahe fremden Dame mitzuteilen. Als Nikolai sich später an diesen durch nichts hervorgerufenen Ausbruch von unerklärlicher Aufrichtigkeit erinnerte, schien es ihm, wie es den Leuten immer erscheint, daß das nur eine einfältige Anwandlung gewesen sei. Aber diese Aufrichtigkeit hatte mit anderen kleinen Ereignissen zusammen für ihn und seine ganze Familie wichtige Folgen.

      »Nun sehen Sie, Tantchen, Mama will schon lange, ich soll eine reiche Partie machen, aber der Gedanke, nach Geld zu heiraten, ist mir widerlich.«

      »O ja, ich verstehe«, sagte die Gouverneurin.

      »Aber die Fürstin Bolkonsky, das ist etwas anderes! Ich gestehe Ihnen, daß sie mir sehr gefällt, und oft kommt mir der Gedanke in den Kopf, es sei eine Fügung des Schicksals gewesen, daß ich sie in dieser gefährlichen Lage treffen mußte. Bedenken Sie doch – Mama hat lange daran gedacht, aber wir haben uns nie getroffen, wie das so geht. Nun, zu derselben Zeit, als meine Schwester Natalie mit ihrem Bruder verlobt war, konnte ich nicht daran denken, sie zu heiraten, und nun mußte ich sie gerade damals treffen, als die Verlobung mit meiner Schwester aufgehoben war! Nun, und dann … Das war’s. Ich habe mit niemand darüber gesprochen, nur mit Ihnen.«

      Die Gouverneurin drückte ihm dankbar den Arm.

      »Sie kennen Sonja, meine Cousine? Ich liebe sie und habe versprochen, sie zu heiraten … Deshalb sehen Sie, daß davon nicht die Rede sein kann«, schloß Nikolai verlegen und errötend.

      »Aber was redest du da? Sonja hat nichts, und du hast selbst gesagt, die Umstände deines Vaters seien sehr schlecht, und deine Mutter! Das würde sie ins Grab bringen! Und wenn Sonja ein Mädchen mit Herz ist, welches Leben wird das für sie sein? Die Mutter in Verzweiflung, die Umstände zerrüttet. – Nein, mein Lieber, du und Sonja – ihr müßt das begreifen.« Nikolai schwieg. Es war ihm angenehm, diese Beweisführung anzuhören. »Aber dennoch, Tantchen, kann es nicht sein«, sagte er seufzend. »Und wird mich die Fürstin auch heiraten? Jetzt ist sie in Trauer, kann man jetzt daran denken?«

      »Glaubst du denn, daß ich dich sofort verheiraten wolle? Alles muß seine Art haben«, sagte die Gouverneurin.

      Nikolai küßte ihr dickes Händchen.

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       Inhaltsverzeichnis

      In Moskau traf die Fürstin Marie ihren Neffen mit einem Hauslehrer und einem Brief vom Fürsten Andree mit dem Auftrag, nach Woronesch zur Tante Malwinzew zu reisen. Die Reisevorbereitungen, die Sorge um den Bruder, die Einrichtung in einem neuen Hause, die neue Umgebung und die Erziehung des Neffen – das alles übertäubte im Herzen der Fürstin Marie das Gefühl, das während der Krankheit und nach dem Tode ihres Vaters und besonders nach der Begegnung mit Rostow sie beständig gequält hatte wie eine Versuchung. Sie fand sich in sehr gedrückter und sorgenvoller Stimmung. Als am Tage nach der Abendgesellschaft die Gouverneurin zu Maries Tante Malwinzew kam, und ihre Pläne bei dieser Dame günstige Aufnahme gefunden hatten, sprach sie mit der Fürstin Marie über Rostow, den sie sehr rühmte, und erzählte, wie er bei Erwähnung ihres Namens errötet sei. Marie empfand dabei aber kein freudiges Gefühl. Ihr innerer Gleichmut verschwand und wieder erhoben sich Wünsche, Zweifel, Vorwürfe und Hoffnungen.

      Aber als am Sonntagvormittag der Diener im Salon den Grafen Rostow meldete, zeigte die Fürstin keine Verlegenheit, nur eine leichte Röte erschien auf ihren Wangen und ihre Augen strahlten in einem neuen Licht. Als Rostow ins Zimmer trat, senkte die Fürstin den Kopf, um dem Gast Zeit zu lassen, ihre Tante zu begrüßen, und als darauf Nikolai sich an sie wandte, begegneten ihre strahlenden Augen seinen Blicken. Mit einer Bewegung von Würde und Grazie streckte sie ihm ihre zarte Hand entgegen und begann mit ihm ein Gespräch mit einer Stimme, in welcher zum erstenmal neue weibliche Brusttöne erklangen. Mademoiselle Bourienne blickte Marie erstaunt an. Sie hätte als erfahrene Kokette selbst nicht besser manövrieren können beim Empfang eines Mannes, dem sie gefallen wollte. »Entweder steht ihr das Schwarz gut, oder sie ist wirklich hübsch geworden, ohne daß ich es bemerkte. Und dieser Takt! Diese Grazie!« dachte Mademoiselle Bourienne. Auch Marie würde sich verwundert haben. In dem Augenblick, als sie das geliebte Gesicht erblickte, fühlte sie sich von einer neuen Kraft beherrscht, welche ihre Reden und Handlungen bestimmte.

      Auch Rostow sah dies alles deutlich und fühlte, daß das Wesen, das er erblickte, ein ganz anderes, besseres war als alle diejenigen, mit denen er bisher in Berührung gekommen war, und – was das Wichtigste war – ein besseres als er selbst. Das Gespräch war sehr einfach und unbedeutend. Man sprach vom Krieg, von den Vorfällen auf dem Gut, von der gutmütigen Gouverneurin und von den beiderseitigen Verwandten. Während des kurzen Besuchs von Nikolai wurden die Pausen des Gesprächs, wie immer, wo Kinder sind, von dem kleinen Sohne des Fürsten Andree ausgefüllt. Nikolai fragte ihn, ob er Husar werden wolle, nahm den Knaben scherzend auf den Arm und bemerkte die gerührten, glücklichen Blicke der Fürstin, mit denen sie den Knaben auf dem Arm des geliebten Mannes betrachtete.

      Fürstin Marie ging wegen der Trauer nicht in Gesellschaft, Nikolai aber hielt es nicht für passend, öfter zu erscheinen. Aber die Gouverneurin setzte ihre Heiratsvermittlung fort und berichtete Nikolai, was Fürstin Marie Schmeichelhaftes über ihn gesagt hatte, und umgekehrt, und bestand darauf, daß Rostow sich mit der Fürstin Marie aussprechen sollte. Rostow aber war überzeugt, daß es eine Niedrigkeit gewesen wäre, nachdem er sich mit Sonja verlobt hatte, der Fürstin Marie seine Gefühle auszusprechen, er wußte auch, daß er niemals eine Niedrigkeit begehen werde, er wußte aber auch, daß er nicht nur nichts Böses tun würde, wenn er sich dem Einfluß der Umstände und der Menschen hingeben würde, sondern daß er damit etwas sehr Wichtiges tun würde, wie niemals in seinem Leben.

      212

      

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