Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi
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Die gefangenen Offiziere wurden von den Soldaten getrennt. Es waren etwa dreißig Offiziere und dreihundert Soldaten.
Die gefangenen Offiziere, die aus anderen Baracken kamen, waren Peter alle fremd und viel besser gekleidet als er, und blickten ihn mißtrauisch und kühl an. Nicht weit von Peter ging ein dicker Major in einem Schlafrock, der mit einem Leintuch festgehalten wurde, mit einem dicken, gelben, bösen Gesicht, der beständig keuchte und zornig brummte. Ein anderer Offizier sprach seine Vermutungen aus, wohin sie jetzt geführt und wie weit sie heute noch kommen werden. Ein Intendanturbeamter lief nach verschiedenen Seiten, betrachtete das abgebrannte Moskau und äußerte laut seine Beobachtungen.
»Nun, ihr wißt, daß es abgebrannt ist, was ist da zu reden?« knurrte der Major.
Als der Zug durch einen der wenigen nicht abgebrannten Stadtteile Moskaus kam, drängte sich die ganze Menge der Gefangenen plötzlich nach einer Seite, und man hörte Ausrufe des Entsetzens. Die Leiche eines Mannes stand aufrecht an einer Kirchenmauer, das Gesicht war mit Kienruß beschmiert.
»Vorwärts, zum Teufel!« schrien die französischen Soldaten und trieben die Gefangenen mit den Säbeln auseinander.
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Als der Zug der Gefangenen, welcher bisher allein marschierte, zu den großen Proviantmagazinen kam, geriet er in das Gedränge eines ungeheuren Zuges von. Kanonen und Wagen. Nach vorwärts und nach rückwärts erblickte man unendliche Reihen anderer Wagenzüge und rechts auf der Kalugaschen Straße zogen unabsehbare Reihen von Truppen und Wagen hin. Das war das Korps von Beauharnais, das früher als die anderen abmarschiert war. Am Ufer des Flusses und bei der Steinernen Brücke marschierten die Truppen und Wagenzüge des Marschalls Ney. Das Korps von Davoust, wozu die Gefangenen gehörten, hatte schon zum Teil die Kalugasche Straße erreicht. Von allen Seiten hörte man ein Geräusch, wie das unaufhörliche Brausen des Meeres, sowie Hufschläge, das Krachen der Wagen und tausendfaches Stimmengewirr. Beständig wurde der Marsch unterbrochen, und die wenigen Schritte von der Steinernen Brücke bis zur Kalugaschen Straße erforderten mehr als eine Stunde. Bei einem solchen Aufenthalt stiegen die gefangenen Offiziere auf die Mauern eines abgebrannten Hauses, neben dem sie standen.
»Sieh doch, was für ein Volk! Auf den Kanonen haben sie Beute aufgepackt! Sieh doch die Pelze! Ach, die Verfluchten, wie sie geplündert haben! Und was hat der dort auf dem Wagen? Ich glaube, es sind Heiligenbilder. Ach, die Schurken! Und siehst du, dieser hat sich so vollgepackt, daß er kaum gehen kann! Und da kommt ein Wagen mit Koffern vollgepackt! Siehst du, was das für Pferde sind? Mit einer Krone! Und da ist ein Frauenzimmer mit einem Kind. Wie ist diese wohl hierhergeraten? Und immer noch kein Ende! Da sind auch russische Mädchen, wahrhaftige Mädchen! Sitzen dort behaglich auf dem Wagen!«
Wieder schob eine Welle der allgemeinen Neugierde wie an der Kirchenmauer alle Gefangenen auf den Weg, und Peter sah über die anderen weg, was ihre Neugierde so sehr erregt hatte. Zwischen den Pulverwagen fuhren drei Kutschen mit in grellen Farben gekleideten Frauenzimmern, die mit kreischenden Stimmen schrien und durcheinander sprachen. Nach diesen Kutschen kamen wieder Wagen, Soldaten, Bauernwagen und Soldaten, Pulverwagen und Soldaten und darunter im Gedränge zuweilen auch Weiber. Peter sah nicht einzelne Menschen, sondern nur den Strom des Ganzen, welcher wie von einer geheimnisvollen Kraft fortbewegt wurde und sich beständig durch Zuzüge aus den Nebenstraßen verstärkte. Man marschierte sehr rasch, ohne Aufenthalt, und erst, als die Sonne sich zum Untergang neigte, wurde Rast gemacht. Die Wagen rückten enger auf, und die Leute bereiteten ihr Nachtlager. Alle schienen unzufrieden und zornig zu sein, lange Zeit hörte man von allen Seiten Schimpfworte, Zanken und Geschrei. Die Wachtmannschaft benahm sich gegen die Gefangenen noch schlechter als beim Ausmarsch, und zum erstenmal erhielten die Gefangenen jetzt Pferdefleisch. Das frühere, freundliche Benehmen hatte bei allen, von den Offizieren bis zum letzten Soldaten, sich in Feindseligkeit gegen die Gefangenen verwandelt, und diese Feindseligkeit verstärkte sich noch, als beim Verlies der Gefangenen entdeckt wurde, daß ein russischer Soldat, der sich krank gestellt hatte, im Gedränge entflohen war. Peter sah, wie ein Franzose einen russischen Soldaten schlug, weil er zu weit vom Wege abgewichen war, und hörte, wie der Kapitän, sein Freund, einem Unteroffizier mit dem Kriegsgericht drohte wegen der Flucht des Russen. Der Unteroffizier entschuldigte sich, der Soldat sei krank gewesen und habe nicht gehen können, worauf der Offizier sagte, es sei befohlen, diejenigen zu erschießen, die zurückbleiben. Bald verstummte das Knistern der Lagerfeuer und das unendliche Stimmengewirr, und in dem ungeheuren Biwak wurde es still. Die roten Lagerfeuer brannten herab, doch am hellen Himmel stand der Vollmond und erleuchtete die unabsehbaren Wälder und Felder. Peter blickte zum Himmel auf, zu den funkelnden Sternen.
»Und alles das ist mein, und alles das ist in mir, und alles das bin ich«, dachte Peter, »und alles das haben sie gefangengenommen und in der Baracke, die mit Brettern eingezäunt ist, eingeschlossen.« Er lachte und legte sich bei seinen Genossen nieder, um zu schlafen.
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In den ersten Tagen des Oktober kam bei Kutusow noch ein Parlamentär an mit einem Brief von Napoleon, welcher Friedensvorschläge enthielt und trügischerweise aus Moskau datiert war, während Napoleon schon nicht weit von Kutusow auf der alten Kalugaschen Straße war. Kutusow antwortete auf diesen Brief ebenso wie auf den ersten. Er sagte, von Frieden könne keine Rede sein. Bald darauf traf von dem Streifkorps von Dolochow bei Tarutino eine Meldung ein, daß in Fominskoi sich Truppen gezeigt hätten, die aus der Division Broussier bestehen. Diese Division sei vereinzelt und könne leicht vernichtet werden. Die Generale kamen zu Kutusow und sprachen ihre Meinung aus, auf den Vorschlag Dolochows einzugehen, aber Kutusow hielt dies nicht für nötig. Daraus erfolgte ein Mittelding, es wurde nach Fominskoi eine kleine Abteilung unter Dolochow gesandt, welche Broussier angreifen sollte, aber kaum hatte Dolochow die Hälfte des Weges bis Fominskoi zurückgelegt, als die französische Armee sich ganz unerwarteterweise nach links wandte, nach der neuen Kalugaschen Straße und Fominskoi besetzte, wo früher nur Broussier gestanden hatte. Ein gefangener französischer Gardist wurde eingebracht, welcher aussagte, daß die Truppen in Fominskoi die Avantgarde der ganzen großen Armee sei, daß auch Napoleon dort wäre, und daß die Armee schon vor fünf Tagen aus Moskau abmarschiert sei. An demselben Abend berichtete auch ein Bauer, daß er den Einmarsch großer Truppenmassen in die Stadt gesehen habe, und Kosaken von der Abteilung Dolochows meldeten, daß sie die französische Garde im Anmarsch gesehen haben. Aus allen diesen Gerüchten ergab sich klar, daß dort, wo nur eine Division gestanden hatte, jetzt die ganze französische Armee stand, welche in einer ganz unerwarteten Richtung aus Moskau abmarschiert war. Dolochow wollte nichts unternehmen, ohne zuvor Meldung gemacht zu haben, und sandte einen Offizier, Bolchowitinow, um Mitternacht an den Oberkommandierenden ab.
230
Es war eine dunkle, warme Herbstnacht, es regnete schon den vierten Tag.
»Wo ist der General du jour? Schnell!« sagte Bolchowitinow, als er vor einer Hütte vom Pferde stieg, an welcher angeschrieben stand: »Generalstab.« Wie alle alten Leute schlief Kutusow wenig in der Nacht. Bei Tage schlummerte er oft plötzlich ein, jetzt aber lag er unausgekleidet auf seinem Bett in tiefem Nachdenken.
»Sie