Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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Hermiston wurde nicht fortlaufend, sondern abwechselnd mit »St. Ives« diktiert. Mein Mann pflegte an dem einen Buche zu arbeiten, bis es ihn ermüdete oder seine Stimmung umschlug; dann nahm er das andere vor. Noch kurz vor seinem Tode erzählte er mir, er beabsichtige sich sehr bald von beiden Büchern zu erholen und ein drittes, völlig anderes Werk in Angriff zu nehmen. Der neue Roman sollte »Sophia Scarlet« heißen, mit Frauen als Trägerinnen der Handlung. Die männliche Hauptfigur, ein Kranker, in den Sophia Scarlet sich verliebt, sollte in einem der ersten Kapitel sterben. »Es gab eine Zeit«, meinte er, »da ich es kaum wagte, eine Frauengestalt zu zeichnen; jetzt aber fürchte ich mich nicht mehr davor. Ich werde in den beiden Kirsties Gestalten aus »Die Herren von Hermiston«. ein wenig zeigen, was ich kann; aber in Sophia Scarlet wird sich das Interesse vornehmlich auf die Frauen konzentrieren.« Von dem Grundriß der Erzählung weiß ich nur so viel, daß der Schauplatz nach Tahiti verlegt war, wo Sophia Scarlet eine große Pflanzung, die sie selbst leitete, besitzen sollte.
Während mein Mann abwechselnd an Hermiston und St. Ives arbeitete, schleppte ein Schiff, das vorübergehend in Apia anlegte, eine Influenza-Epidemie dort ein. Die Seuche verbreitete sich rasch über die ganze Insel; kaum daß einer von den Eingeborenen ihr entging. Zu jener Zeit war es ungemein niederdrückend, durch ein samoanisches Dorf zu gehen. Die Seitenteile einer Hütte, gewöhnlich bis zu den Dachrinnen hochgeschlagen, waren fest heruntergezogen. Überall herrschte Totenstille bis auf ein gelegentliches Husten und Stöhnen hinter den Wänden aus Kokosnußblättern. In Vailima fiel jeder einzelne Samoaner dieser »fremden Krankheit« zum Opfer. Die Halle unseres Hauses wurde in einen Krankensaal mit einer doppelten Reihe von Betten verwandelt. Auch mein Mann steckte sich an und lag eine Zeitlang schwer darnieder. Aber selbst eine Influenza mit nachfolgendem Lungenbluten vermochte ihn nicht von der Arbeit, speziell von »St. Ives« abzuhalten. Seine Sekretärin lehrte ihn das Taubstummenalphabet, mit dessen Hilfe er langsam und mühselig etwa fünfzehn Seiten diktierte.
Eine bedeutsamere Unterbrechung brachte eine Reise nach Sydney. Mein Mann machte diese Fahrt zu seiner Erholung, ohne während seines Aufenthaltes in den Kolonien auch nur einen Strich zu arbeiten. Er hatte die Influenza vollständig überwunden, befand sich in bester Stimmung und genoß alles, was er unterwegs erlebte, selbst die Reden und Trinksprüche, die er in den Hotels halten mußte. Wir gaben Gesellschaften auf unseren Zimmern im Hotel, besuchten anderer Leute Gesellschaften, machten lange Spazierfahrten und durchstreiften zu Fuß den ganzen Stadtbezirk. Fremde, die meinem Mann in Sydney begegneten, vermochten kaum zu glauben, daß er eben erst von einem Krankenlager genesen sei. Einer Londoner Journalistin fiel es zu, alle Kräfte, die er während dieser Erholungszeit gesammelt hatte, wieder zunichte zu machen. Auf unserer Rückfahrt nach den Inseln legte sie ihm an einem zugigen Platz des Dampfers einen Hinterhalt, um ein Interview zu erlangen, und fesselte ihn durch einen Monolog so lange an Ort und Stelle, daß er sich von neuem schwer erkältete und bis zu unserer Ankunft in den Tropen an seine Kabine gefesselt war.
Nun folgte der aufreibendste Abschnitt in meines Mannes Leben. Bei unserer Ankunft in Samoa tobte dort ein Krieg, wie immer von den Weißen zu selbstsüchtigen Zwecken geschürt. Ich stehe davon ab, seine politische Seite zu berühren; wo meines Mannes Sympathien lagen, geht klar aus den Artikeln hervor, die er damals schrieb. Alles, was sich seither begeben hat, zeigt eindeutig die Weisheit der Maßregeln, für die er sich einsetzte.
Geraume Zeit zuvor hatte er verschiedene der führenden Häuptlinge überredet, Kakao zu pflanzen, und hatte ihnen auch den Samen für die Plantagen geschenkt. Jetzt schlug er einem von ihnen, Mataafa, vor, eine Fabrik zur Verwertung von Kokosfasern zu errichten. Er selbst beabsichtigte das Geld zur Beschaffung der Maschinen und des erforderlichen Materials zu stiften und hatte sich zu diesem Zweck bereits mit englischen Firmen in Verbindung gesetzt, als der Krieg ausbrach. Da das geplante Unternehmen viel Geld zu verschlingen versprach, arbeitete er angestrengt an den beiden angefangenen Romanen, von denen er erwartete, daß sie ihm die nötigen Summen einbringen würden. Nach der Deportation Mataafas hoffte er immer noch, die übrigen Häuptlinge zu der Einsicht bringen zu können, daß es unter den bestehenden Verhältnissen notwendiger denn je sei, ihr Land zu bebauen, statt ihre Kräfte in nutzlosen Kämpfen zu vergeuden. In seiner Ansprache an die Häuptlinge, die für ihn die »Straße des liebenden Herzens« bauten, sagte er: »Wer kämpft am besten für Samoa? … Der Mann, welcher Wege baut, Fruchtbäume pflanzt, Ernten einsammelt und als ein nützlicher Diener des Herrn sich des kostbaren Talentes bedient, das seiner Obhut anvertraut ist … denn alle Dinge in diesem Lande sind miteinander verknüpft wie die einzelnen Glieder einer Ankerkette; der Anker selbst jedoch ist der Fleiß.« An anderer Stelle spricht er von Mataafa: »Er hatte begriffen, was ich euch heute sage; kein Mensch erkannte das besser als er. Er sah den Tag voraus, da Samoa einen neuen Weg beschreiten würde und nicht nur mit Kanonen und pulvergeschwärzten Gesichtern, mit dem Gebrüll schreiender Krieger, nein, durch Graben und Pflanzen, Mähen und Säen verteidigt werden müßte. Als er noch unter uns weilte, widmete er sich dem Pflanzen des Kakaostrauches; er interessierte sich eifrig für Landwirtschaft und Handel. Ich wollte, jeder einzelne Häuptling dieser Inseln würde sich zur Arbeit anschicken, würde Wege bauen, seine Felder bestellen und Fruchtbäume pflanzen, würde seine Kinder erziehen und so sein Talent mehren – nicht um Tusitalas willen, sondern seinen Brüdern und Kindern, ja den langen Reihen ungeborener Geschlechter zuliebe.«
Das Gerücht, daß Tusitala die Absicht hätte, Mataafa auf irgendeine Weise zu helfen, wurde bald überall ausgestreut. Die einzige Erklärung, welche die weißen Ansiedler mit wenigen Ausnahmen finden konnten, war, daß wir Waffen und Munition für Mataafas Armee einschmuggeln wollten. Die Summe, die wir hierfür aufgewendet haben sollten, wuchs ins Ungeheuerliche. Eine Laterne für unsere Veranda, ein Geschenk meiner Schwiegermutter, sollte angeblich als Signallicht für ein geheimnisvolles Schiff dienen, das sich in der Nähe der Küste aufhielte. Einige von diesen Geschichten waren unglaublich töricht – zum Beispiel die über einen verborgenen Weg, den wir über die Berge nach Mataafas Dorf Malie erschlossen hätten; oder das Gerücht, daß dreitausend von Mataafas Kriegern in unseren Wäldern einquartiert lägen. Ich erinnere mich noch, wie wir lachen mußten, als ein hoher, europäischer Beamter, der auf unserer Veranda Tee trank, fast ohnmächtig geworden wäre, als er das Pu oder Kriegshorn blasen hörte, mit dem wir unsere Arbeiter zusammenzurufen pflegten; er glaubte fest an einen verräterischen Überfall. Der König, Laupepa, erwies sich als weit tapferer. Er blickte meinen Mann lediglich mit einem fragenden Lächeln an.
Mein Mann bemühte sich sowohl öffentlich wie im geheimen nach Kräften, eine Versöhnung zwischen Mataafa, den er sehr hoch schätzte, und dem liebenswürdigen, gebrochenen Laupepa, der zu einer Marionette in den Händen weniger Weißer geworden war, herbeizuführen. Diese Aussöhnung wurde von beiden Anführern ersehnt und hätte dem Lande den Frieden gebracht. Allein eine derartige Entwicklung würde verschiedenen, an dem Handel mit gewissen Gebrauchsgegenständen stark interessierten