Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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und ich ahne, er läßt sich nicht verantworten im Himmel und auf Erden. Wo in den schattigen Felsschluchten des Winkelegger Waldes das Wässerlein rieselt, da bleibe ich stehen. – Hier auf diesen Wellen lasse deine Gedanken schaukeln ohne Zweck und Ziel. Du kennst die Mär vom Lethestrom der Griechen. Das ist ein eigen Wasser gewesen, wer davon getrunken, hat der Vergangenheit vergessen; die Wellen des Waldbächleins sind ein noch eigeneres Wasser, wessen Seele auf demselben schaukelt, und trüge er auch den Winter im Haar, der findet wieder die längst vergangene Zeit seiner Kindheit und Jugend. – Sollte nicht der Lethe für mich besser taugen?

      Ich gehe tiefer hinein in die Wildnis und ruhe im Moose und lausche der immerdar klingenden Ruhe. Manches erst aufgeblühte Blümlein wiegt nah' an meiner Brust und will leise anklopfen an der Pforte meines Herzens. Und mancher Käfer krabbelt ängstlich heran, er hat im Dickicht der Gräser und der Moose etwan den Weg verloren zu seinem Liebchen. Jetzund hebt er seinen Kopf empor und fragt nach dem rechten Pfad. Weiß ich ihn selber? – Sag' du uns an, wo wird die Sehnsucht gestillt, die mit uns ist auf allen Wegen? – Eine Spinne läßt sich nieder vom Geäste; sie hat sich emporgerungen zur Höhe, und nun sie oben ist, will sie wieder unten sein auf der Erden. Sie spinnt Fäden, ich spinne Gedanken. Wer ist der Weber, der aus losen Gedankenfäden ein schönes Kleid weiß zu weben? –

      Wie ich noch so träume, rauscht es im Dickicht. Es ist kein Hirsch, es ist kein Reh; es ist ein Menschenkind, ein junges, glühendes Weib, erregt und angstvoll, wie ein verfolgtes Wild. Es ist Aga, das Almmädchen. Sie eilt auf mich zu, erhascht meine Hände und ruft: »Weil Ihr's nur seid, weil ich Euch nur finde!« Dann schaut sie mich an, und sie vermag den Aufruhr in sich nicht niederzudämpfen. »Es hat einen bösen Schick!« schreit sie wieder, »aber ein ander Mittel weiß ich nimmer. Der bös' Feind stellt mir nach, mir und ihm gleichwohl auch. Wir fürchten die Leut' jetzund, aber Euch bin ich zugelaufen; Ihr seid fromm und hochgelehrt! Ihr helft uns, daß wir nicht versinken allbeid', ich und der Berthold! Wir wollen in Ehren und Sitten leben, gebt uns den Eh'spruch!«

      Ich weiß anfangs nicht, was das bedeutet, und als sie es klartut, sage ich: »Habt ihr den treuen Willen, so wird euch der Ehesegen von der Kirche nicht vorenthalten werden.«

      »Mein Gott im Himmel!« schreit das Mädchen, »mit der Kirche heben wir nichts mehr an, die versagt uns die Ehe, weil wir nichts haben. Aber wenn der Herrgott bös' auf uns tat' werden, das wäre arg! – Das Gewissen läßt mir keine Ruh', und zu tausendmal bitt' ich Euch, schenket uns den Segen, den jeder Mensch kann schenken. Ihr seid wohl selber noch jung, und habt Ihr ein Lieb, so werdet Ihr's wissen, es gibt kein Lösen und Lassen. Wir leben in der Wildheit zusammen, weil wir uns nicht lassen mögen; wir haben keine Seel', die unser Freund wollt' sein und uns das Glück wollt' wünschen von Herzen. Ein gutes Wort möchten wir hören, und wenn nur einer tat' kommen und sagen: wollet mit Gottes Willen und Segen einander verbleiben bis zum Tod! So ein einzig Wort, und wir wären erlöst von der Sund' und ein Eh'paar vor Gott im Himmel!«

      Diese Sehnsucht nach Befreiung von der Sünde, dieses Ringen nach dem Rechten, nach der menschlichen Teilnahme, nach dem Frieden des Herzens – wen hätte das nicht zu rühren vermögen! »Ihr herzgetreuen Leut'!« rufe ich aus, und reck' die Arme: »Der Herrgott mög' mit euch sein, ich wünsch' es euch!«

      Da ist schon auch der Bursche neben dem Mädchen gekniet. Und so habe ich mit meinen Worten etwas getan, was von mir gar nicht zu verantworten ist im Himmel und auf Erden. Ich habe eine Trauung vollzogen mitten im grünen Wald.

      Am Peter- und Paulitag 1817

      Doch seltsam, was in diesem Jungen steckt, in des schwarzen Mathes Sohn. Er hat das Herz seiner Mutter und das Blut seines Vaters. Nein, er hat ein noch größeres Herz als seine Mutter und ein dreimal wilderes Blut als sein Vater. Dieser Knabe wird ein Heiland oder ein Mörder.

      Die alte Rußkath siecht seit Monaten. Die Leute sagen, es fehle ihr an gesundem Blut. Das hat auch der kleine Lazarus gehört, und gestern ist er zu mir gekommen mit einem hölzernen Töpfel und dem großen Seitenmesser seines Vaters und hat mich aufgefordert, ich möge aus seiner Hand Blut ablassen und es der Rußkath schicken.

      Er glüht im Gesicht, ist aber sonst ruhig. Ich verweise ihm sein Ansinnen. Er schießt davon. Und bald danach hat er im Hofe des Winkelhüterhauses eine Taube erwürgt – aus Zorn, aus Liebe – ich mag es nicht entscheiden.

      Ich trete hinaus zu dem toten Tiere. »Lazarus«, sage ich, »jetzt hast du eine Mutter umgebracht. Siehst du die armen, hilflosen Jungen dort? Hörst du, wie sie weinen?«

      Bebend steht der Knabe da, blaß wie Stein, und ringt nach Luft und zerbeißt sich die Unterlippe. Ich drehe ihm den eingezogenen Daumen aus und gieße Wasser auf seine Stirn.

      Ich führe ihn in seine Hütte zurück. Dort fällt er erschöpft auf das Moos und sinkt in einen tiefen Schlaf. Es muß was geschehen, um das Kind zu retten. Wie, wenn ich es zu mir nähme, sein Vater und sein Bruder wäre, es zähmte und leitete nach meinen Kräften, es unterrichtete und zur Arbeit anhielte und in aller Weise seine Leidenschaft zu töten suchte?

      Etwan hat der Knabe doch zuviel Blut... meinen die Leute.

      Hundstage 1817

      Der Sturmhanns hat ein Hündlein, ein gar possierlich Tier, weiß recht klug dreinzuschauen und freundliche Augen zu machen und anhänglich schweifzuwedeln, daß man meint, man müsse es frei liebhaben wie ein Menschenkind. Und da ich ihm in die Nähe gekommen bin – schwapp! hab' ich eins in den Waden. – Wie dieser Hund, so sind auch die Hundstage. Das ist ein Glitzern und Sonnenleuchten des Morgens und ein Vogelzwitschern, und alle Blumen heben ihre Köpflein zur Höhe und grüßen und lachen dich an. Und die Sonne streichelt dich und küßt dich, und die Sonne umarmt die Welt mit glühender Lieb' – wer wollte da nicht hinausstreichen in den wohligen Schatten der Wälder? Du wandelst frei dahin und schauest zur grünen Erde und denkst: du lieber, du holder Tag! – Da sind auf einmal die finsteren Wolken über dir und der Sturm reißt dir den Hut vom Haupt und der Regen schlägt dir rasend ins Gesicht – birg dich rasch – es kommt auch Eis gesaust.

      Die Hundstage. Kann denn auch die Natur untreu sein? Der Mensch ist's, der ihr Böses zeiht, weil sein Denken unvernünftig und seine Weisheit mangelhaft ist. Es gibt nichts Böses und nichts Gutes, außer in dem Herzen des einen Wesens, dem der freie Wille gegeben ist.

      Wenn wir uns den freien Willen abstreiten könnten, dann wären wir alles Gewissens los. Im Walde gibt es manchen, dem das recht wäre.

      Am Jakobitag 1817

      Heute bin ich wieder im Hinterwinkel, im Hause des Mathes gewesen. Das Weib ist trostlos. Seit zwei Tagen ist der Knabe Lazarus verschwunden.

      Das Schreckliche ist geschehen. In seinem Jähzorn hat er einen Stein nach der Mutter geschleudert. Als das geschehen, hat er einen grausen Schrei getan und ist davongegangen.

      Auf der Grabstätte des Mathes hat man gestern frische Spuren zweier Knie entdeckt.

      Wir haben Leute aufgeboten, daß sie den Knaben suchen. In einer der Hütten ist er nicht. Es wird auch an den Abgründen und Bächen nachgespürt.

      »Er hat mich nicht treffen wollen!« jammert die Mutter, »und das ist ein kleiner Stein gewesen, aber auf dem Herzen liegt mir ein großer. Einen größeren hätt' er nimmer nach mir schleudern mögen, als daß er davon ist.«

      Drei Tage später

      Keine Spur von dem Knaben. Wohl eine andere Spur haben die Leute gefunden: große Pfoten mit vier und fünf Zehen. Wölfe und Bären gibt es in der Gegend.

      Es geht das Gerücht, drüben in den Lautergräben habe ein

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