Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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mit Tabak, halten bayerische Geldnoten über eine brennende Kerze und zünden sich damit das Rauchzeug an.

      »Will mit dem Andreas Hofer sprechen«, sage ich. Sollt' warten, heißt's, er tät gerad' regieren. Ich stelle mich an. Allerhand Leute gehen aus und ein. Ein junges Menschenpaar ist mir noch im Kopf, das ist arg verzagt, wie es eintreten soll. »Daß sie uns gerad erwischt haben müssen!« knirscht der Bursche der Maid zu, »desweg sag' ich ja allemal: Nur in keiner Hütten nit!« – »Ach, leider Gottes!« sagt sie, »und jetzt setzen sie uns den Strohkranz auf oder tun uns was anderes an, daß wir uns nimmer haben können. Der Sandwirt ist so viel gestreng.«

      Sie werden vorgerufen. Da höre ich drinnen aufbegehren: »Luderei leid' ich keine! Wer seid's denn?« – »Der und die.« – »Seid's nit etwan blutsverwandt?« – »Ah, das nit.« – »Habt's euch wirklich gern?« – »Freilich wohl.« – »Auf der Stell' z'sammheiraten!«

      Ich habe meiner Tage nicht so viel lustige Gesichter gesehen als die gewesen, womit das junge Menschenpaar jetzund ist heraus und davongelaufen. Die sind arm allzwei, und dennoch' geht's so leicht. Nun komme ich daran.

      Da steht ein Mann in Hemdärmeln mit einem großmächtigen Vollbart auf: »Was willst denn?«

      »Ich will zur Wehr gehen!«

      Der bärtige Mann – es ist der Hofer über und über – schaut mich an, und nicht allzu laut sagt er: »Bist gleichwohl noch recht Jung. Hast Vater und Mutter?«

      »Nimmermehr.«

      »Bist vom Land Tirol?«

      »Nicht, aber gleich von der Nachbarschaft her.«

      »Wohl ein Studiosus? Willst Geistlich werden?«

      »Zur Wehr möcht' ich gehen und fürs Vaterland streiten.«

      Nun greift er in den Ledergurt, zieht Silbergeld heraus, legt's auf den Tisch: »Da Bursche, Gott gesegnet; magst nach Wien gehen und dich beim Karl werben lassen. Bist ein unerfahrener Mensch. Bist auch unser Landsmann nicht.«

      Ich mach' meine Begrüßung und will mich kehren.

      »He da!« ruft er mir nach, schiebt mir das Silbergeld vor.

      »Ich sage meinen Dank. Das Geld brauch' ich nicht.«

      Jetzund, wie ich das gesagt, hebt dem Mann das Aug' an zu glühen: »Das ist wacker, das ist brav«, ruft er. »Kannst schreiben? Brauch' einen Schreiber, der eine gute Schrift und ein gutes Gewissen hat.«

      »Mein Gewissen ist auch für einen Soldaten gut genug«, sage ich finster.

      »He, Seppli!« ruft drauf der Hofer, »weis' dem Mann Messer und Stutzen bei! – Schau, das ist brav!« er preßt mir die Hand, »Arbeit werden wir schon kriegen, selbander.«

      Ich bin Kriegsmann, Tirolerschütz'. Arbeit hat es bald gegeben.

      Die Franzosen und die Bayern und etwan auch die Österreicher hinten haben es nicht gelitten, daß in der Burg zu Innsbruck ein Bauer sollt' König sein. Mit Haufen ist der früher von den Tirolern dreimal geschlagene Feind eingebrochen ins Land. Der Stutzen ist mir besser in die Hand gegangen, als ich vermeint. All Vergangenes hab' ich vergessen, nur meinen Freund Heinrich hätt' ich an der Seit' mögen haben gegen den Feind. Eine welsche Fahne hab' ich genommen, und wie ich die zweit' will holen, haben sie mich ertappt. Drei bärtige Franzosen haben mir wütendem Knaben lachend das Wehrzeug abgenommen... Gefangen haben sie mich dann davongeschleppt, durch das Bayern- und Schwabenland hinein in das Frankenreich.

      Ich mag die Zeit nicht wieder beschreiben. Eine Hundenot ist es gewesen. Eine Hundenot, nicht weil ich drei Jahr' lang gelegen bin in der Gefangenschaft eines fremden Landes, sondern weil ich ein Empörer gegen mein eigen Land. Gegen unseres Kaisers Willen – hat es geheißen – hätten sich die Tiroler erhoben, denn von seiner Hand seien sie den Bayern zugeteilt gewesen. Deutsche Landsleute selber haben es gesagt, und so ist mein Herzensunglück angegangen. – Anstatt ein Heldenwerk hast du eine böse Tat vollführen helfen, Andreas; als Empörer liegst du in Ketten.

      Von einem großen Feldzug nach Rußland und ins Morgenland hinein wird gesprochen. Selbunter werde ich, wie viele andere meiner Landsleute, frei. Viele andere haben der Heimat zugestrebt. Ich weiß von einer Heimat nichts; darf nichts wissen. Blutarme Narren, wie ich einer bin, sind in der Heimat übler daran als anderswo. Und als Empörer, der ich nun bin, kehre ich schon gar nicht heim. Ich will das arge Fehl sühnen, daß ich gegen den großen Feldherrn rechtlos die Waffen geführt, ich will mit seinen Scharen ziehen, um die Völker des Morgenlandes befreien und der Hut des Abendlandes unterordnen zu helfen. – Ein großes Ziel, Andreas, aber ein weiter Weg! Die Deutschen haben uns den Weg schwer gemacht, aber der Feldherr ist wie ein Blitz hingefahren in die zerrissenen Völkerfetzen, die keinen großen Gedanken gehabt und keine große Tat. Und das Heer der Russen haben wir vor uns hingeschoben über die wilden Steppen und endlosen Schneeheiden, viele Wochen lang. Aber zu Moskau hat der Russe den Feuerbrand geschleudert zwischen sich und uns, mitten in seine eigene Hauptstadt hinein. – Jetzund stehen wir tief im Lande des ewigen Winters und sind ohne Halt und Stätte und Mittel. Mensch und Schöpfung allmitsamt ist unser Feind gewesen. Da hat's der Feldherr gesehen, es geht bös' in die Brüch', und wir haben uns zur Umkehr gewendet. – Ach großer Gott! Die weiten Sturmwüsten, die hundert Eisströme, die unendlichen Schneefelder, die gewesen sind zwischen uns und dem Vaterland! – Wer marschieren kann und seine erstarrten Beine mag abschleifen bis auf die Knie; wer dem sterbenden Gefährten den letzten Fetzen vom Leib mag reißen, um sich selber zu decken; wer das warme Blut will saugen aus seinen eigenen Adern und das Fleisch von gefallenen Rossen und getöteten Wölfen will verzehren; wer mit den Decken des Schnees sich kann erwärmen und mit den Wellen des Wassers und mit den Schollen des Eises versteht zu ringen, und obendrein den Schreck und den Gram und die Verzweiflung weiß zu besiegen – vielleicht, daß er seine Heimat sieht.

      Erstarrt wie mein Leib ist meine Seel' und mein Gedanken – in einer Wildnis, unter den schneebelasteten Ästen einer Tanne bin ich liegengeblieben...

      Ein räucherig Holzgelaß und ein lebendig Feuer und ein langbärtiger Mann und ein braunfärbig Mädchen haben mich umgeben, als ich erwacht bin auf einem Lager von Moos. Eine Pelzhaut ist auf meinem Körper gelegen. Draußen hat es getost wie ein Wasser oder wie ein Sturm. – Das sind gute, freundliche Augen gewesen, die aus den zwei Menschen mich angeschaut haben. Der Mann hat des Feuers gepflegt; das Mädchen hat mir Milch in den Mund geflößt. In ihrer rauhen Sprache haben sie Worte gewechselt; ich hab' kein einziges verstanden. An Heinrich habe ich gedacht, an den lieben Laut seiner Worte... Mein Leib hat mich geschmerzt; der Mann hat ihn in ein nasses Tuch geschlagen. Das Mädchen hat mir ein kleines Kreuz mit zwei Gegenbalken vor die Augen gehalten und dabei etwas gemurmelt wie ein Gebet. – Sie betet den Sterbesegen, Andreas!

      Du liebes Freundeshaus in Feindesland, was in dir weiter mit mir gewesen ist, das weiß ich nicht mehr zu denken. Das braune Mädchen hat seine Hand oftmals an meine Stirne gelegt. Wär's dazumal dazu gekommen, es wär' ein schönes Sterben gewesen. Es hat sich anders zugetragen. Noch heute hör' ich den Schlag, der die Hüttentür hat zertrümmert. Kriegsgefährten sind eingedrungen, haben den alten Mann mißhandelt und das braunfärbige Mädchen von meinem Lager gestoßen. Mich haben sie davongetragen, hin durch den Sturm und hin durch die Wildnisse – dem Heere nach.

      Mir aber ist gewesen, als täten sie mich schleppen aus der Heimat fort... Gottes ist die Welt überall. Aber die Gefährten haben mich nicht zurückgelassen; das hat mich doch wieder im Herzen gefreut. Fest und treu will ich sein, will zu ihnen halten und meinem großen Feldherrn dienen.

      Am Rhein bin ich genesen.

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