Anne & Rilla - Zum ersten Mal verliebt. Lucy Maud Montgomery
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Читать онлайн книгу Anne & Rilla - Zum ersten Mal verliebt - Lucy Maud Montgomery страница 6
„Du wirst eine Menge Tanzpartner haben. Alle Jungen aus Overharbour kommen herüber. Es werden sehr viel mehr Jungen sein als Mädchen.“
„Bin ich froh, daß ich keine Pfarrerstochter bin“, lachte Rilla. „Die arme Faith ist so wütend. Sie wird es wohl kaum wagen, heute abend zu tanzen. Una ist es egal. Die macht sich nichts aus Tanzen. Irgend jemand hat zu Faith gesagt, wer nicht mittanzen darf, der darf sich dafür in der Küche Toffees machen, da hätten Sie mal ihr Gesicht sehen sollen! Wahrscheinlich wird sie mit Jem den ganzen Abend draußen auf den Felsen hocken. Übrigens, wissen Sie, daß wir uns alle an dem kleinen Bach unterhalb von unserem Traumhaus treffen und dann zum Leuchtturm hinübersegeln? Ist das nicht absolut himmlisch?“
„Als ich fünfzehn war, habe ich auch so geschwärmt wie du“, sagte Miss Oliver mürrisch. „Für euch junge Leute wird die Party bestimmt ganz lustig. Aber ich werde mich dort langweilen. Keiner von den Jungen wird sich die Mühe machen und mit so einer alten Jungfer wie mir tanzen. Jem und Walter werden mich vielleicht einmal auffordern, aber nur aus Mitleid. Und zum Reden werde ich auch niemanden haben. Also kannst du wohl kaum von mir erwarten, daß ich deine rührende Begeisterung teile.“
„Aber als Sie das erste Mal auf eine Party gingen, hat Ihnen das keinen Spaß gemacht, Miss Oliver?“
„Nein. Es war schrecklich. Ich war so schäbig angezogen und so hausbacken, daß niemand mich zum Tanzen aufgefordert hat, bis auf einen Jungen, der noch schäbiger aussah als ich. Er war so unbeholfen, daß ich ihn haßte, aber selbst der hat mich kein zweites Mal aufgefordert. Ich habe keine richtige Jugend gehabt, Rilla. Das ist schlimm. Deswegen wünsche ich dir eine wunderbare, glückliche Jugend. Und ich hoffe, daß du später mit Freuden an deine erste Party zurückdenkst.“
„Heute nacht habe ich geträumt, ich wäre auf der Tanzparty gewesen und hätte mittendrin plötzlich gemerkt, daß ich meinen Schlafanzug und meine Hausschuhe anhabe“, seufzte Rilla. „Da bin ich vor Schreck aufgewacht.“
„Apropos Traum. Ich habe einen komischen Traum gehabt“, sagte Miss Oliver nachdenklich. „Es war einer dieser sehr lebhaften Träume, die ich manchmal habe. Nicht so ein Wirrwarr wie die üblichen Träume, die man so hat, sondern klar und deutlich wie die Wirklichkeit.“
„Was haben Sie denn geträumt?“
„Ich stand hier auf der Verandatreppe und ließ meinen Blick über die Felder von Glen schweifen. Plötzlich sah ich weit draußen eine breite, silbrig glitzernde Welle, die sich langsam über die Felder ergoß. Das Wasser kam näher und näher. Es waren lauter kleine weiße Wellen, wie sie manchmal an den Strand gespült werden. Ganz Glen wurde nach und nach verschluckt. Ich dachte noch: Die Wellen werden doch wohl nicht bis Ingleside herankommen? Aber sie kamen immer näher, ganz schnell. Bevor ich aufstehen konnte, hatten sie schon meine Füße erreicht. Und alles war weg, nur noch ein aufgewühltes Meer war dort, wo vorher Glen gewesen war. Ich versuchte zurückzuweichen. Dabei sah ich, daß der Saum meines Kleides blutgetränkt war. Und da wachte ich endlich auf – und zitterte. Der Traum gefällt mir nicht. Er hat irgendeine schlimme Bedeutung. Solche lebhaften Träume sind bei mir bisher immer, ‚wahr‘ geworden.“
„Na, hoffentlich bedeutet er nicht, daß sich heute abend ein Sturm zusammenbraut und die Party ins Wasser fällt“, murmelte Rilla besorgt.
„Du unverbesserlicher Kindskopf!“ sagte Miss Oliver trocken. „Nein, Rilla-meine-Rilla, mit so etwas Schlimmem brauchst du wohl nicht zu rechnen.“
Seit einigen Tagen herrschte auf Ingleside eine unausgesprochene Spannung. Nur Rilla bemerkte vor lauter Aufregung nichts davon. Gilbert machte ein ernstes Gesicht und sprach wenig, wenn er die Zeitung las. Jem und Walter waren höchst interessiert an den Neuigkeiten, die darin standen. An diesem Abend kam Jem aufgeregt zu Walter gelaufen.
„Hast du gehört, Deutschland hat Frankreich den Krieg erklärt! Das bedeutet, daß England wahrscheinlich beteiligt sein wird. Und wenn dem so ist, na, dann kommt der Pfeifer aus deinem alten Traum wohl doch noch zum Zuge.“
„Das war kein Traum“, sagte Walter versonnen. „Das war eine Vorahnung, eine Vision. Jem, ich habe ihn damals wirklich einen Augenblick lang gesehen! Was ist, wenn England wirklich mitkämpft?“
„Na, dann werden wir wohl helfen müssen!“ rief Jem erfreut. „Wir können doch nicht die ‚alte graue Mutter des Nordmeeres‘ im Stich lassen, oder? Aber du kannst sowieso nicht mitmachen. Der Typhus hat schon dafür gesorgt. Schade, oder?“
Walter gab keine Antwort. Er blickte nachdenklich hinaus auf das glitzernde blaue Meer am Horizont.
„Wir sind die Abkömmlinge. Wir müssen mit Händen und Füßen kämpfen, falls es zu einem Familienkrach kommt“, redete Jem munter weiter und fuhr sich mit seiner starken, feinnervigen Hand durchs Haar, die Hand des geborenen Chirurgen, wie sein Vater oft dachte. „Das wäre doch ein Abenteuer! Aber wahrscheinlich werden Grey oder ein paar andere von diesen alten, besonnenen Burschen kurz vor Toresschluß die Dinge schlichten. Aber es wäre schon eine Schande, wenn sie Frankreich im Stich ließen. Wenn nicht, dann kann es heiter werden. So, wir sollten uns langsam für die Leuchtturmparty fertigmachen.“
Damit ging Jem fröhlich pfeifend hinaus, während Walter noch eine ganze Weile regungslos dastand. Er machte ein ernstes Gesicht. Das alles war über ihn hereingebrochen wie eine schwarze Gewitterwolke. Vor wenigen Tagen hatte noch kein Mensch an so etwas gedacht. Es war auch unsinnig, jetzt daran zu denken. Irgendeinen Ausweg würde man doch finden! Krieg – das war doch etwas ganz Entsetzliches. So etwas Entsetzliches konnte doch unmöglich im zwanzigsten Jahrhundert unter zivilisierten Völkern vorkommen! Der Gedanke allein war schon entsetzlich und machte Walter ganz unglücklich. Das Leben mit all seiner Schönheit stand auf dem Spiel. Er würde einfach nicht daran denken, den Gedanken aus seinem Gehirn ausschalten. Wie schön die reifen Getreidefelder von Glen aussahen, die laubenähnlichen alten Gehöfte, die Heu wiesen und stillen Gärten! Der Himmel sah im Westen aus wie eine große goldene Perle, und weit draußen senkte sich der Mondschein auf den Hafen herab. Die Luft war angefüllt mit den wohlklingendsten Tönen: dem Pfeifen der schläfrigen Rotkehlchen, dem traurigen, sanften Murmeln des Windes in den schattenhaften Bäumen, dem Rascheln der Zitterpappeln, die einander zuwisperten und ihre zierlichen, herzförmigen Blätter schüttelten, und dem fröhlichen Lachen aus den Fenstern, hinter denen sich die Mädchen auf die bevorstehende Tanzparty vorbereiteten. Die Welt war so voller unglaublich lieblicher Klänge und Farben! Nur daran wollte er denken und sich mit ganzem Herzen daran erfreuen. Von mir wird sowieso niemand erwarten, daß ich gehe, dachte er. Wie Jem schon sagte, der Typhus hat dafür gesorgt.
Rilla lehnte sich aus ihrem Zimmerfenster, bereit zum Ausgehen. Ein gelbes Stiefmütterchen löste sich aus ihrem Haar und fiel wie ein goldener Stern über das Fensterbrett hinaus. Sie versuchte vergeblich, es noch zu erhaschen. Aber es waren noch genug andere übrig. Miss Oliver hatte ihrem kleinen Liebling einen Blumenkranz fürs Haar geflochten.
„Ist es nicht herrlich ruhig und still? Es wird ein wunderbarer Abend werden. Hören Sie doch mal, Miss Oliver! Die alten Glocken im Regenbogental, ich höre sie ganz deutlich! Seit mehr als zehn Jahren hängen sie nun schon dort.“
„Ihr Windspiel erinnert mich immer an die überirdische Musik, die Adam und Eva in Miltons Paradise lost hörten“, sagte Miss Oliver.
„Wir hatten soviel Spaß im Regenbogental, als wir noch Kinder waren“, sagte Rilla verträumt.
Jetzt spielte niemand mehr im Regenbogental: keine Meredith-Kinder mehr und keine Blythe-Kinder. Im Sommer war es abends ganz still dort. Walter ging gern dorthin, um zu lesen. Jem und Faith trafen sich oft dort, und Jerry und Nan führten im Regenbogental endlose Diskussionen über irgendwelche