Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band. Оноре де Бальзак
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Die Vicomtesse war seit drei Jahren mit einem der bekanntesten und reichsten portugiesischen Adligen, dem Marquis d'Ajuda-Pinto, liiert. Es war eine jener unschuldigen Verbindungen, die für die Beteiligten so viele Reize haben, daß sie die Gegenwart eines Dritten nicht ertragen können. So hatte denn der Vicomte de Beauséant selbst der Gesellschaft ein gutes Beispiel gegeben, indem er, freiwillig oder unfreiwillig, diese morganatische Verbindung respektierte. Die Besucher, die in den ersten Tagen dieser Freundschaft die Vicomtesse um zwei Uhr aufsuchten, trafen stets den Marquis d'Ajuda-Pinto an. Madame de Beauséant konnte ihre Tür nicht verschließen, denn das wäre unpassend gewesen, aber sie empfing die Besucher so kühl, und sie starrte so angelegentlich auf den Hof, daß jeder merkte, wie lästig er fiel. Als man in Paris wußte, daß Madame de Beauséant durch einen Besuch zwischen zwei und vier Uhr belästigt würde, wagte sich um diese Zeit niemand zu ihr. Sie ging in die Oper oder ins Bouffontheater in Begleitung des Herrn de Beauséant und des Herrn d'Ajuda-Pinto, aber als Mann von Welt verließ Monsieur de Beauséant stets seine Frau und den Portugiesen, sobald sie ihre Plätze eingenommen hatten. Herr d'Ajuda stand vor seiner Heirat. Er sollte ein Fräulein de Rochefide heimführen. In der ganzen großen Gesellschaft gab es nur eine einzige Persönlichkeit, die von dieser Heirat nichts wußte: Madame de Beauséant. Einige ihrer Freundinnen hatten ihr dunkle Andeutungen gemacht. Sie lachte darüber und glaubte, man wollte damit nur ihr Glück stören. Unterdes wurde das Aufgebot vorbereitet, aber der schöne Portugiese, der der Vicomtesse die bevorstehende Heirat ankündigen wollte, hatte noch immer kein Sterbenswörtchen davon verlauten lassen. Weshalb? Sicher ist nichts schwerer, als einer Frau ein derartiges Ultimatum zu stellen. Mancher Mann steht lieber auf freiem Feld einem Gegner gegenüber, der ihn mit dem blanken Degen bedroht, als etwa einer Frau, die zwei Stunden lang elegisch schluchzt, um dann ohnmächtig zu werden und Riechsalz zu verlangen. So saß in diesem Augenblick Herr d'Ajuda-Pinto wie auf Kohlen und wollte sich verabschieden, denn er sagte sich, daß Madame de Beauséant die Nachricht schon irgendwie erfahren, daß er ihr schreiben würde, daß es bequemer sei, diesen galanten Mord schriftlich als mündlich zu vollziehen. Als der Diener der Vicomtesse Eugen de Rastignac meldete, fiel Herrn d'Ajuda-Pinto ein Stein vom Herzen. Aber eine verliebte Frau ist noch feinfühliger in ihren Zweifeln als in der Entdeckung neuer Freuden. Wenn sie verlassen werden soll, so errät sie die Bedeutung einer Geste schneller als jenes Rennpferd Virgils die Liebe, die in der Ferne verheißungsvoll winkt.
So war Madame de Beauséant dieses freudige Auffahren ihres Freundes nicht entgangen, das für sie ein naives, aber ebenso bestürzendes Bekenntnis enthielt. Eugen wußte noch nicht, daß man sich in Paris bei niemandem präsentieren darf, wenn man sich nicht zuvor von den Freunden des Hauses die Geschichte des Gatten, der Frau und der Kinder hat erzählen lassen. Andernfalls läuft man Gefahr, Dummheiten zu begehen, von denen man in Polen so hübsch sagt: Spannen Sie fünf Ochsen vor Ihren Wagen! (Offenbar um sich aus der Patsche, in die man geraten ist, herausziehen zu lassen.) Wenn es für solche gesellschaftliche Entgleisungen in Frankreich noch keine Bezeichnung gibt, so ist dies wohl dadurch zu erklären, daß man sie in Anbetracht der allgemeinen Verbreitung solcher Klatschgeschichten für unmöglich hält. Nachdem Eugen bei Madame de Restaud seinen Karren so in den Dreck gefahren hatte, daß ihm nicht einmal Zeit blieb, seine fünf Ochsen anzuspannen, war er ganz der geeignete Mann, um seinen Beruf als Karrentreiber bei Madame de Beauséant fortzusetzen. Aber wenn er Madame de Restaud und Monsieur de Trailles in Verlegenheit gebracht hatte, zog er hier Herrn d'Ajuda-Pinto aus einer unangenehmen Lage.
»Auf Wiedersehen«, sagte der Portugiese, der sich eilig zur Tür zurückzog, als Eugen in den kleinen koketten Salon in Grau und Rosa eintrat, dessen Luxus sich nur als schlichte Eleganz gab.
»Aber doch heute abend«, sagte Madame de Beauséant, indem sie sich umwandte und den Marquis scharf ansah. »Gehen wir nicht ins Theater?«
»Ich kann nicht«, sagte er, den Türknopf fassend.
Madame de Beauséant erhob sich und rief ihn zu sich zurück, ohne im geringsten Eugen zu beachten, der vom Glanz dieses fabelhaften Reichtums geblendet war. Alle arabischen Märchen schienen ihm Wirklichkeit geworden, und er war so verwirrt, daß er nicht wußte, wohin er sich vor dieser Frau, die ihn nicht beachtete, verkriechen sollte. Die Vicomtesse hatte den Zeigefinger ihrer rechten Hand erhoben und wies mit einer Geste dem Marquis von neuem einen Platz ihr gegenüber an. In dieser Gebärde lag so viel von der wilden Despotie der Leidenschaft, daß der Marquis den Türknopf fahren ließ und näher kam. Eugen betrachtete ihn nicht ohne Neid.
Das ist also der Mann mit dem eleganten Kupee! sagte er sich. Aber muß man denn rassige Pferde, Livreen und Gold in Strömen besitzen, um von einer Pariserin eines Blickes gewürdigt zu werden?
Der Dämon des Luxus nagte ihm am Herzen, ein fieberndes Verlangen nach Gewinn ergriff ihn, der Durst nach Gold trocknete ihm die Kehle. Er hatte noch 130 Francs für sein Semester. Sein Vater, seine Mutter, seine Brüder, seine Schwestern und seine Tante gaben zusammen im Monat noch keine 200 Francs aus. Dieser schnelle Vergleich zwischen seiner gegenwärtigen Lage und dem Ziel, das es zu erreichen galt, machte ihn vollends verwirrt.
»Warum ›können‹ Sie nicht ins Theater kommen?« fragte die Vicomtesse den Portugiesen lächelnd.
»Geschäfte! Ich diniere beim englischen Botschafter.«
»Sie werden absagen.«
Wenn ein Mann zu täuschen sucht, so ist er unvermeidlich gezwungen, Lügen auf Lügen zu türmen. Herr d'Ajuda sagte lachend:
»Sie fordern das?«
»Ja, gewiß!«
»Das hatte ich nur hören wollen«, antwortete er, indem er ihr einen Blick zuwarf, der jede andere Frau beruhigt hätte.
Er küßte der Vicomtesse die Hand und entfernte sich.
Eugen strich sich durch die Haare und bemühte sich, seine Verbeugung anzubringen, in der Hoffnung, sie würde schließlich an ihn denken. Da erhob sie sich plötzlich, eilte in das Vorzimmer und ans Fenster und verfolgte mit ihren Blicken Herrn d'Ajuda, hörte, wie der Jäger dem Kutscher wiederholte:
»Zu Herrn de Rochefide!«
Diese Worte und die Art, wie Herr d'Ajuda sich in die Kissen warf, wirkten wie Blitz und Donner auf die Frau, die die furchtbarsten Ahnungen überkamen. Die schrecklichen Katastrophen der großen Gesellschaft vollziehen sich meist ähnlich. Die Vicomtesse ging in ihr Schlafzimmer, setzte sich an einen Sekretär und nahm einen Bogen ihres eleganten Briefpapiers.
»Da Sie bei Rochefide dinieren«, schrieb sie, »und nicht beim englischen Botschafter, schulden Sie mir eine Erklärung. Ich warte auf Sie!«
Nachdem sie einige Buchstaben verbessert hatte, die durch das Zittern ihrer Hand undeutlich geworden waren, unterzeichnete sie mit einem C, das »Claire de Bourgogne« bedeutete, und klingelte.
»Jacques«, sagte sie zu dem Kammerdiener, der sofort eintrat. »Sie gehen um halb acht Uhr zu Herrn de Rochefide und verlangen dort den Marquis d'Ajuda. Wenn der Marquis anwesend ist, so übergeben Sie ihm dieses Billett, ohne auf Antwort zu warten. Wenn er nicht dort ist, bringen Sie mir den Brief zurück.«