Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff
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Und jetzt nahm sie Berner ins Gebet; zuerst setzte er die Daumenschrauben des Spottes an, dann untersuchte er die vermeintliche Herzenswunde seines Gold-Idchens mit der langen Sonde des väterlichen Ernstes, indem er ihr vorwarf, sehr unklug getan zu haben, ihre Residenzliebhaber mit nach Freilingen zu nehmen. Sie aber lachte dem Ratgeber, welcher meinte, seine Sache recht gut gemacht und sie ganz im Netz zu haben, ins Gesicht und witschte ihm aus.
»Sie geben sich vergebliche Mühe, Hofrätchen«, kicherte das lose Ding, »ganz vergebliche Mühe, ich habe diesen Menschen in meinem ganzen Leben, auf Ehre, noch nie gesprochen; doch gesehen«, setzte sie, ernster werdend, hinzu, »gesehen habe ich ihn, und deswegen kam ich auch vorhin etwas in Verlegenheit.«
»Was da! zwischen sehen und sehen ist ein großer Unterschied«, antwortete Berner mit einem völlig ungläubigen Kopfschütteln; »da müssen Sie ihm doch ein wenig gar scharf in die Augen gesehen haben?«
»So hören Sie mich doch, Sie böser Mann!« unterbrach ihn Ida, »wer wird denn auch gleich auf den Schein hin verdammen; ich sage noch einmal, ich weiß nicht, wer er ist, aber das innigste Mitleid habe ich mit ihm. Als wir gestern durch den Lanzinger Wald kamen, fuhren wir einer Equipage vor, die ganz langsam im Schritt hinging. Es war ein prachtvoller Landau mit einem großen Bock, worauf ein alter Diener in reicher Livree saß; am Wagen zogen vier Postpferde; das Dach war zurückgeschlagen, und es saß niemand darin, als ein großer Hund. Sie wissen wie man auf der Reise ist, man interessiert sich um die Mitreisenden, besonders wenn man glaubt, auf einerlei Station mit ihnen zu wohnen oder zu speisen. So dachte ich mir jetzt, die Reisenden, denen der Wagen gehört, seien vorausgegangen, und lassen ihn langsam nachfahren. Ich sah daher alle Augenblicke aus unserm Wagen, ob ich noch keine reisenden Engländerinnen oder Französinnen gewahr werden konnte, aber immer vergebens. Endlich, als wir um eine Waldecke bogen, sah ich auf einmal einen Mann, der unter einer Eiche saß und zu dem Wagen gehören mußte.«
»Und war es derselbe, der dort an der Säule steht?« fragte der Hofrat.
»Derselbe; er war auch ganz schwarz gekleidet wie jetzt, sein Hut lag neben ihm im Gras, seinen Kopf stützte er in die hohle Hand. Das Geräusch unseres Wagens, der jetzt, weil es bergauf ging, auch langsam fuhr, schien ihn aufzuschrecken; ohne aufzusehen, ging er mit gesenktem Haupt bis an unsere Wagentüre. Da richtete er sich auf, und Sie können sich meinen Schrecken denken, Hofrat, als ich das nämliche geisterbleiche Gesicht sah, das auch Ihnen aufgefallen ist. Er mußte heftig geweint haben, denn Tränen hingen in den langen schwarzen Wimpern und gaben dem glühendschwarzen, sinnigen Auge einen ganz eigenen Reiz!«
»So, so? einen ganz eigenen Reiz!« antwortete lächelnd der Hofrat, »wer hat denn meinem Mädchen erlaubt, über Männeraugen Betrachtungen anzustellen? Hat Sie das auch bei Madame La Truiaire in der Residenz gelernt?«
Das lustige Amorettenköpfchen, das sich da, es wußte nicht wie, verbebbert hatte, schlug die Augen nieder und sagte: »Legen Sie nicht alles so bös aus, Bernerchen, Sie verstanden ja doch sonst Ihre Ida nicht immer falsch.
Sehen Sie, was die Augen betrifft, da habe ich nun einmal meinen eigenen Geschmack. Schöne blaue oder schwarze Augen, mitunter auch recht glänzendbraune sehe ich an jedermann gern. Daher sind mir auch alle junge Herren so zuwider, weil sie selten schöne Augen haben; sie haben ihnen durch die Lorgnetten, Brillen und Gott weiß durch was sonst den schönsten Glanz benommen und stieren uns an wie gestochene Böcke; desto mehr freue ich mich, wenn ich einmal eine solche Ausnahme treffe. Eine ganz eigene Freude macht mir auch das Aufschlagen der Augen, das man unter Tausenden kaum einmal so recht anmutig, sinnig, und, wie man es gerne haben möchte, trifft. Beides sah ich nun an dem Fremden, darum hatte er mir auch so ge–«
Da hatte sich das schnelle Schnäbelchen schon wieder verplappert! der Hofrat horchte noch immer, aber Idchen blieb still, biß die Lippen zusammen und spielte mit dem Amethystkreuz am Kollier, das unter dem Tanzen sich zwischen den Schneehügeln hinabgeschoben hatte und ganz glühend heiß geworden war.
»Ei, ei!« warnte der Hofrat, »ich habe da in zwei Minuten Dinge gehört, wovor einem die Haut schaudern könnte; nimm dich um Gottes willen in acht, Kind, wenn du deine Augenbeobachtungen anstellst; ich weiß es aus meiner Jugend, daß in gewissen Augen Häkchen sitzen, die uns, wenn man allzu tief schaut, festhalten, daß an kein Entrinnen zu denken ist; hast du nie etwas von der Augensprache gehört?«
»Doch«, entgegnete der kleine Übermut, »ich glaube sie auch zur Not zu verstehen.« –
»Ist gar nicht vonnöten; man spricht sie zwar vom Rhein bis zum Mississippi, vom Don bis zum Ohio, lerne aber nie mehr, als etwas kauderwelsch parlieren; denn wer sich so gar geläufig ausdrückt und mit zwanzig zumal in dieser Sprache spricht, gilt nicht mit Unrecht für eine Erzgeneralkokette.«
»Nun für eine solche werden Sie mich doch nicht halten«, sagte Ida etwas empfindlich.
»Dazu kenne ich mein süßes Mädchen zu gut«, entgegnete der Hofrat traulich und drückte ihr das weiche Samthändchen. »Was aber den bleichen Patron dort drüben betrifft, so kann er über allerlei geweint haben; er kann zum Beispiel seine Mutter, seine Schwester, oder gar sein Mädchen verloren haben.«
»Meinen Sie?« antwortete Ida gedehnt und unmutig; »doch nein! da würde er ja nicht auf den Ball gehen«, setzte sie freudig hinzu; »da würde er zu Haus trauern und nicht die Freude aufsuchen.«
»Oder«, fuhr jener fort, »es gingen ihm vielleicht seine Wechsel aus und er hat im Augenblick kein Geld, um seine Reise weiter fortzusetzen.«
»Nicht doch«, fiel sie ein, »wie mögen Sie nur diesem interessanten Gesicht einen so gemeinen Kummer andichten. Sieht er nicht nobler aus, als alle unsere Assessoren, Lieutenants und so weiter zusammen, und er sollte mit vier Postpferden in einem herrlichen Landau fahren, und weinen, weil er kein Geld hat? Pfui!«
»Ei, wie sich der kleine Advokat vereifert und verdisputiert; das Mäulchen geht ja, als sollte es einen Prozeß vor den Assisen führen! Übrigens wollen wir bald sehen, wer der Patron ist; habe ich doch den Ball arrangiert und daher auch das Recht, Fremden, die sich eindrängen, auf den Zahn zu fühlen.«
»Nun ja, tun Sie das, liebes Hofrätchen; aber ja recht artig und delikat«, setzte das errötende Mädchen mit den süßesten Schmeichelworten hinzu: »wer so tiefen Kummer hat, wie jener zu haben scheint, muß unter Fremden wie unter Freunden zart behandelt werden!«
Der Fremde
Unterdessen hatten sich mehrere Herren an Berner gewendet, um zu erfahren, wer der Fremde sei; allen war es aufgefallen, wie er schon seit einer Stunde sich nicht vom Platz bewegte und an seine Säule gelehnt, so wenig Interesse an dem glänzenden Ball zu nehmen schien. Der Hofrat ging zu ihm hin und kehrte bald zurück; »Wer ist es, wie heißt er«, fragten zehn, zwanzig zumal, »was hat er gesprochen?«
»Nichts hat er gesprochen«, antwortete Berner, »sondern mir nur diese Karte gegeben.«
Die Karte ging jetzt von Hand zu Hand, es war aber nichts darauf zu sehen, als ein schön gestochenes Wappen und der Name Emil, Comte de Martiniz. »Ein Graf also?« Die Neugierde war nur halb gestillt, die Freilinger, denen die Erscheinung eines fremden Grafen auf ihren Bällen etwas Seltenes sein mochte, gingen kopfschüttelnd umher; sie hätten gar zu gerne gewußt,