Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff
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Walzer um Walzer waren getanzt, noch immer stand die fremde, gebietende Gestalt unbeweglich an die Säule gelehnt. Es war, als hätte er sich nur in Schwarz und Weiß geteilt und kenne keine andere Farbe. Sein Haar, sein Auge war so dunkel als das feine, glänzende Tuch seines Kleides, das blendend bleiche Gesicht, wunderschöne Wäsche, welche durch ihre Weiße, durch ihre zierlichen Fältchen den Freilinger Damen schon von weitem Bewunderung einflößte, kontrastierte sonderbar mit jener dunklen Farbe; nur die feinen Lippen schmückte ein gesundes, freundliches Rot. Er schien ganz ohne Teilnahme in das bunte Gewühl hineinzustarren, aber dennoch begegnete nicht leicht einer diesem scharfen Blick, ohne das eigene Auge überrascht vor diesem furchtbaren Ernst, dieser sprühenden Glut niederzuschlagen.
Wie es aber zu gehen pflegt; die Damen fingen nachgerade an, nicht viel von dem Fremden zu halten, weil er nicht tanzte, die jungen Herren machten sich über ihn lustig und beide Teile hatten so viel an der neuen Erscheinung der wunderlieblichen Ida zu schauen, zu bekritteln, zu bewundern, daß man bald nicht mehr an jenen dachte. Nur Idas Blicke streiften öfter nach jener Säule hinüber; ein Blick zu ihm schien sie für das Geschwätz der Freilinger Stutzer, die ihr heute unendlich fade vorkamen, zu entschädigen. Doch betrachtete sie ihn immer nur von der Seite, denn wenn Auge auf Auge traf, so trieb es ihr unwiderstehlich die Glut ins Gesicht, und sie war froh, daß die Musik so laut war, denn sie meinte in solchen Momenten, man müsse ihr siedendes, glühendes Blut an ihr Herzchen pochen hören. Waren es die Tränen, die sie gestern in diesen dunklen Wimpern sah, war es der wehmütige Ernst auf seinem Gesicht, was sie so rührte, hatte der Hofrat recht mit den Häkchen, die in gewissen Augen sitzen und hatte sie zu tiefe Beobachtung angestellt und war geangelt worden und gef– nein! lächelte sie schelmisch vor sich hin, gefangen? da hat es keine Not; es ist ja nur das natürliche Mitleiden, was mich immer nach ihm hinsehen heißt!
Eilf Uhr war vorüber, es sollte noch eine Ekossaise vor dem Souper getanzt werden. Stürmisch drängten sich die Herren um das Wunderkind; aber Trotzköpfchen Ida blieb fest dabei, diesmal auszusetzen und ließ die Herren ablaufen. Der Hofrat setzte sich zu ihr und unwillkürlich waren sie wieder mitten im Gespräch über den Fremden.
»Ach, sehen Sie nur«, sagte Ida mit der himmlischen Gutmütigkeit ihres Engelköpfchens, »sehen Sie nur, ich meine, er wird zusehends immer blässer, wenn er nur nicht krank wird.« Der Hofrat fand ihre Bemerkung richtig, er zeigte ihr aber, wie dieser feste, heldenmäßige Körper nicht so leicht von einem kranken Unfall gestört werden könne; aber Ida wurde immer unruhiger, sie sah, wie Martiniz die Lippen zusammenpresse, als wolle er einen Schmerz verbeißen; der Ernst in seinem Gesicht wurde nach und nach zur Trauer, das Wehmütige, der tränenschwere Trübsinn in seinem Auge wurde immer unverkennbarer.
»O Gott, sehen Sie ihn nur an, guter Berner, ist mir doch, als sollte ich zu ihm gehen und fragen, ›was fehlt dir, daß du nicht fröhlich bist mit den Fröhlichen, wie gern wollte ich alles tun, dir zu helfen –‹«
Der Mensch denkt’s, Gott lenkt’s!!!
Auch der Hofrat wurde jetzt unruhig, denn mit einem Ruck hatte sich der bleiche Fremde aufgerafft, und stand nun in seiner ganzen Größe, in gebietender und doch graziöser Haltung da, aber sein Auge heftete sich furchtbar starrend nach der Saaltüre. Berner wollte eben aufstehen und zu ihm hin –
Da öffnete sich die Türe, ein alter, reichgekleideter Bedienter, derselbe, welchen Ida gestern gesehen, trat ein, ging auf den Fremden zu, und neigte sich schweigend vor ihm. Dieser riß eine Uhr heraus, warf einen Blick auf sie und einen zweiten voll Wehmut auf Ida herüber und verließ langsamen Schrittes den Saal.
Ehe noch der Hofrat seiner Nachbarin seine Vermutungen über diesen sonderbaren Abzug mitteilen konnte, war die Ekossaise zu Ende. Der Präsident kam und führte sein liebes, holdes, wunderherziges Töchterchen zur Tafel.
Die Kirche
Der alte Küster am Münster zu Freilingen saß in dieser Nacht, nach seiner Gewohnheit noch lange in seinem kleinen Stübchen; der Abendsegen war schon vor einer Stunde seiner Ehehälfte vorgelesen, er hatte sich jetzt hinter die alte Chronik gesetzt und las mit brummender Stimme halblaut vor sich hin, wie man den herrlichen, vierhundert Schuh hohen Münsterturm erbaut und wie solches viel Zeit und Geld gekostet habe. Eben wollte die Alte den weiß und blau gestreiften Umhang der zweischläfrigen Himmelbettlade auseinanderschlagen, um ihren Ehezärter zu ermahnen, sein gewohntes Lager zu suchen, als man stark an den Fensterladen des niedern Parterrestübchen pochte. »Macht auf, Meister Küster! seid so gut und macht auf!« rief eine tiefe aber bescheidene Stimme draußen. »Wird wohl ein Bote von einem Kranken sein«, näselte der Küster, »der die Sakramente noch will.« Er legte die Brille ins Chronikbuch, daß die Stelle nicht verblättere, denn er hatte von dem Kalk gelesen, den man mit Wein angemacht habe und hatte dabei unmutig an das Dünnbier gedacht, das seine Ursula ihm, einem Nachkommen dieser Weinmaurer, tagtäglich vorsetzte.
Draußen schob er die mächtigen Schlösser und Riegel der Haustüre auf, und herein trat ein kleiner ältlicher Mann, in reichbordiertem Bedientenrock. »Was soll’s so spät?« fragte der Küster.
»Kamerad«, antwortete der Bediente, indem er den Küster aus dem kalten Hausgang in die wärmere Stube hineinzog, »Kamerad, wollt Ihr mir und noch jemand einen Liebesdienst erweisen?« Zugleich legte er einen blanken harten Taler auf den Tisch.
Der Küster wog den Taler in der Hand, ließ ihn wieder auf den Tisch fallen, daß es einen wohllautenden Klang gab, und sagte: »Wenn’s nichts gegen Amt und Gewissen ist, warum nicht?«
»So nehmt Eure Schlüssel«, fuhr der andere fort, »und schließt die Münsterkirche auf.«
»Jetzt, in dieser Stunde?« rief der Alte mit Entsetzen; »jetzt in dieser stürmischen Nacht? geht nicht, Kamerad, so wahr ich – nein, es geht nicht, mich bringt kein Hund hinüber!«
»Beileibe«, rief die Küsterin aus dem Bette und riß den Umhang zurück, daß man das ganze Paradiesgärtlein ihres geblümten Bettes übersehen konnte, »führe uns nicht in Versuchung. Alter, laß dich nicht betören, wer weiß, was draußen lauert.«
»Hätte nicht geglaubt, daß Ihr, ein so stattlicher Mann unter dem Weiberregiment stündet«, sprach der alte Diener; »glaubt mir, es ist auch ein Gottesdienst, wenn Ihr mitgeht und bringt Euch guten Lohn.« Noch einmal wog der Küster den Taler auf der Fingerspitze und schien sich zu besinnen. »Es wird zwar gleich zwölf Uhr brummen und da ist es gar nicht geheuer drüben in der Kirche, denn ich weiß was ich weiß und habe gesehen was ich gesehen habe, aber weil Ihr sagt, es sei ein Gottesdienst, so kommt.« Indem hatte er schon die Laterne zurechtgemacht; er hing noch einen warmen Mantel um und ergriff die gewichtigen, wunderlich geformten Schlüssel.
»Ei du meine Güte! läßt er sich doch verblenden vom Mammon«, seufzte die Alte im Bette; der Küster aber trat zu ihr mit dem größten seiner Schlüssel, »Du schweigst, Ursel! der Herr da soll sehen, daß unsereiner nicht unterm Pantoffel steht«, brummte er und verließ mit dem Diener das Haus.
Die Nacht war grimmkalt, der Himmel jetzt ganz rein, nur einzelne dunkle Wölkchen tanzten im Wirbel um den Mond. Schweigend schritten die beiden durch die Nacht der Kirche zu; wenige Schritte, so standen sie am Portal des Münsters. Der Küster schrak zusammen, als dort aus dem Schatten eines Pfeilers eine hohe in einem dunkeln Mantel gehüllte Gestalt hervortrat. Es war jener Fremde, der Idas Interesse in so hohem Grade erregt hatte.
»Schließ auf, schließ auf«, sprach Martiniz, »denn es ist hohe Zeit!« Indem er sprach, fing es an zu surren und zu klappern, dumpf rollte gerade über