Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff
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Doch es sollte anders werden, vielleicht zu unserem Heil. An dem sechsten Tage unseres Freudenreiches, einem Sonntag, war unser Herr v. Natas im ganzen Gasthof nicht zu finden. Die Kellner entschuldigten ihn mit einer kleinen Reise; er werde vor Sonnenuntergang nicht kommen, aber zum Tee, zur Nachttafel unfehlbar da sein.
Wir waren schon so an den Unentbehrlichen gewöhnt, daß uns diese Nachricht ganz betreten machte, es war uns, als würden uns die Flügel zusammengebunden und man befehle uns zu fliegen.
Das Gespräch kam, wie natürlich, auf den Abwesenden und auf seine auffallende, glänzende Erscheinung. Sonderbar war es, daß es mir nicht aus dem Sinne kommen wollte, ich habe ihn, nur unter einer andern Gestalt, schon früher einmal auf meinem Lebenswege begegnet; so abgeschmackt auch der Gedanke war, so unwiderstehlich drängte er sich mir immer wieder auf. Aus früheren Jahren her erinnerte ich mich nämlich eines Mannes, der in seinem Wesen, in seinem Blick hauptsächlich, große Ähnlichkeit mit ihm hatte. Jener war ein fremder Arzt, besuchte nur hie und da meine Vaterstadt, und lebte dort immer von Anfang sehr still, hatte aber bald einen Kreis von Anbetern um sich versammelt. Die Erinnerung an jenen Menschen war mir übrigens fatal, denn man behauptete, daß, sooft er uns besucht habe, immer ein bedeutendes Unglück erfolgt sei, aber dennoch konnte ich den Gedanken nicht loswerden, Natas habe die größte Ähnlichkeit mit ihm, ja es sei eine und dieselbe Person.
Ich erzählte meinen Tischnachbarn den unablässig mich verfolgenden Gedanken und die unangenehme Vergleichung eines mir so grausenhaften Wesens, wie der Fremde in meiner Vaterstadt war, mit unserm Freunde, der so ganz meine Achtung und Liebe sich erworben hatte; aber noch unglaublicher klingt es vielleicht, wenn ich versichere, daß meine Nachbarn ganz den nämlichen Gedanken hatten; auch sie glaubten unter einer ganz andern Gestalt unsern geistreichen Gesellschafter gesehen zu haben.
»Sie könnten einem ganz bange machen«, sagte die Baronin von Thingen, die nicht weit von mir saß. »Sie wollen unsern guten Natas am Ende zum Ewigen Juden oder, Gott weiß, zu was sonst noch machen!«
Ein kleiner ältlicher Herr, Professor in T., der seit einigen Tagen sich auch an unsere Gesellschaft angeschlossen, und immer stillvergnügt, hie und da etwas weinselig, mitlebte, hatte während unserer »vergleichenden Anatomie«, wie er es nannte, still vor sich hin gelächelt und mit kunstfertiger Schnelligkeit seine ovale Dose zwischen den Fingern umgedreht, daß sie wie ein Rad anzusehen war.
»Ich kann mit meiner Bemerkung nicht mehr länger hinter dem Berge halten«, brach er endlich los, »wenn Sie erlauben, Gnädigste, so halte ich ihn nicht gerade für den Ewigen Juden, aber doch für einen ganz absonderlichen Menschen. Solange er zugegen war, wollte wohl hie und da der Gedanke in mir aufblitzen, ›Den hast du schon gesehen, wo war es doch?‹ aber wie durch Zauber krochen diese Erinnerungen zurück, wenn er mich mit dem schwarzen umherspringenden Auge erfaßte.«
»So war es mir gerade auch, mir auch, mir auch«, riefen wir alle verwundert.
»Hm! he, hm!« lachte der Professor. »Jetzt fällt es mir aber von den Augen wie Schuppen, daß es niemand ist als der, den ich schon vor zwölf Jahren in Stuttgart gesehen habe.«
»Wie, Sie haben ihn gesehen und in welchen Verhältnissen?« fragte Frau v. Thingen eifrig, und errötete bald über den allzu großen Eifer, den sie verraten hatte.
Der Professor nahm eine Prise, klopfte den Jabot aus und begann: »Es mögen nun ungefähr zwölf Jahre sein, als ich wegen eines Prozesses einige Monate in Stuttgart zubrachte. Ich wohnte in einem der ersten Gasthöfe und speiste auch dort gewöhnlich in großer Gesellschaft an der Wirtstafel. Einmal kam ich nach einigen Tagen, in welchen ich das Zimmer hatte hüten müssen, zum erstenmal wieder zu Tisch. Man sprach sehr eifrig über einen gewissen Herrn Barighi, der seit einiger Zeit die Mittagsgäste durch seinen lebhaften Witz, durch seine Gewandtheit in allen Sprachen entzücke; in seinem Lob waren alle einstimmig, nur über seinen Charakter war man nicht recht einig, denn die einen machten ihn zum Diplomaten, die andern zu einem Sprachmeister, die dritten zu einem hohen Verbannten, wieder andere zu einem Spion. Die Türe ging auf, man war still, beinahe verlegen, den Streit so laut geführt zu haben; ich merkte, daß der Besprochene sich eingefunden habe und sah –«
»Nun? ich bitte Sie! denselben, der uns« – »denselben, der uns seit einigen Tagen so trefflich unterhält. Dies wäre übrigens gerade nichts Übernatürliches, aber hören Sie weiter: zwei Tage schon hatte uns Herr Barighi, so nannte sich der Fremde, durch seine geistreiche Unterhaltung die Tafel gewürzt, als uns einmal der Wirt des Gasthofs unterbrach: ›Meine Herren‹, sagte der Höfliche, ›bereiten Sie sich auf eine köstliche Unterhaltung, die Ihnen morgen zuteil werden wird, vor; der Herr Oberjustizrat Hasentreffer zog heute aus, und zieht morgen ein.‹
Wir fragten, was dies zu bedeuten habe, und ein alter grauer Hauptmann, der schon seit vielen Jahren den obersten Platz in diesem Gasthof behauptete, teilte uns den Schwank mit: gerade dem Speisesaal gegenüber wohnt ein alter Junggeselle, einsam in einem großen öden Haus; er ist Oberjustizrat außer Dienst, lebt von einer anständigen Pension, und soll überdies ein enormes Vermögen besitzen.
Derselbe ist aber ein kompletter Narr und hat ganz eigene Gewohnheiten, wie z. B. daß er sich selbst oft große Gesellschaft gibt, wobei es immer flott hergeht. Er läßt zwölf Couverts aus dem Wirtshaus kommen, feine Weine hat er im Keller, und einer oder der andere unsrer Marqueurs hat die Ehre zu servieren. Man denkt vielleicht, er hat allerlei hungrige oder durstige Menschen bei sich? Mitnichten! alte, gelbe Stammbuchblätter, auf jedem ein großes Kreuz, liegen auf den Stühlen, dem alten Kauz ist aber so wohl, als wenn er unter den lustigsten Kameraden wäre; er spricht und lacht mit ihnen, und das Ding soll so greulich anzusehen sein, daß man immer die neuen Kellner dazu braucht, denn wer einmal bei einem solchen Souper war, geht nicht mehr in das öde Haus.
Vorgestern war wieder ein Souper, und unser neuer Franz dort schwört Himmel und Erde, ihn bringe keine Seele mehr hinüber. Den andern Tag nach dem Gastmahl kommt dann die zweite Sonderbarkeit des Oberjustizrats. Er fährt morgens früh aus der Stadt, und kehrt erst den andern Morgen zurück; nicht aber in sein Haus, das um diese Zeit fest verriegelt und verschlossen ist, sondern hierher ins Wirtshaus.
Da tut er dann ganz fremd gegen Leute, welche er das ganze Jahr täglich sieht, speist zu Mittag, und stellt sich nachher an ein Fenster, und betrachtet sein Haus gegenüber von oben bis unten.
›Wem gehört das Haus da drüben?‹ fragt er dann den Wirt.
Pflichtmäßig bückt sich dieser jedesmal und antwortet: ›Dem Herrn Oberjustizrat Hasentreffer, Ew. Exzellenz aufzuwarten‹«. – »Aber Herr Professor, wie hängt denn Ihr toller Hasentreffer mit unserem Natas zusammen?« fragte ich.
»Belieben Sie sich doch zu gedulden, Herr Doktor«, antwortete jener, »es wird Ihnen gleich wie ein Licht aufgehen. Der Hasentreffer beschaut also das Haus und erfährt, daß es dem Hasentreffer gehöre. ›Ach! derselbe, der in Tübingen zu meiner Zeit studierte?‹ fragt er dann, reißt das Fenster auf, streckt den gepuderten Kopf hinaus, und schreit ›Ha–a–asentreffer – Ha–a–asentreffer.‹
Natürlich antwortet niemand, er aber sagt dann, ›Der Alte würde es mir nie vergessen, wenn ich nicht bei ihm einkehrte‹, nimmt Hut und Stock, schließt sein eigenes Haus auf, und so geht es nach wie vor.
Wir alle«, fuhr der Professor in seiner