Nichts ist wahr, alles ist erlaubt. Friedrich Nietzsche

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Nichts ist wahr, alles ist erlaubt - Friedrich Nietzsche Klassiker der Weltliteratur

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      Der Intellekt, jener Meister der Verstellung, ist so lange frei und seinem sonstigen Sklavendienste enthoben, als er täuschen kann, ohne zu schaden, und feiert dann seine Saturnalien.

      Es gibt Zeitalter, in denen der vernünftige Mensch und der intuitive Mensch nebeneinander stehen, der eine in Angst vor der Intuition, der andere mit Hohn über die Abstraktion; der Letztere ebenso unvernünftig, als der Erstere unkünstlerisch ist. Beide begehren über das Leben zu herrschen: dieser, indem er durch Vorsorge, Klugheit, Regelmäßigkeit den hauptsächlichsten Nöten zu begegnen weiß, jener, indem er als ein, »überfroher Held« jene Nöte nicht sieht und nur das zum Schein und zur Schönheit verstellte Leben als real nimmt.

      Weder das Haus, noch der Schritt, noch die Kleidung, noch der tönerne Krug verraten, dass die Notdurft sie erfand: es scheint so, als ob in ihnen allen ein erhabenes Glück und eine olympische Wolkenlosigkeit und gleichsam ein Spielen mit dem Ernste ausgesprochen werden sollte. Während der von Begriffen und Abstraktionen geleitete Mensch durch diese das Unglück nur abwehrt, ohne selbst aus den Abstraktionen sich Glück zu erzwingen, während er nach möglichster Freiheit von Schmerzen trachtet, erntet der intuitive Mensch, inmitten einer Kultur stehend, bereits von seinen Intuitionen, außer der Abwehr des Übels, eine fortwährend einströmende Erhellung, Aufheiterung, Erlösung.

      Die Lüge. – Weshalb sagen zu allermeist die Menschen im alltäglichen Leben die Wahrheit? – Gewiss nicht, weil ein Gott das Lügen verboten hat. Sondern erstens: weil es bequemer ist; denn die Lüge erfordert Erfindung, Verstellung und Gedächtnis. (Weshalb Swift sagt: Wer eine Lüge berichtet, merkt selten die schwere Last, die er übernimmt; er muss nämlich, um eine Lüge zu behaupten, zwanzig andere erfinden.) Sodann: Weil es in schlichten Verhältnissen vorteilhaft ist, direkt zu sagen: Ich will dies, ich habe dies getan, und dergleichen; also weil der Weg des Zwangs und der Autorität sicherer ist, als der der List.

      Schätzung der unscheinbaren Wahrheiten. – Es ist das Merkmal einer höheren Kultur, die kleinen unscheinbaren Wahrheiten, welche mit strenger Methode gefunden wurden, höher zu schätzen, als die beglückenden und blendenden Irrtümer, welche metaphysischen und künstlerischen Zeitaltern und Menschen entstammen.

       Charakter, Psychologie und »Ich«

      Nietzsches Vorstellung vom »Ich« ist recht modern. Er geht nicht von einer zentralen Anlauf- und Verarbeitungsstelle jeglichen Denkens und Erfahrens aus, sondern von einem recht diffusen, eng mit körperlichen Bedürfnissen und Stimmungslagen zusammenhängenden Sammelsurium an psycho-physischen Ebenen. In diesem Punkt kann er als philosophischer Vorläufer der Psychoanalyse eines Sigmund Freud, aber auch der modernen kognitiven Psychologie betrachtet werden. »Charakter« und »Ich« sind für Nietzsche stets im Wandel und durch mehr oder weniger »irrationale« Momente bestimmt.

      Gedanken. – Gedanken sind die Schatten unserer Empfindungen, – immer dunkler, leerer, einfacher, als diese.

      Müßiggang ist aller Psychologie Anfang. Wie? Wäre Psychologie – ein Laster?

      Moral für Psychologen. – Keine Kolportage-Psychologie treiben! Nie beobachten, um zu beobachten! Das gibt eine falsche Optik, ein Schielen, etwas Erzwungenes und Übertreibendes. Erleben als Erleben-Wollen – das gerät nicht. Man darf nicht im Erlebnis nach sich hinblicken, jeder Blick wird da zum »bösen Blick«. Ein geborener Psycholog hütet sich aus Instinkt, zu sehn, um zu sehen; dasselbe gilt vom geborenen Maler. Er arbeitet nie »nach der Natur«, – er überlässt seinem Instinkte, seiner camera obscura, das Durchsieben und Ausdrücken des »Falls«, der »Natur«, des »Erlebten« … Das Allgemeine erst kommt ihm zum Bewusstsein, der Schluss, das Ergebnis: Er kennt jenes willkürliche Abstrahieren vom einzelnen Falle nicht. – Was wird daraus, wenn man es anders macht? Zum Beispiel nach Art der Pariser Romanciers groß und klein Kolportage-Psychologie treibt? Das lauert gleichsam der Wirklichkeit auf, das bringt jeden Abend eine Handvoll Kuriositäten mit nach Hause … Aber man sehe nur, was zuletzt herauskommt – ein Haufen von Klecksen, ein Mosaik besten Falls, in jedem Falle etwas Zusammen-Addiertes, Unruhiges, Farbenschreiendes. Sehen, was ist – das gehört einer andern Gattung von Geistern zu, den antiartistischen, den Tatsächlichen. Man muss wissen, wer man ist …

      Fleiß und Gewissenhaftigkeit. – Fleiß und Gewissenhaftigkeit sind oftmals dadurch Antagonisten, dass der Fleiß die Früchte sauer vom Baume nehmen will, die Gewissenhaftigkeit sie aber zu lange hängen lässt, bis sie herabfallen und sich zerschlagen.

      Der richtige Beruf. – Männer halten selten einen Beruf aus, von dem sie nicht glauben oder sich einreden, er sei im Grunde wichtiger, als alle anderen. Ebenso geht es Frauen mit ihren Liebhabern.

      Ziel und Wege. – Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, Wenige in Bezug auf das Ziel.

      Das Empörende an einer individuellen Lebensart. – Alle sehr individuellen Maßregeln des Lebens bringen die Menschen gegen Den, der sie ergreift, auf; sie fühlen sich durch die außergewöhnliche Behandlung, welche jener sich angedeihen lässt, erniedrigt, als gewöhnliche Wesen.

      Unwillkürlich vornehm. – Der Mensch beträgt sich unwillkürlich vornehm, wenn er sich gewöhnt hat, von den Menschen Nichts zu wollen und ihnen immer zu geben.

      Phantasie der Angst. – Die Phantasie der Angst ist jener böse äffische Kobold, der dem Menschen gerade dann noch auf den Rücken springt, wenn er schon am schwersten zu tragen hat.

      Gegen die Lobenden. – A.: »Man wird nur von Seinesgleichen gelobt!« B.: »Ja! Und wer dich lobt, sagt zu dir: du bist Meinesgleichen!«

      Verschiedene Gefährlichkeit des Lebens. – Ihr wisst gar nicht, was ihr erlebt, ihr lauft wie betrunken durch‘s Leben und fallt ab und zu eine Treppe hinab. Aber, Dank eurer Trunkenheit, brecht ihr doch nicht dabei die Glieder: Eure Muskeln sind zu matt und euer Kopf zu dunkel, als dass ihr die Steine dieser Treppe so hart fändet, wie wir Anderen! Für uns ist das Leben eine größere Gefahr: Wir sind von Glas – wehe, wenn wir uns stoßen! Und alles ist verloren, wenn wir fallen!

      Lachen. - Lachen heißt: schadenfroh sein, aber mit gutem Gewissen.

      Bedürfnis. – Das Bedürfnis gilt als die Ursache der Entstehung: In Wahrheit ist es oft nur eine Wirkung des Entstandenen.

      Bescheidenheit. – Es gibt wahre Bescheidenheit (das heißt die Erkenntnis, dass wir nicht unsere eigenen Werke sind); und recht wohl geziemt sie dem großen Geiste, weil gerade er den Gedanken der völligen Unverantwortlichkeit (auch für das Gute, was er schafft) fassen kann. Die Unbescheidenheit des Großen hasst man nicht, insofern er seine Kraft fühlt, sondern weil er seine Kraft dadurch erst erfahren will, dass er die Anderen verletzt, herrisch behandelt und zusieht, wie weit sie es aushalten. Gewöhnlich beweist dies sogar den Mangel an sicherem Gefühl der Kraft und macht somit die Menschen an seiner Größe zweifeln. Insofern ist Unbescheidenheit vom Gesichtspunkte der Klugheit aus sehr zu widerraten.

      Des Tages erster Gedanke. – Das beste Mittel, jeden Tag gut zu beginnen, ist: beim Erwachen daran zu denken, ob man nicht wenigstens einem Menschen an diesem Tage eine Freude machen könne. Wenn dies als ein Ersatz für die religiöse Gewöhnung des Gebetes gelten dürfte, so hätten die Mitmenschen einen Vorteil bei dieser Änderung.

      Der Denker. – Er ist ein Denker: das heißt, er versteht sich darauf, die Dinge einfacher zu nehmen, als sie sind.

      Anmaßung als letztes Trostmittel. – Wenn man ein Missgeschick, seinen intellektuellen Mangel, seine Krankheit

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