Nichts ist wahr, alles ist erlaubt. Friedrich Nietzsche
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Nichts ist wahr, alles ist erlaubt - Friedrich Nietzsche страница 8
Hat man Charakter, so hat man auch sein typisches Erlebnis, das immer wiederkommt.
Wer sein Ideal erreicht, kommt eben damit über dasselbe hinaus.
Man hat schlecht dem Leben zugeschaut, wenn man nicht auch die Hand gesehen hat, die auf eine schonende Weise – tötet.
Was man versprechen kann. – Man kann Handlungen versprechen, aber keine Empfindungen; denn diese sind unwillkürlich. Wer jemandem verspricht, ihn immer zu lieben oder immer zu hassen oder ihm immer treu zu sein, verspricht etwas, das nicht in seiner Macht steht; wohl aber kann er solche Handlungen versprechen, welche zwar gewöhnlich die Folgen der Liebe, des Hasses, der Treue sind, aber auch aus anderen Motiven entspringen können: Denn zu einer Handlung führen mehrere Wege und Motive.
Selbstbeobachtung. – Der Mensch ist gegen sich selbst, gegen Auskundschaftung und Belagerung durch sich selber, sehr gut verteidigt, er vermag gewöhnlich nicht mehr von sich, als seine Außenwerke wahrzunehmen. Die eigentliche Festung ist ihm unzugänglich, selbst unsichtbar, es sei denn, dass Freunde und Feinde die Verräter machen und ihn selber auf geheimem Wege hineinführen.
Unter friedlichen Umständen fällt der kriegerische Mensch über sich selber her.
Mit seinen Grundsätzen will man seine Gewohnheiten tyrannisieren oder rechtfertigen oder ehren oder beschimpfen oder verbergen: – Zwei Menschen mit gleichen Grundsätzen wollen damit wahrscheinlich noch etwas Grundverschiedenes.
Der Instinkt. – Wenn das Haus brennt, vergisst man sogar das Mittagsessen. – Ja: aber man holt es auf der Asche nach.
Wer hat nicht für seinen guten Ruf schon einmal – sich selbst geopfert? –
Wenn man sein Gewissen dressiert, so küsst es uns zugleich, indem es beißt.
Vor uns selbst stellen wir uns alle einfältiger als wir sind: wir ruhen uns so von unsern Mitmenschen aus.
Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.
Heute möchte sich ein Erkennender leicht als Tierwerdung Gottes fühlen.
Erleben und Erdichten. – Wie weit einer seine Selbstkenntnis auch treiben mag, Nichts kann doch unvollständiger sein, als das Bild der gesamten Triebe, die sein Wesen konstituieren. Kaum dass er die gröberen beim Namen nennen kann: ihre Zahl und Stärke, ihre Ebbe und Flut, ihr Spiel und Widerspiel untereinander, und vor allem die Gesetze ihrer Ernährung bleiben ihm ganz unbekannt.
Gefühle und deren Abkunft von Urteilen. – »Vertraue deinem Gefühle!« – Aber Gefühle sind nichts Letztes, Ursprüngliches, hinter den Gefühlen stehen Urteile und Wertschätzungen, welche in der Form von Gefühlen (Neigungen, Abneigungen) uns vererbt sind. Die Inspiration, die aus dem Gefühl stammt, ist das Enkelkind eines Urteils – und oft eines falschen! – und jedenfalls nicht deines eigenen! Seinem Gefühle vertrauen – das heißt seinem Großvater und seiner Großmutter und deren Großeltern mehr gehorchen als den Göttern, die in uns sind: unserer Vernunft und unserer Erfahrung.
Das Eine, was Not tut. – Eins muss man haben: Entweder einen von Natur leichten Sinn oder einen durch Kunst und Wissen erleichterten Sinn.
Die Ruhe in der Tat. – Wie ein Wasserfall im Sturz langsamer und schwebender wird, so pflegt der große Mensch der Tat mit mehr Ruhe zu handeln, als seine stürmische Begierde vor der Tat es erwarten ließ.
Bildung und Erziehung
Was ein elitärer und ideologiekritischer Denker wie Nietzsche vom Universitäts- und Schulsystem seiner Zeit hielt, lässt sich leicht ausrechnen. Er war der Meinung, dass in diesen Institutionen Menschen vor allem für die Einpassung in spezielle Berufe und als staatstreue Bürger herangezogen werden, da die Struktur des Denkens sich der Struktur der Bildungseinrichtung anpasst. So gilt Nietzsche die Universität als »Wurmfortsatz der Gymnasialtendenz«. Allgemein(ste) Bildung ist in seinen Augen »Barbarei«. Er hingegen verlangt nach wahrer Bildung, also Bildung, die den verengten Horizont sogenannter Fachwissenschaftler sprengt und das ganze Leben umfasst. Doch das erfordert nicht nur Zeit und Selbstständigkeit, sondern auch Ernsthaftigkeit und ein Vorbild, also einen wahrhaften Gelehrten. Obwohl manche seiner Aphorismen sich atavistisch bzw. irrational interpretieren lassen, ist es nicht so, dass Nietzsche prinzipiell ein Feind von Bildung gewesen wäre. Der Mensch muss erst Bildung genossen haben, um sie auf dem Weg zu neuer Instinktsicherheit wieder abzustreifen. Gerade wenn man an die europaweiten Bildunsgsreformen denkt, an »unfähige Lehrer in harmonischem Verhältnis zu unfähigen Schülern stehend«, ist Nietzsche hier immer noch brandaktuell.
Erziehung. – Die Erziehung ist eine Fortsetzung der Zeugung und oft eine Art nachträglicher Beschönigung derselben.
Unterschätzte Wirkung des gymnasialen Unterrichts. – Man sucht den Wert des Gymnasiums selten in den Dingen, welche wirklich dort gelernt und von ihm unverlierbar heimgebracht werden, sondern in denen, welche man lehrt, welche der Schüler sich aber nur mit Widerwillen aneignet, um sie, so schnell er darf, von sich abzuschütteln. Das Lesen der Klassiker – das gibt jeder Gebildete zu – ist so, wie es überall getrieben wird, eine monströse Prozedur: Vor jungen Menschen, welche in keiner Beziehung dazu reif sind, von Lehrern, welche durch jedes Wort, oft durch ihr Erscheinen schon einen Mehltau über einen guten Autor legen. Aber darin liegt der Wert, der gewöhnlich verkannt wird, – dass diese Lehrer die abstrakte Sprache der höheren Kultur reden, schwerfällig und schwer zum Verstehen, wie sie ist, aber eine hohe Gymnastik des Kopfes; dass Begriffe, Kunstausdrücke, Methoden, Anspielungen in ihrer Sprache fortwährend vorkommen, welche die jungen Leute im Gespräche ihrer Angehörigen und auf der Gasse fast nie hören. Wenn die Schüler nur hören, so wird ihr Intellekt zu einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise unwillkürlich präformiert. Es ist nicht möglich, aus dieser Zucht völlig unberührt von der Abstraktion als reines Naturkind herauszukommen.
Lebensalter der Anmaßung. – Zwischen dem sechsundzwanzigsten und dreißigsten Jahre liegt bei begabten Menschen die eigentliche Periode der Anmaßung; es ist die Zeit der ersten Reife, mit einem starken Rest von Säuerlichkeit. Man fordert auf Grund dessen, was man in sich fühlt, von Mensen, welche nichts oder wenig davon sehen, Ehre und Demütigung, und rächt sich, weil diese zunächst ausbleiben, durch jenen Blick, jene Gebärde der Anmaßung, jenen Ton der Stimme, die ein feines Ohr und Auge an allen Produktionen jenes Alters, seien es Gedichte, Philosophien, oder Bilder und Musik, wiedererkennt. Ältere erfahrene Männer lächeln dazu und mit Rührung gedenken sie dieses schönen Lebensalters, in dem man böse über das Geschick ist, so viel zu sein und so wenig zu scheinen. Später scheint man wirklich mehr, – aber man hat den guten Glauben verloren, viel zu sein: man bleibe denn zeitlebens ein unverbesserlicher Narr der Eitelkeit.
Die Natur korrigieren. – Wenn man keinen guten Vater hat, so soll man sich einen anschaffen.
Väter und Söhne. – Väter haben viel zu tun, um es wieder gut zu machen, dass sie Söhne haben.
Einsamkeit lernen. – Oh, ihr armen Schelme in den großen Städten der Weltpolitik, ihr jungen, begabten, vom Ehrgeiz gemarterten Männer, welche es für ihre Pflicht halten,