Keltische Knochen & Gedelöcke. Wilhelm Raabe

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Keltische Knochen & Gedelöcke - Wilhelm  Raabe

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weil wir dem Rosselenker recht geben mußten, und dieser sich selber zu helfen wußte.

      Wir mieteten den Einbaum, das heißt einen Kahn mit einer dicken Jungfrau und einem Jungen, und wurden von jener Schifferin, welche der Dichter der Lebensblüten „sich poetischer gedacht“ hatte, über den See gerudert, und ich für mein armes Teil bedauerte in diesem Augenblick nicht mehr, daß der Tag dunkel war, denn er paßte zu der Gegend. Wären meine beiden Begleiter, der Junge und das Schiffermädchen, nicht gewesen, so würde höchstwahrscheinlich der Schatten Virgils aus den schwarzen Wassern emporgestiegen sein, um sich mir als Führer auf dem fernern Wege gegen die gebräuchliche Taxe anzubieten.

      Ja, das Wasser des Sees war schwarz; schwarz waren die steilrechten Felsen, die sich im schwarzen Gewölk verloren; es konnte niemand von uns drei Touristen wissen, ob nicht hinter dem düstern Nebelvorhang die erweiterte Hölle mit allen seit dem vierzehnten September Dreizehnhunderteinundzwanzig hinzugekommenen großen und kleinen Missetätern ihren Anfang nehme und in Roderich von der Leine ihren neuen Schilderer erwarte. Der Name des Menschen, Krautworst, konnte dabei nicht hinderlich sein; denn Dante bedeutet in deutscher Zunge auch nichts weiter als „Hirschleder“; aber Krautworst selber war hinderlich, denn die wunderlich ergreifende Szenerie machte nicht den geringsten Eindruck auf ihn; ihn fror, er sprach vom Wechseln der Strümpfe, von rheumatischem Zahnschmerz und jammerte nach einer Tasse Tee.

      Zuckriegel war schon ein anderer Mann: die Nähe der keltischen oder sonstigen Gebeine und der Sitz hinter dem walfischhaften Rücken unseres weiblichen Charons stimmten ihn milde; er glich in diesem Augenblicke weniger einem Scharfrichter als einem vazierenden Metzger; ob sein Sitz ihn auch erotisch stimmte, kann ich nicht bestimmt behaupten, stellenweise schien es so.

      Nach einer Fahrt von zwei Stunden gewannen wir die Überzeugung, daß hinter dem Nebel- und Regenvorhang nicht l’inferno seinen Anfang nehme und seinen Eingang habe; sondern daß daselbst Hallstadt liege oder vielmehr klebe, und daß die Taxe für die Fahrt nicht unbillig zu nennen sei. Der Einbaum schoß beim Seeauer ans Land; und wie erotisch Zuckriegel durch unsere solide Schifferin gestimmt sein mochte, er fühlte sich keineswegs dadurch gehindert, beim Zahlen mit ihr in Konflikt zu geraten.

      Von einem weiblichen Kellner geleitet, stiefelten wir durch den triefenden Garten selber triefend in das gastliche Haus, und Roderich bestellte zähneklappernd eine Tasse heißester Kraftbrühe. Hinter ihm rauschte der See, jedoch ohne ihn als Opfer haben zu wollen; im Gegenteil schien er herzlich froh, ihn losgeworden zu sein. Ich trank Kaffee, Zuckriegel aber entschloß sich zu einem starken Grog, dessen Bereitung er dann in der Küche selbst überwachte, da er diesen abgelegenen Erdenwinkel nicht mit Unrecht der richtigen Mischung dieses angenehmen Getränkes nicht gewachsen glaubte. Seinen Anzug wechselte er nicht; er blieb, wie er war, und fing nur in der Atmosphäre der geheizten Gaststube an, leise zu dampfen. Der Poet erschien nach einer Pause, während welcher man ihn nicht vermißte, wie ausgewechselt. In blendendem Weiß vom Kopf bis zu den Füßen war er von Ischl ausgefahren, jetzt stellte er sich von den Füßen bis zum Kopfe karriert dar, und wenn es seine Absicht war, in Hallstadt Aufsehen zu machen, so war dieses Kostüm wahrlich geeignet, ihn seinen Zweck erreichen zu lassen; auf einem nach der Kirchturmspitze ausgespannten Seile würde es das Natürlichste von der Welt gewesen sein. Sämtliche in der Gaststube anwesende Augen sprangen fast aus ihren Höhlungen, und die Kellnerin sprang mit einem recht unzivilisierten Aufkreisch in die Küche, worauf einen Moment später ein seltsames Gedränge von plattgedrückten Nasen an den Scheiben des dunklen Schiebfensters neben dem Ofen zu sehen war. Der Poet konnte mit dem Eindruck, welchen er hervorbrachte, zufrieden sein. Er war es auch, und setzte die Gaststube zum zweiten Male dadurch in Verwunderung, daß er seine Kraftbrühe wie jeder andere, gewöhnliche, nicht karrierte Mensch trank; jedermann schien das Gegenteil erwartet zu haben.

      Der Himmel zeigte jetzt, daß er es gut mit uns gemeint habe; wenn er während der Fahrt nur leise auf uns herabtröpfelte, so tat er jetzt, da er uns unter Dach und Fach wußte, seinen Gefühlen keinen Zwang mehr an und zog seine Reserveschleusen. Es war zwei Uhr, und es regnete entsetzlich; der Wirt freute sich unseres Daseins in seinem Etablissement, und ein Autochthone tröstete uns aus einem fernen Winkel, daß wir nicht die ersten seien, die bei solchem Wetter in Hallstadt anlangten, und daß wir wahrscheinlich auch nicht die letzten sein würden, die bei ebensolchem Wetter es wieder verließen. Den Faust kannte der Eingeborene nicht und verwunderte sich deshalb zum drittenmal über den karrierten Dichter, welcher hohläugig und mit hohler Stimme rezitierte:

      „Jammer! Jammer! von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf in die Tiefe dieses Elends versank, daß nicht das erste genug tat für die Schuld aller übrigen!“

      Frech setzte der Prosektor das Geschäft fort und fragte mit den Worten Mephistos:

      „Warum machst du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen kannst?… drangen wir uns dir auf oder du dich uns? Fahren Sie fort, Herr Krautworst und sehen Sie nicht so mürrisch aus! ich habe Sie doch nicht kontrekarriert?“

      Herr Krautworst fuhr nicht fort, er ärgerte sich sehr über das Zitat Zuckriegels, konnte jedoch nichts dagegen machen und besann sich erst fünf Minuten später, als der Prosektor dem Wirt das Küchenbulletin abverlangte, auf den empörten Ausdruck Fausts: „Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! mir ekelt’s!“

       Es war zu spät, auch dieses Zitat noch anzubringen; — und wir speisten zu Mittag und es gelang mir, einen mit Messer und Gabel bewaffneten Frieden zwischen dem Manne der Wissenschaft und dem Manne der Poesie herzustellen. Als aber nach Tisch der Prosektor bemerkte:

      „Wahrhaftig, es regnet wahrhaft musenalmanachartig; das ist ein Wetter für einen Dichter, Herr Krautworst! wenn es mir nur nicht meine Knochen fortschwemmt!“ da schob der Poet den Stuhl zurück, griff nach dem Regenschirm, hing das Plaid über die Schultern und schritt mit einem vernichtenden Blick auf den Spötter aus der Tür. Es war, als ob Prometheus dem Geier mit titanenhafter Verachtung den Rücken zeige. „Um Gottes willen, halten Sie ihn fest!“ rief mir Zuckriegel zu. „Jetzt habe ich ihn in die rechte Stimmung versetzt; in einer halben Stunde ist er mit seinen gereimten Linzer Erlebnissen wieder da. Geben Sie Achtung, ob er sich nicht rächt; halten Sie ihn, bringen Sie ihn zurück, ich will Abbitte tun.“

      „Sie lobe ich mir als Reisegefährten,“ sprach ich und ging dem guten Roderich nach. Solus cum solo war der Prosektor bei solchem Wetter doch nicht zu ertragen, die Last war zu schwer für die Schultern eines einzelnen Menschen. Von der Tür aus sah ich noch, wie er sich so gleichmütig als lang auf drei Stühlen ausstreckte und seine Reiselektüre, einen Band von Avé-Lallemants Geschichte des deutschen Gaunertums, durch deren Studium er sich mit Eifer auf sein großes Unternehmen vorbereitete, hervorzog; — durch einen dunkeln niedern Gang gelangte ich ins Freie, oder das, was man in Hallstadt das Freie nennen kann, und traf am Ausgang auf den Hospes, den ich fragte, was man bei solchem Regen „am Hallstädter See sehen“ könne?

      „Hallstadt!“ sagte der Wirt, und er hatte recht, dreifach recht; Hallstadt ist bei jedem Wetter eine Merkwürdigkeit. Nirgends in der Welt vielleicht gibt es so viel Treppen auf so engem Raume als hier. Der Flecken macht den Eindruck, als sei er von einer Riesenhand, tüchtig durcheinander gerüttelt und geschüttelt, an den lotrecht aus dem schwarzen See aufsteigenden Felsen geworfen und kleben geblieben. Zwei Monate im Jahre soll ihn die Sonne nicht erreichen, und ich glaube es gern. Wo die Dächer aufhören, fangen die Straßen an; in keiner Stadt der Erde muß es so gefährlich sein, sich einen Rausch zu trinken, wie hier. Man schwindelt, wenn man empor-, und man schwindelt, wenn man hinuntergeht; — man fühlt sich selbst ohne Rausch keineswegs sicher auf seinen Füßen, und das Entzücken, mit welchem man zwischen zwei grauen Hauswänden, oder durch sonst eine Lücke in dem Mauer- und Felsenwerk auf den Spiegel des Sees und die Steierschen Alpen am jenseitigen Ufer sieht, ist stets von einer gewissen Beklemmung, einer nahen Cousine des Alpdrückens, begleitet. Die Häuser haben in Hallstadt das Recht, betrunken zu sein; die Vorsehung wacht über sie und behütet

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