Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser

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Bank in Genf.«

      »Spekuliert, weiter spekuliert…«, sagte Studer leise und der Untersuchungsrichter nickte.

      Man kann den Wendelin entschuldigen, dachte Studer. Er hat's für die Familie getan. Hat das Geld zurückholen wollen, das Geld der Frau…

      Da sprach Sonja weiter:

      »Er ist immer öfter zum Ellenberger gegangen, damals.

      Er hat auch viel getrunken, der Vater. Nicht regelmäßig. Aber so alle Wochen ein oder zweimal ist er betrunken heimgekommen. Einmal hab' ich ihm Schnaps holen müssen. Einen halben Liter. Er ist früh in sein Zimmer hinauf. Die Mutter war an dem Abend beim Onkel Aeschbacher eingeladen. Sie ist erst spät heimgekommen. Am nächsten Morgen war die Flasche leer. Ich hab' sie fortgeworfen, damit die Mutter sie nicht sieht.«

      Wieder das Schweigen. Man sah es dem Untersuchungsrichter an, daß er ungeduldig wurde. Aber Studer beruhigte den nervösen Herrn mit einer beschwichtigenden Handbewegung.

      »Heut' vor acht Tagen bin ich wie gewohnt um halb sieben heimgekommen. Der Vater war schon da. Er stand im Wohnzimmer, beim Klavier und hörte mich nicht kommen. Ich hab' geschaut, was er macht. Er hat die Vase, die immer auf dem Klavier steht, in der Hand gehalten, hat sie geschüttelt, es hat geklirrt, dann hat er sie wieder an ihren Platz gestellt und das Herbstlaub geordnet. ›Was machst du da, Vater?‹ hab' ich gefragt. Er ist ein wenig erschrocken. Ich hab' dann nicht weiter gefragt. Am nächsten Morgen bin ich als erste aufgestanden. Es waren fünfzehn Patronenhülsen in der Vase. Ja!«

      Sonja sah den Untersuchungsrichter an, sah Schlumpf an. Sie schien auf laute Rufe des Erstaunens zu warten. Aber die beiden blieben stumm. Einzig Studer, vor der Schreibmaschine, auf der er noch kein Wort getippt hatte, winkte ab:

      »Das wissen wir. Wir haben auch die Tür gefunden, die deinem Vater als Schießscheibe gedient hat…«

      Da wurde endlich der Untersuchungsrichter doch von Neugierde geplagt. Und Studer mußte von der Entdeckung im dunklen Schuppen erzählen, von dem abgehobelten Rechteck auf der altersschwarzen Tür und von den Einschußöffnungen, die keine Pulverspuren an den Rändern gezeigt hatten.

      Der Untersuchungsrichter nickte.

      »Und wie war es am Dienstagabend, was haben Sie da getrieben, Fräulein Witschi?«

      »Ich bin mit dem Erwin spazieren gegangen«, sagte Sonja und ihr Gesicht blieb bleich. »Wir waren zusammen im Wald, es war ein schöner Abend. Ich bin um elf Uhr heimgekommen. Der Vater war noch nicht zu Hause. Die Mutter ist am Tisch gehockt, in der Küche. Sie schien aufgeregt. Auch der Armin war nicht zu Hause. Ich hab' gefragt, wo die beiden seien. Die Mutter hat die Achseln gezuckt. ›Draußen‹, hat sie gesagt. Um halb zwölf ist der Armin heimgekommen. Die Mutter hat gefragt: ›Hat er?…‹ Der Armin hat genickt und begonnen seine Taschen zu leeren.«

      »Halt!« rief der Untersuchungsrichter. »Herr Studer, schreiben Sie bitte.« Und er diktierte nach den einleitenden Floskeln jedes Zeugenverhörs Sonjas Erzählung.

      »Weiter«, sagte er darauf. »Inhalt der Taschen?«

      »Eine Browningpistole, eine Brieftasche, ein Füllfederhalter, ein Portemonnaie, eine Uhr. Das alles legte der Armin auf den Tisch. Ich hab' gezittert vor Angst. ›Was ist dem Vater passiert?‹ hab' ich immer wieder gefragt. Aber die beiden gaben keine Antwort. Armin öffnete die Brieftasche und zog eine Hunderter und eine Fünfzigernote heraus. Die Mutter nahm sie, ging zum Sekretär, versorgte die Fünfzigernote und kam mit drei Hunderternoten zurück. Armin nahm das Geld, legte es auf den Tisch und sagte: ›So, jetzt mußt du zuhören und morgen genau das tun, was ich dir sage. Der Vater hat sich erschossen.‹ ›Nein‹, hab ich gerufen und hab' angefangen zu weinen. ›Nein! Das ist nicht wahr!‹

      ›Plärr jetzt nicht und hör' zu. Der Vater hat gefunden, es sei so das beste für ihn. Aber er hat mit uns ausgemacht, mit der Mutter und mir, daß es nicht als Selbstmord gelten darf. Denn wenn es ein Selbstmord ist, so zahlt die Versicherung nichts.‹ – Ich weinte. Dann sagte ich: ›Aber das werden die Leute doch merken, daß er sich erschossen hat. Das geht doch in Romanen, aber nicht in der Wirklichkeit!‹ Hab' ich da nicht recht gehabt, Herr Wachtmeister?«

      »Hm, vielleicht, ja…«, murmelte Studer und beschäftigte sich eifrig mit dem eingespannten Folioblatt. Die Linien waren schief.

      »Das hab' ich dem Armin auch gesagt, und ob er es hat übers Herz bringen können, daß sich der Vater für uns umbringt, hab' ich ihn gefragt… Da sagte er, sie hätten mit dem Vater ausgemacht, er solle sich nur anschießen, sich eine schwere Verletzung beibringen, dann bekäme er auch die Versicherung für Ganzinvalidität – sich ins Bein schießen zum Beispiel, sagte der Bruder, aber so, daß das Bein amputiert werden müsse… Das hat er gesagt, der Bruder…«

      Verrückt, idiotisch, hirnverbrannt!« flüsterte der Untersuchungsrichter, streckte die Arme aus, daß die Ärmel seines Rockes fast bis zu den Ellbogen rutschten, fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. »Das ist ja… Was sagen Sie dazu, Studer?…«

      Locard, Doktor Locard in Lyon, Sie wissen, wen ich meine, Herr Untersuchungsrichter, schreibt in einem seiner Bücher – (und mein Freund, der Kommissär Madelin, zitierte diesen Ausspruch mit Vorliebe) – es sei ein Irrtum, zu glauben, es gebe normale Menschen. Alle Menschen seien mindestens Halbverrückte und diese Tatsache dürfe man in keiner Untersuchung vergessen… Erinnern Sie sich vielleicht an den Fall jenes österreichischen Zahntechnikers, der sein Bein auf einen Spaltklotz legte und es mit einer Axt bearbeitete, bis es nur noch an einem Fetzen hing – nur um eine sehr hohe Unfallversicherung einzukassieren… ? Es gab damals einen großen Prozeß…«

      »Ja, ja«, sagte der Untersuchungsrichter. »In Österreich! Aber wir sind doch in der Schweiz!«

      »Die Menschen sind überall gleich«, seufzte Studer. »Was soll ich schreiben?«

      Stockend diktierte der Untersuchungsrichter, aber seine Sätze verfilzten sich derart, daß Studer Mühe hatte, diese Syntax zu entwirren…

      »Weiter, weiter! Fräulein Witschi!« Der Untersuchungsrichter wischte sich die Stirn mit einem kleinen farbigen Taschentuch, ein Duft von Lavendel schwebte durch den Raum…

      Sonja war verschüchtert. Sie hatte nicht verstanden, was da verhandelt wurde. Verrückt? dachte sie, warum verrückt? Wenn wir doch das Geld so notwendig gebraucht haben!… Und dann erzählte sie weiter:

      »Da fragt die Mutter ganz kalt: ›Wo sitzt der Schuß?‹ – Und der Armin antwortet genau so kalt: ›Hinter dem rechten Ohr.‹ Da nickt die Mutter, wie anerkennend: ›Das hat er gut gemacht, der Vater.‹ Aber dann war's vorbei mit ihrer Ruhe. Ich hab' die Mutter nie weinen sehen, auch damals nicht, als wir das ganze Geld verloren hatten. Sie hat immer nur geschimpft. Aber jetzt legte sie den Kopf auf den Tisch und ihre Schultern zuckten. ›Aber Mutter!‹ sagt der Armin. ›Es ist doch besser so!‹ – Da wird die Mutter bös, springt auf, läuft im Zimmer hin und her und sagt nur immer: ›Zweiundzwanzig Jahre! Zweiundzwanzig Jahre!‹«

      Man fühlte es, Sonja erlebte die ganze Szene noch einmal, sie sah alles vor sich. Ihre Lider waren gesenkt. – Lange Wimpern hatte das Mädchen…

      Studer träumte vor sich hin… Also war das Bild, das er sich gemacht hatte, damals, als er die Mutter Witschi besucht hatte, doch falsch gewesen… Er hatte den Tisch gesehen, die Leute darum: Anastasia Witschi redet auf ihren Mann ein, er solle kein Feigling sein… Gewiß, das war sicher alles so gewesen. Er hatte nur einen Menschen zuviel am Tisch gesehen: Sonja.

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